AMA F1 - CFC HERTHA 06 F1
10 : 0
Ich ringe mit einem Gegner, der meine Angriffe elegant pariert! Kaum hole ich zum Schlag aus, um mich über die neu aufgekommenen Jubelchoreographien bei unseren Kindern zu echauffieren, kontert die Gelassenheit mit Verweis auf das Kindliche und nimmt die Trikothochreißer in den Schutz.
Was soll man gegen diese Form der kindlichen Nachahmung sagen? Der eine zeigt seinen Batman, der andere seinen Superman, der dritte herzt nach dem Torerfolg mit beiden Händen zu den Eltern auf den Tribünen. Sie freuen sich über ihren persönlichen Erfolg, sie fühlen sich für einen Moment lang frei und losgelöst und wollen so sein wie die Großen. Daran ist nichts auszusetzen. Allerdings gehen mir die Starallüren bei den Großen schon lange auf den Senkel. Dieses infantile Genuckel und pseudo-rebellische Gezeige, das billig Einstudierte – es dreht mir den Magen um! Es wirkt auf mich wie seinerzeit Westerwelles 18-Prozent-Schuhsohlen in den Talkshows. Zeigt doch mal lieber echte Gefühle! Und wenn es das Gefühl ist, zu schüchtern zu sein für eine überkandidelte Jubelarie!
Ihr Eltern findet es natürlich toll, wenn eure Kinder so verspielt und gestisch sicher wie die Großen nach einem Treffer über den Platz stolzieren. Hoffentlich lächelt ihr auch noch, wenn sie sich die ersten Tattoos stechen lassen. Der Begriff des Kriegers, egal welcher Hautfarbe und Kultur, hat den Fußball und den Alltag längst erobert. Cowboy und Indianerspielen ist out, aber auszusehen wie Arturo Vidal ist total in. Mir ist es im Grunde egal, es gibt ganz andere Probleme auf der Welt.
Ich will keinen Spieler hervorheben, aber das, was gestern von einigen leichtfertig vor dem Tor liegen gelassen wurde, geht auf kein Batman-T-Shirt mehr. Schade, denn wenn diese zwölf bis sechzehn Großchancen genutzt worden wären, wäre der neuen Drive, sich das Trikot hochzureißen, um seinen Superman zu zeigen, wahrscheinlich schnell im Keim erstickt worden. Nach dem sechsten eigenen Tor wäre es schlicht langweilig geworden.
Der DFB hat übrigens auf FIFA-Weisung eine neue Kleiderordung ausgegeben: In Zukunft müssen langarmige Untertrikots und Thermohosen die gleiche Farbe haben wie Trikot und Hose. Spieler, die sich nicht daran halten, können vom Schiedsrichter vom Spiel ausgeschlossen werden. Auf die Phase der Anarchie folgt eine Ära der militärisch wiederhergestellten Ordnung. Es ist wie bei den Indianerkriegen damals, jegliches wilde Aufbegehren wird zurückgedrängt und im Keim erstickt, die FIFA-Kavalerie reitet wieder! Ich warte schon sehnsüchtig auf die Rückkehr des schwarz-weißen Fußballschuhs.
Zehn Tore gegen einen Gegner, bei dem ich ungewollt an die 300 wehrlosen Opfer von Wounded Knee denken musste! Wer um Gottes Willen hat diese Kinder in diese Spielklasse gesteckt? Ich fühle mich erinnert an die letzte Saison, als unsere F4 in der Hinrunde auf Teams traf, die durch die Bank ein Jahr älter waren. Niederlagen mit über 20 Treffern, das hat nichts mit Fußball und auch nichts mit Kinderfußball zu tun. Das ist einfach nur Quatsch und Missmanagement von Verbandsoffizieren. So gesehen haben sich die Hertha-06er-Spieler gegen uns noch richtig tapfer geschlagen, allen voran ihr Torwart, der mir ausgesprochen gut gefiel und von dessen Einsatzbereitschaft und mentalen Charakterstärke sich einige unserer Spieler noch etwas abschauen könnten. Der war, obwohl einer der Kleineren auf dem Platz, richtig groß!
Auch nach dem zehnten Gegentreffer gab er nicht auf, und so rechne ich ihm eher jene zwanzig Paraden an, mit denen er unsere Torschüsse heldenhaft abwehrte, als die zehn Dinger, die ihren Weg ins Ziel fanden, ohne dass er eine Chance zur Abwehr gehabt hätte. Man muss als Mannschaft ja nicht gleich mit einem Dribbelkünstler gesegnet sein, der ein Spiel allein entscheidet, aber neben einem prächtigen Torhüter zumindest ein altershomogenes und spielerisch einigermaßen ausgewogenes Ensemble wäre schon nötig, um sich in der Landesklasse zu behaupten und mit anderen messen zu können. Ihr Trainer ist noch nicht lange im Amt, wie ich vor dem Spiel erfuhr. Auch das keine ideale Voraussetzung, um an einem leicht regnerischen Nachmittag auf einem heftig fusselnden Auswärtsplatz gegen eine in allen Belangen übermächtige Heimmannschaft Spaß und Freude am Fußball zu haben.
Den hatten unsere Kinder umso mehr, und ein wenig war dies wohl auch die Belohnung dafür, den Reiseverlockungen des langen Einheits-Wochenendes widerstanden und sich in den Dienst der Mannschaft gestellt zu haben. Jeder durfte und musste mangels eklatanter Kaderschwäche durchspielen, manch einer nutzte dies, um großzügig mit nach vorne zu stürmen und gleich zwei Tore zu schießen, alle fühlten sich pudelwohl. Das habt ihr euch verdient!
Dennoch! Solch ein Spiel, solch ein ungleicher Schlagabtausch stellt nicht mehr dar als solides Schattenboxen. Mit einigen allerdings sehr schönen und eleganten Bewegungen und Spielzügen, die am nächsten Wochenende wiederzusehen, den einen oder anderen Trikothochreißer durchaus rechtfertigen könnte! Aber dann muss es auch ein Gegner sein, der uns in nichts nachsteht, am liebsten einer mit vielen Tattoos und echten Irokesenschnitten! Einer wie Siemensstadt! Oder wie Hürtürkel! Nicht mehr lang hin übrigens, dann gibt`s das Wiedersehen - am 26. November auf eigenem Platz. Denkt euch schon mal ein passendes T-Shirt aus!
[3. SPIELTAG / SAMSTAG, 1. OKTOBER 2016]