TURNIER FOTO-FLASH-CUP
13. Platz
Für einen Augenblick kokettierte ich mit dem Gedanken, unser Team könnte einmal vom Trainer von SC Siemensstadt gecoacht werden, diesem stimmgewaltigen Architekten des heutigen Turniersiegers, nur um zu sehen, ob wir dann anders spielten - besser, erfolgreicher!
Ich mag den Typen, nicht nur weil er es lautstärketechnisch getrost mit dem Blumenverkäufer vom Winterfeldmarkt aufnehmen könnte, sondern weil er höchst wahrscheinlich mehr vom Fußball versteht als ich. Er läuft nicht mal rot an, wenn er seine Kommandos ins Spiel ruft, sie sind laut und durchdringend, und sie werden noch lauter und durchdringender, je stärker sein Team unter Druck gerät. Aber sie sind auch wie schneidige 30 Meter Pässe, die er präzise in den Lauf seiner Spieler schickt. Und vor so viel Präzision und Genauigkeit habe ich nun mal Respekt.
Er ruft „Fußball spielen!“ - und seine Jungs beginnen augenblicklich Fußball zu spielen. Sie bleiben cool und machen das, was sie im 3x wöchentlichen Training gelernt haben: Einfach Fußball zu spielen! Passen, Stoppen, Passen, Bewegen. Er ruft „Spekulieren!“ und seine Jungs belauern wie Gerd Müller zu seinen besten Zeiten den Strafraum, wie kleine gierige Tiger, die zu hundert Prozent heiß auf den Ball sind und Tore erzielen wollen. Egal, welches seiner zehn bis fünfzehn Kommandos er aus dem Repertoire wählt, seine Jungs setzen es umgehend um. Sie wissen genau, was er von ihnen will. Er muss es nur rufen.
Im Grunde ist er der achte Mann auf dem Platz. Das Ganze hat schon etwas von Dressur, aber das Team spielt enorm erfolgreich, die Spieler selbst sind ehrgeizig. Meine Freundin sagt immer: „Die haben nichts anderes außer ihren Fußball, es ist das Einzige, worin sie sich auszeichnen können!“ Ich bin mir da nicht so sicher, aber ich bin auch nicht derjenige, der das richtig beurteilen könnte. Zwei Turniere, an denen wir teilnahmen und die Siemensstadt im Durchmarsch gewann. Ob sie schon jemals ein Gegentor kassierten? Ihr Torhüter ist ihr erster Stürmer, er dribbelt sich bis zur Mittellinie vor und passt der sprintenden 11 oder 9 in den Fuß. Wir hatten heute einmal eine kurze, winzige Chance, um gegen sie in Führung zu gehen. Aber, um ehrlich zu sein, es blieb die einzige Chance des Spiels. Stattdessen machten wir im vorauseilenden Gehorsam das Ding bei uns selber rein. Immerhin, scharf ins Eck, unhaltbar!
Man könnte jetzt sagen: „Gut, wir haben nur zwei reguläre Gegentore gegen Siemensstadt kassiert - der spätere Finalgegner dagegen sogar drei, oder waren es schon vier? Wir waren also viel, viel besser als der Zweitplatzierte, aber das ist natürlich Augenwischerei. Denn heute können wir ganz und gar nicht zufrieden sein mit unserer Leistung. Drei Siege, drei Niederlagen. Aber da die Siege erst spät erfolgten, waren sie auch nicht viel wert.
Dreizehnter von 16 Mannschaften – da ist man noch nicht ganz der Letzte, aber man kann ihn von dort aus schon gut sehen! Trostrundenfünfter! Nun gut, wir dürfen weiter hoffen. Wir haben noch viel Zeit, um unser Spiel zu perfektionieren, denn in diesem Leben werden wir Siemensstadt ohnehin nicht mehr einholen. Die spielen in einer anderen Liga, vielleicht betreiben sie sogar eine andere Sportart. Wir sollten bei ihnen mal heimlich auf Trainingsspionage gehen. Oder wir beginnen jetzt gezielt und systematisch mit dem Doping. Es muss doch möglich sein, wenigstens um ein, zwei Gegentore besser zu werden gegen Siemensstadt oder zumindest auf zwanzig Meter Raumgewinn zu ihnen aufzuschließen!
Woran hat´s gelegen? Meine These: Kollektiver Osterferien-Blues bei unseren aus dem Urlaub zurückgekehrten Spielern bis auf wenige Ausnahmen. Trainingsmangel und keine Kraft, keinen Saft in den Beinen. Den Kopf voll mit Ferienbildern und deshalb nicht frei für die schlichten, alltäglichen Dinge des Lebens: Hausaufgaben machen, Position halten, zu Fuß zum Kaufmann gehen und Milch holen. Hört sich jetzt etwas kryptisch an, aber genau so haben wir gespielt, ohne klaren Sinn und Verstand, blind drauf los und dabei noch nicht mal engagiert.
Schieben wir es der Einfachheit halber auf die plötzliche und harte April-Sonne und diesen strammen Wind an diesem vermaledeiten Samstag. So eine Art Weddinger Föhn, ein horizontal herein kommender Fallwind in unmittelbarer Nachbarschaft zu dröhnend startenden Fliegern von Tegel. Das Blut dick und langsam durch den Kopf sickernd, kriechend, ein quälend langer Sonnentag auf einem entlegenen Sportplatz im Berliner Nirgendwo. Albert Camus: Der Fremde! Zwei Testspiele auf dem Körte hintereinander hätten es auch getan, wären wahrscheinlich sogar besser gewesen. Aber gut, wir wollten es nun einmal wissen, das Turnier war gut besetzt, wir wollten mithalten. Jetzt wissen wir, wo wir stehen!
Dennoch: Nie wieder ein Turnier mit 16 Teams! Was soll das? Champions-League! Europa-League! Finden doch auch nicht am gleichen Tag statt. Der Größenwahn von Veranstaltern; man will den Kindern alles bieten und überbietet sich dabei. Einzug der Champions-League-Finalisten: Die Teams werden vom Schiedsrichter aufs Feld geführt, es fehlt eigentlich nur noch die Hymne aus einem blechernen, durch Windböen verzerrenden Lautsprecher. Es freut mich für die Kids, die das erleben durften, aber es stimmt mich auch nicht gerade zuversichtlich. Die einen jetten für ein paar Tage durch Europa, die anderen halten sich jetzt schon für den FC Barcelona.
„Habt ihr nichts anderes?“
Aber wir wollen niemanden kritisieren, auch keinen unserer Spieler, die sich allesamt zum Ende hin steigerten und tapfer schlugen und dann auch wieder mit Freude Fußball spielten und Tore schossen, ganz ohne schneidige Kommandos von außen und sogar ohne vorherige Aufstellung durch den Trainer. Die Spieler haben sich auf Anraten einfach selber aufgestellt und Positionen untereinander abgestimmt, um dann ihr Spiel zu machen. „Das habt ihr richtig gut hinbekommen, finde ich! Weiter so!“
Und beim nächsten Mal könnt ihr euch vielleicht sogar schon selber ein- und auswechseln, wie wär´s? Dann müsste niemand mehr weinen oder den Kunstrasen vor Zorn und Enttäuschung zerfetzen, nur weil ein Trainer ihn exakt zur Hälfte der Spielzeit - wie verabredet - zu Gunsten eines anderen Spielers auswechselt. Denn eines ist leider so, Geburtstage hin oder her: Auch Fußball ist kein Wunschkonzert, genauso wenig wie das Leben! Es sei denn, man spielt für Siemensstadt. Aber dann hat man auch nichts anderes außer Turniersiege. Angeblich!
Also, Schwamm drüber, und am Dienstag zum Training bitte wieder alle in alter Frische und mit reinem Herzen, dann sitzen demnächst sogar die Unmöglichen!
[TURNIER FOTO-FLASH-CUP / METEOR - 2. APRIL 2016]