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AMA / E2
SAISON 2017 / 2018

Differentielle Partizipation

HALLENTurnier WEissenseer FC

3. Platz

Ein Turnier zu verschriftlichen, an dem ich nicht teilgenommen habe, wagte ich schon einmal. Damals übte ich mich in kleiner Fundamentalkritik, denn obwohl das Team seinerzeit einen ersten Platz herausspielte, gab es ein paar Probleme mit der Zuverlässigkeit beziehungsweise dem pünktlichen Erscheinen am Spielort. An diesem individualpsychologischen Phänomen kann man allerdings ewig herumdoktern. Es lohnt sich so viel wie isoliertes Konditionstraining für E-Jugendliche, nämlich gar nicht.

So lag das Chaos dieses Mal auf Seiten des Veranstalters. Ein digitaler Turnierplan ohne Ergebniseinträge sowie zwei Spielflächen mit unterschiedlichen Spielzeiten, das ist schon ziemlich ungewöhnlich. Statt des angekündigten 4+1 wurde kurzfristig auf ein 5+1 umgestellt. Wie gut, dass wir acht Spieler dabei hatten, so bekam jeder nicht nur ausreichlend Spielzeit ab, sondern das Team als ganzes hielt gut durch bis zum Schluss. Gewechselt wurde nach einem vorher ausgeklügelten Modus, blockweise und nach festgelegter Zeit, so dass jeder Spieler bis auf den Torhüter Gelegenheiten zum Torschuss fand. Hätten wir auch den Keeper zu jedem Spiel gewechselt, wäre das didaktische Vorbild des Kinderfußballs perfekt erfüllt worden.

Aber gut, wir pendeln ja immer ein wenig zwischen Ideal und Praxis. Und da unsere Mannschaft sportlich und charakterlich nicht schlecht dasteht, können wir durchaus von uns sagen, insgesamt auf gutem Weg zu sein (auch wenn die Mannschaft in den Ferien oder an Feiertagen gerne einmal lebhaft in alle Richtungen ausschwärmt, wie man es sich sonst nur in einem Spiel wünscht). Aber um ehrlich zu sein, in den kommenden Wochen werde ich hier und da selber den Stab erneut übergeben: "Ihr geht hübsch trainieren, und ich mach` ein paar Tage blau!" Denn wenn es eine nützliche Erkenntnis aus diesem Turnier in Weissensee für mich gibt, dann vor allem die, dass ich prima ersetzbar bin. Sehr gut, das beweist, dass die Mannschaft funktioniert!

So saß ich also in der Ferne am kleinen Wannsee und folgte ergeben und strebsam den Ausführungen und praktischen Anleitungen gestandener Dozenten und studierter Referentinnen des Berliner Fußballverbandes im hauseigenen Leistungszentrum. Es liegt in einer edlen und sehr teuren Wohngegend, tief im Westen. Die Nachbarn tremolieren gern im Porsche 911 die schmale Straße herauf, bleiben vor den 5000qm-Grundstücken stehen, öffnen das Gartentor und rollen dann in eine Art Gewächshaus, in dessen Mitte man samt Wagen senkrecht in der Erde verschwindet. Auf den Klingelschildern firmieren Initialen wie "F. K. v. B." Darüber glotzt ein dunkles, gewölbtes Kameraauge auf die Straße und beobachtet, wer sich der gläsernen Autofahrstuhlschanze nähert.

Die Grundstücke reichen allesamt bis hinunter zum Seeufer. Für Spaziergänger bedeutet das nichts Gutes: Kein Zugang zum Wasser! Man muss schon Hausbesitzer, Gast oder freiwilliger Teilnehmer einer Schulung des BFV sein, um zum See zu gelangen. Allein dafür lohnt sich die Qualifizierung, zumal die alten, riesigen Kiefern im Garten der Erhabenheit der Grundstücke und üppigen Wohnvillen in nichts nachstehen.

Natürlich fragte ich mich, wie der Fußballverband zu solch einem millionenschweren Grundbesitz gelangen konnte? Ich fand eine kurze Beschreibung in einer ausgelegten Zeitschrift, aber dort war nur die Rede vom "Erwerb" des Hauses durch den Verband im Jahr 1950. Über Richard Genthe, den Namensgeber des Hauses, erfuhr ich zunächst nichts, doch hängt zumindest sein Konterfei als bronzenes Relief in der Treppenhalle des klassizistischen Hauses; ein wenig erinnert es an den in Karbonit eingefrorenen Han Solo aus Star Wars.

Genthe war ein bürgerlicher Fußballfunktionär, der in Berlin nach dem Krieg für eine schnelle Restrukturierung des Vereinsfußballs gekämpft hatte und gegen die Kommunalsportambitionen der eher kollektivistisch eingestellten Erneuerer war. Große Sportfeste gab es übrigens sehr schnell nach der Kapitulation der Deutschen. Die alten Vereine hatten jedoch einige Zeit zu kämpfen, um die ideologische Geißel des Nationalsozialismus abzuschütteln und wieder öffentlich wirken zu dürfen. Es wusste ja keiner so recht, was er nun gewesen war oder nicht. Und so wurden die Vereine von den Alliierten erst mal quer durch die Bank als politische Vereinigung betrachtet und verboten. Aber Richard Genthe hat dann alle davon überzeugt, dass Fußball im Verein immer noch besser ist als Turnen in der Volksgemeinschaft.

Wie auch immer, das Haus gehört seit vielen Jahren nun schon dem BFV, der dort das ganze Jahr über Schulungen anbietet und Hunderte von Ehrenamtliche zu lizenzierten Trainern und Schiedsrichtern ausbildet - und solange dies weiterhin so ist, wird sicher kein Porsche 911 über den Kies des Grundstückes rollen und in einem Pseudo-Gewächshaus verschwinden, das ist schon mal gut. Freilich sind die Apologeten des de-automotorisierten Zeitalters dort noch in der absoluten Minderheit, was dazu führt, dass am Sonntag Vormittag gern einmal die Wannsee-Polizei ausrückt, um Knöllchen an die halb auf den schmalen Bürgersteigen parkenden Autos der Teilnehmer zu verteilen, offenbar eilig herbei gerufen von aufgebrachten und echauffierten Anwohnern, die sich in ihrem Sonntagsspaziergang behindert fühlen. Wenn es um die Straße oder den Bürgersteig geht, werden die Seegrundstückbesitzer mit einem Mal wieder sehr öffentlich und fordern den gemeinschaftlichen Zugang und individuellen Gebrauch ein.

Nachdem ich von einer ziemlich amüsanten praktischen Übung zur Bildung der Viererkette mit Ü30 bis Ü50-Jährigen zurückkehrt war und im Seminarraum saß, schweiften meine Gedanken direkt zum Team in Weissensee. Was würden die Jungs reißen, wie wären sie drauf? Klappt alles? Doch zunächst ging es zur praktischen Abschlusseinheit in die Halle. Zwei Stunden später kam ich zurück auf mein Zimmer, die Waden voller Laktat und anderer Stoffwechselrestprodukte, als mein Mobil zum ersten Mal verheißungsvoll summte. Die ersten Meldungen trudelten ein: Wow, ein 4:0 gegen Weissensee! Ein Unentschieden gegen Empor, das ließ sich gut an! Noch bevor ich unter die Dusche schlüpfte, der nächste Zwischenstand: 1:0 gegen Pankow, Ion. Eine Minute später: 2:0, Ruben. Ich ging duschen, während mein Mobil selbstständig vor sich hin plinkte. 5 weitere SMS im Minutentakt, das Ergebnis schraubte sich hübsch in die Höhe. 7:0. Ich staunte nicht schlecht, was geht denn da ab?

Am Ende wurde ein dritter Platz heraus gespielt. Zwei Mannschaften hatten ihr Spiel gegen uns vorzeitig abgebrochen, das eine, weil es nicht verlieren wollte, das andere, weil es schon so gut wie verloren hatte. Natürlich müssen wir Trainer immer sehr genau darauf achten, dass Spiele nicht in Tätlichkeiten und Beleidigungen enden, das ist unsere allererste oberste Pflicht. Und wenn doch einmal die Emotionen überkochen, dann sollten wir sie nach Möglichkeit direkt im Anschluss mit allen Beteiligten glätten und etwaige Unstimmigkeiten klären. Denn auch das lehrt mich dieser Trainer-Lehrgang auf überraschend positive Weise: Alle Beteiligten dort verfolgen das gleiche Ziel, egal welches Vereinsemblem sie auf den Jacken tragen. Das Prinzip des Gleichen unter Gleichen leuchtet dort sehr freundschaftlich auf. Das sollte man mit hinaus in die Praxis tragen.

Für ein paar Tage bildet man auf solch einem Lehrgang eine verschworene Gemeinschaft mit nahezu übereinstimmenden Idealen und Wertvorstellungen. Alle wollen gute Trainer sein und den Nachwuchs zu eigenständigen Persönlichkeiten und technisch-taktisch gut ausgebildeten Fußballern formen. Voraussetzung dafür bleibt im Wettkampf das Prinzip der Fairness und Sportlichkeit. Eine gesunde Portion Gleichmut, Offenheit, Respekt und Mitmenschlichkeit können auch dem Fußball nicht schaden. Denn um im Bild des Sees zu bleiben: Im Grunde sitzen wir alle im gleichen Boot, und an Land gelangen wir nur dann, wenn wir alle in die gleiche Richtung rudern. In diesem Sinne: Bleibt Freunde, auch wenn eure Teams gegeneinander spielen! Und denkt daran, ohne Gegner, kein Spiel!

[HALLENTURNIER WEISSENSEE / 24. FEBRUAR 2018]


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3.Platz
Es spielten: Albion, Blerton, Fynn, Kolja, Luca, Samy, Ion, Ruben


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