AM f1 - BFC Preußen
11 : 1
Für den Augenblick dürfen wir feiern, ansonsten halten wir uns an das, was Pál Dárdai nach dem Freitagspiel gegen Gladbach über den Lauf seiner Hertha sagte: „Ich werde mir jetzt eine Zeitung kaufen, eine Schere nehmen, die Tabelle ausschneiden, sie ins Eisfach legen und einfrieren – und wenn ich sie dann im Mai wieder rausnehme, stehen wir hoffentlich immer noch da.“
Die Hertha putzte ihren Angstgegner in einer starken ersten Halbzeit weg und hat sich im ersten Drittel der Bundesliga festgesetzt. Einige von uns gingen ins Stadion und sahen Salomon Kalous famosen Dreier. Nicht alle jubelten, aber beeindruckt waren sie allemal. Und so bin ich durchaus überrascht, dass wir in unserem eigenen Spiel am darauf folgenden Tag noch eine Schippe drauf legten und gleich drei Spieler mit je drei Treffer bestaunen konnten: Luis, Julius und Julius.
Ich werde jetzt einen Zettel schreiben und ins Eisfach legen, ich schockfroste ihn und bin gespannt, ob er am nächsten Samstag noch gilt. Denn nächste Woche treffen wir auf einen neuen Gegner, allerdings auf einen mit besonderen Qualitäten. Berolina Stralau putzte zuletzt die Mariendorfer weg! Nur zur Erinnerung: Gegen Mariendorf haben wir zum Saisonstart verloren.
Freimütig attestierte ich dem Gegner des heutigen Spieltages, den Preußen, im Vorfeld eine gewisse Extraklasse. Dies vor allem deshalb, weil ich rein gar nichts über sie wusste. Hatten wir schon einmal gegen sie gespielt? Ich erinnere mich nicht.
Nun bin ich auch nach dem Spiel nicht wesentlich schlauer aus ihnen geworden. Mit zunehmender Spieldauer spielten wir sie regelrecht in Grund und Boden. Zum Ende hin fielen die Tore im Minutentakt. So etwas deutet auf einen kompletten Zusammenbruch einer Mannschaft hin. Was also ist der Kantersieg von heute wert?
Durchaus etwas! Denn wir spielten nahezu fehlerfrei, und wenn es etwas gibt, das mir besonders gut gefällt, dann genau dies: nahezu fehlerfrei zu spielen. Man kann hoch gewinnen und trotzdem viele Fehler machen, zum Beispiel massenhaft Torchancen liegen lassen oder nur fürs persönliche Ego-Konto spielen. Heute aber passte alles zusammen, passte das Team zusammen, und das war herlich mit anzuschauen. Allerdings fand die Mannschaft erst nach einer obskuren Intervention in der ersten Halbzeit zueinander.
Fynn, der mit feschen neuen Hallenturnschuhen antrat und auf dem schmierigen Platz ins Rutschen geriet, sollte von einem Paar fremder Schuhe von den unfreiwilligen Chaplin-Pirouetten erlöst werden. Oskar, immer geistesgegenwärtig und präsent, obwohl nicht nominiert, wohnte dem Spiel als Teammotivator bei und bot uneigennützig seine Noppenschuhe zum Tausch gegen Fynns Gleitschuhe an. Gesagt, getan, und so kam Luis für Fynn ins Spiel, damit dieser die Schuhe wechseln konnte. Die Gelegenheit ließ sich Luis nicht nehmen, er nahm ein paar Minuten und einige Meter Anlauf, dann traf er zum Eins zu Null und legte gleich darauf noch einen Treffer nach.
Das Verdienst, uns in Führung gebracht zu haben, verteilte sich also auf allerlei Füße und mehrere Spieler, selbst nicht-aufgestellte, ganz so, wie es der mannschaftliche Idealfall vorsieht. Solch eine phänomenale Kausalkette muss man erst mal zustande bekommen! Was wäre gewesen, wenn Oskars Füße nicht zum Spiel erschienen wären und Fynn weiter Slapstick und Gag-Bahn geübt hätte? Wir können also sagen, dass wir heute die Grenzen zum metaphysischen Wesen des Fußballs überschritten haben.
Der Platz tat ein Übriges. Man kann vieles über den Züllicher sagen, nur eines nicht: Er neige zur Perfektion. Sagen wir es so, es kommt auf die Perspektive an. Der Zülle ist weitläufig, sein Rasen unberechenbar. Im Sommer fussselt er wie eine punkige Angorakatze, im Herbst verwandelt er sich in ein schmieriges Seifenparkett. Bei Starkregen kann man in kürzester Zeit Tretboot auf ihm fahren. Heute war er extrem schnell. Die Bälle zischten nur so über die Schmierfettzunge. Zum Vorteil unserer schnellen Spitzen, die von geschickten Zuspielen aus dem Mittelfeld gespeist wurden. Wir demonstrierten ansehnlichen Fußball, ließen den Ball erstaunlich gut laufen und wurden mit vielen hinreißenden Treffern belohnt. Die Tore fielen nicht zufällig, dennoch gilt: Der Zülle eignet sich nicht für stabile Prognosen!
Das nächste Spiel wird über den wahren Stand unseres Team etwas mehr verraten, auch wenn wir erneut auf dem unberechenbaren Zülle antreten müssen. Mal sehen, in welcher Gestalt er uns nächste Woche begrüßt. Ich tippe auf harschen Schnee!
Um allen Spielern individuell angepasste Spielzeit zu geben, werden wir das Team rotieren. Aber gleichzeitig darauf achten, ihm sein Rückgrat nicht zu nehmen. Ich lasse mich gern überraschen von jedem blitzsauberen Dreier – egal von wem. Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass nur eine stabile Team-Achse solch unerwartete Glücksmomente beschert. Darum wird es weiterhin heißen: Es ist egal, wer die Buden macht, aber an der Vorbereitung und Umsetzung ist das ganze Team beteiligt. Bleiben die Buden aus oder machen wir viele Fehler, weiß ich, dass die Kühlkette unterbrochen ist und wir sie neu ausrichten müssen.
Freilich müssen wir deshalb nicht gleich zur Kryonik überlaufen.
[5. SPIELTAG/ SAMSTAG, 5. NOVEMBER 2016]