FV Wannsee U15 - AMA U15
1 : 4
Nach dem Spiel fragte ich mich, ob es so etwas wie unbewusste Parteilichkeit im Schiedsrichterwesen gibt? Einen Moment und einen situativen Auslöser, der zur Folge hat, dass ein Schiedsrichter unwillentlich gegen ein Team pfeift, obwohl er das gar nicht wirklich vorhat. Es geschieht einfach. Wie kam ich darauf?
Nun, in diesem Spiel fand vieles statt, nur leider wenig ansehnlicher Fußball. Eine sehr kampfbetonte Partie mit wenig spielerischen Elementen. Vor den hohen Kiefern des idyllischen Waldsportplatzes, auf dem der BFV seine Trainerausbildungen abhält, spulten sich 75 Minuten Rumpelfußball herunter, ein permanenter Fight um den Ball, so gut wie kein aufkommender Spielfluss, kaum Leckeres fürs Auge, dafür viel Bitteres für die Galle, ein überdosierter, zu lange auf der Platte abgestandener Filterkaffee zum überzuckerten Blechkuchen. Dabei begann die Partie durchaus verheißungsvoll für uns mit einem frühen Tor, einem Kopfball nach einem Freistoß, bei dem der Torschütze völlig unbedrängt im Fünfmeterraum abschließen konnte.
Dies blieb aber auch die einzige Szene, in der uns der Gegner reichlich Raum zur Entfaltung überließ. Von da an stand uns Wannsee im wahrsten Sinne auf den Füßen, quälte uns mit kleinen Tritten nach dem Ball und gekonntem Geschiebe im Rücken, alles am Rande und knapp jenseits der Legalität. Sie hatten sich viel vorgenommen, das spürte man deutlich, waren sehr präsent und zweikampfstark. Geschickt verschlossen sie die Räume und verlegten sich bei eigenem Ballbesitz auf lange Bälle, ein Team der altenglischen Tugend des Kick `n Rush.
Leider waren wir nicht smart genug, ihr Pressing mit spielerischem Schneid oder mit taktischer List ins Leere laufen zu lassen. Wir ließen uns v i e l zu sehr in die eigene Hälfte drücken, standen im Aufbauspiel meistens zu tief, boten kaum Bewegung ohne Ball, stachen nicht effektvoll und zielstrebig genug in die Tiefe vor, standen in der Defensive selber viel zu weit entfernt vom Gegner, so dass unser Spiel einfach nicht in Gang kommen wollte.
Etwa in der zwanzigsten Minute teilte mir dann einer meiner Spieler mit, dass er von einem Gegenspieler beleidigt worden war mit einem eher eigenwilligen Ausdruck, den man hier allerdings auch nicht wiedergegeben muss. Ich wandte mich daraufhin direkt an die Verantwortlichen von Wannsee in der Annahme, sie würden auf die Fehlleistung ihres Schützlings reagieren. Was sie aber unmittelbar nicht taten, weshalb ich meinem Spieler über den Platz ermutigend zurief, er solle sich nicht weiter beeindrucken lassen, Klappsköpfe gäbe es leider überall.
Immerhin dies hatte der Jungschiedsrichter dann mitbekommen, denn er lief direkt zu mir und zeigte mir die gelbe Karte. Ich fragte ihn, wofür? Er antwortete: Für Beleidigung. Ich ließ dies im Raum stehen, wenngleich ich mich schon wunderte, dass eine allgemein getroffene Aussage direkt auf jemanden bezogen werden kann, der indes für sein eigenes Fehlverhalten in keinster Weise zurechtgewiesen oder gar verwarnt worden war, mithin schlussfolgernd gar nicht gemeint worden sein konnte. Wer aber dann? Nach dem Spiel sagte mir einer der Heimtrainer, er hätte mit seinem Spieler in der Pause gesprochen. Leider vergaß ich zu fragen, ob es auch eine Entschuldigung gegegeben hätte?
Wie auch immer, ich glaube, dass dieser Moment bei dem Jungschiedsrichter den Schalter umwarf, ganz unbewusst, denn ab da mehrten sich Entscheidungen, die auf obskure Weise gegen uns waren und insbesondere in der zweiten Hälfte zu einer seltsamen Parteilichkeit führten, die ich in solcher Deutlichkeit schon lange nicht mehr erlebt habe, ich war zuletzt davon ausgegangen, sie sei ausgestorben. Vielleicht auch daher meine Verwunderung.
Zwischenzeitig wirkten die Entscheidungen des jungen Schiedsrichters in der Partie so eklatant, dass es selbst einem der Verantwortlichen des Gegners unangenehm wurde und er eine beschwichtigende Bemerkung in Richtung unserer Trainerbank fallen ließ. Egal, was wir auf dem Feld machten, es wurde gegen uns gepfiffen, obwohl im vergleichbaren Umkehrfall stets weitergespielt wurde. Meinem Assistenten erging es dann wie mir, auch er sah die gelbe Karte. Seine eruptive Entrüstung über die deutliche Schieflage des leitenden Schiffes in dieser aufgewühlten See komplettierte er nach dem Sehen des gelben Kartons damit, dass er die signalfarbene Flagge des nichtneutralen Schiedsrichterassistenten desillusioniert über Bord warf. Sie hatte eh keinen Einfluss auf die Entscheidungsfindungen gehabt und war als Rettungshilfe an der Seitenlinie schlicht überflüssig.
Nachdem wir dem Gegner dann Mitte der zweiten Halbzeit auch noch unseren obligatorischen Gegentreffer hergeschenkt hatten, jedoch direkt im Gegenzug wieder um eins hatten erhöhen können, geschah etwas Ungeplantes. Wir wechselten einen Spieler ein, der für dieses Spiel nicht vorgesehen, wenngleich regulär nominiert worden war. Er zog sich auf der Bank um, was wiederum jemandem aufgefallen sein musste, wir wissen nicht genau wem, dem Schiedsrichter, dem Gegner? Jedenfalls zierte später eine Eintragung im Spielbericht das Feld „besondere Vorkommnisse“, in dem in einem Satz festgehalten wurde, dass sich „der eingewechselte Spieler mit der Nr. 11 auf der Ersatzbank umgezogen“ habe. Kein Wort zu der Beleidigung auf dem Platz oder die arg überzogene Halbzeitpause durch den Gegner, dafür aber der wohlfeile Hinweis auf diesen Spieler, der sich auf der Bank umgezogen hatte. Why?
Beim BfV und der ganzen obskuren Ehrenamts-Bürokratie weiß man ja nie, was solch eine Bemerkung bewirken kann. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie dazu führt, dass das Spiel auf dem grünen Tisch landet oder besser noch – direkt gegen uns gewertet wird. Ich denke da mit großem Unbehagen an das D-Jugend-Pokalspiel gegen Hertha Zehlendorf zurück und das krude Verhalten des Jugendwarts des damals unterlegenen Teams. (Lustig irgendwie, dass der Jungschiedsrichter zufällig dem gleichen Verein angehört - mögen die uns nicht?) Aber hier würden wir kontern! Laut Regeln nämlich, die niemand wirklich kennt, muss man beim Auflaufen als Spieler sein Trikot in die Hose stecken. Erst zum Spiel darf es herausgezogen werden. Freilich würden wir genau diesen Punkt anführen als potentielles Argument dafür, dass ein gegen uns gewertetes Spiel nicht gewertet werden darf, da sämtliche Spieler ihr Trikot zum Auflaufen nicht in die Hose gesteckt, sondern über sie gezogen getragen hatten. Sie hätten sich also nicht regelgerecht für das Auflaufen zurecht gemacht - und dies mitten auf dem Platz!
Die Frage, wer diese Eintragung vorgenommen hat, ist äußerst interessant. Wäre es der Gegner gewesen, könnte es darauf hindeuten, dass hier der Versuch unternommen werden sollte, mit einem weiteren Störmanöver und formalem Nachtreten unser gewonnenes Spiel zu diskreditieren, zu durchbrechen und nachträglich zu zerstören, zumal der eingewechselte Spieler in den zehn Minuten, die sein lädierter Oberschenkelmuskel hergab, gleich mal das entscheidende dritte Tor für uns erzielte. Wäre es wiederum der Schiedsrichter gewesen, dann erstaunte doch, wie vieles er eigentlich vom Geschehen am Rande des Spieles mitbekommen hätte, was sowohl gegen als auch für die zwischenzeitig doch recht einseitige Linie seiner Wahrnehmungen auf dem Platz spräche. War sie gefühlt einseitig, weil er mit vielen anderen Beobachtungen beschäftigt war, sprich abgelenkt? Oder war sie gefühlt einseitig, weil er es doch auch ein wenig so wollte, wenn auch unbewusst?
Ich glaube, es gibt dieses psychologische Ding tatsächlich, es geschieht einfach so, ohne dass man es wirklich steuern könnte, so wie man aus unerklärlichen Umständen heraus plötzlich und auf obskure Art jemanden nicht mag oder nicht traut oder einfach plötzlich einen Vorbehalt gegen ihn hat. Was sich aber auch wieder durch ein anderes Ereignis vollständig auflösen und verflüchtigen kann, als eine andere Art Öffnung des Menschlichen, in beide Richtung permeabel.
Denn wahr ist auch, dass zum Ende der Partie die aufgewühlte See plötzlich wieder ganz ruhig wurde und der Sturm gegen uns schlagartig abflaute. Mit einem Mal bekamen wir sogar einen Strafstoß zugesprochen nach einem Zangen-Schubser-Foul an unserm Angreifer, das in seiner Art mehrfach zuvor ähnlich geschehen, aber nie geahndet worden war. Der Gefoulte nahm selber Anlauf und hämmerte den Ball flach und scharf in die linke untere Ecke. Der Ball sprang vom hinteren Umlaufrahmen wieder zurück, bevor der Keeper überhaupt unten war. Auf unserer Bank fragte ein Spieler, war der drin?
Ich war selbst verblüfft, mir aber absolut sicher: Ja, der war drin! Das hatte der Schiri auch so gesehen, pfiff das Spiel noch mal kurz an, dann gleich ab.
Ende der Vorstellung.
[12. Spieltag / So. 22. Januar 2023]