FV Wannsee E1 - AMA E1
1 : 12
"Die Kunst liebt den Zufall, der Zufall liebt die Kunst."
(Agathon, zit. n. Aristoteles)
Ich hätte gerne auf dem lauschigen Kunstrasenplatz der Anlage vom FV Wannsee gespielt, dort, wo ich knapp vor einem Jahr selber einige Male zum Training auflief, von jungen und gestandenen Fußballlehrerinnen und -lehrern des BFV angeleitet und mit den Feinheiten des individual- und gruppentaktischen Offensivspiels vertraut gemacht. Der Platz gefiel mir ob seiner Waldlage mit den hohen alten Kiefern. Es machte großen Spaß, dort zu kicken.
Hinter einem kleinen Zaun standen kleine bunte Kinder wie die sieben Zwerge mit Zipfelmützen und Bommeln an den Handschuhen und winkten uns fröhlich zu. Sie gehörten zur benachbarten Kita. Unsere Trainings-Gruppe war für sie eine willkommene Vormittags-Abwechslung abseits des Sandkastens. Ein bisschen verkehrter Zoo: Wir standen in engen schwarzen Thermostrumpfhosen und signalfarbenen Kleider-Leibchen auf dem grünen Kunstrasen, während die Kindern hinter dem Zaun lustige Grimassen schnitten. "Was macht ihr denn da? Spielt ihr Fußball?"
Als ich dann am Anfang der Saison sah, dass wir auswärts gegen den FV Wannsee spielen würden, freute ich mich sehr, denn an einen schönen und vertrauten Ort zurückzukehren, ist immer ein großes Glück. Und diesmal würde es sogar in offizieller Mission eines Ligaspiels sein. Toll, dachte ich! Nicht mal im Traum zog ich in Erwägung, dass man uns auch auf den holperigen Rasen des benachbarten Stadionplatzes schicken könnte, den ich auf dem Lehrgang ebenso kennen gelernt hatte in einer äußerst denkwürdigen Trainingseinheit zur Bildung der Viererkette:
Etliche weit über dem Zenit ihrer physischen Leistungsfähigkeit stehende Männer und zwei junge Frauen wurden bei bitteren 1 Grad Celsius auf einen knochenharten, durchgefrorenen Rasen geschickt, um zum ersten Mal in ihrem Leben eine Viererkette einzustudieren. Wenn die Hüftsteifigkeit nicht schon für reichlich Komik sorgte bei den Einheiten, dann auf jeden Fall die technischen Unzulänglichkeiten der Veteranen im Verbund mit dem harschen, unbespielbaren Untergrund.
Ein Elternteil warnte mich rechtzeitig vor: "Nehmt besser eure Stollenschuhe mit, die haben da einen üblen Rasenplatz!" Ich weiß, ich weiß, antwortete ich! Also schaute ich flugs in die offizielle Spielfestlegung und sah, dass Kunstrasen als Spielstätte angegeben worden war. Entwarnung! Von wegen! Kaum kamen wir am sonnigen späten Samstagmorgen am Stadion an, sah ich schon die beginnenden Aufbaumaßnahmen für ein Kleinfeldspiel auf dem berüchtigten Naturrasen. Die werden uns doch nicht etwa da rauf schicken? Doch!
Ohne große Umschweife legte ich mich kurzerhand mit dem Kollegen der Heimmannschaft an und monierte, dass offiziell ein Kunstrasen als Spielstätte angegeben worden sei. Er konterte mit Verweis auf die Jugendspielordnung des Verbandes. Aus Mangel an Detailwissen konnte ich den entscheidenden Passus erst nach dem Spiel eruieren, denn angeblich dürfe der Heimverein auch auf ein anderes als das angegebene Geläuf ausweichen, solange es zur Sportanlage gehöre, behauptete der Kollege. Nach Paragraph 14, Absatz 6 heißt es dort: "Jedes Pflichtspiel hat zum angesetzten Spieltermin und auf der angesetzten Sportanlage stattzufinden."
Tja, was ist eine Sportanlage? Ein bestimmter Platz oder ein ganzes Areal von Plätzen unter einer einzigen Adresse? Ich wendete noch kurz ein, man hätte uns doch zumindest vorher Bescheid geben können, um das richtige Schuhwerk einpacken zu lassen. Das taten einige unserer Spieler wohlweisslich sogar, aber natürlich besitzen nicht alle neben den Kunstrasenschuhen noch ein Paar Stollenschuhe. Wie auch immer, das Spiel blieb letzten Endes absolut fair und freundschaftlich. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass der FV Wannsee irgendeinen Vorteil aus dem matschigen, glitschigen Geläuf ziehen konnte. Im Gegenteil, wir kamen viel besser ins Spiel.
Immer, wenn wir früh in Führung gehen und Tore nachlegen, bündeln wir unsere Kräfte zu einem enormen Muskelstrang, der uns selbst in krassen Momenten der Unachtsamkeit relativ ungefährdet durch ein Spiel trägt. Wir spielen dann, als radelten wir mit großem Rückenwind. Für den Gegner ist es dabei extrem schwer, gegen uns anzukommen. Der Anschlusstreffer zum Drei zu Eins war vielleicht ein kurzer Moment, in dem wir einmal die Ordnung verloren. Aber der Wind drehte sich dadurch nicht. Wir packten erneut etwas kräftiger zu im Mittelfeld, sortierten unsere Abwehr, und schon kam unser Kombinationsspiel wieder in Schwung. Bis zur Pause waren wir auf vier Tore Abstand davon gesaust.
Der Gegner wirkte bereits etwas angeschlagen und entkräftet, kam aber noch einmal optimistisch aus der Kabine zurück. Nur spielten wir jetzt so gut und sicher, dass ihm annähernd gar nichts mehr gelang. Wir kombinierten ruhig und entschlossen weiter, erarbeiteten uns neue Räume und kreierten weitere Torchancen. So schraubten wir den Spielstand kontinuierlich in die Höhe auf ein Ergebnis, das ich vor dem Spiel sicher nicht erwartet hätte. Aber um so besser!
Es gibt nämlich Konstellationen im Leben, die ob ihrer Einmaligkeit schon beinahe künstlich herbei geführt wirken. Zum Beispiel wenn zwei Teams in einem isolierten Nachholspiel am Ende einer ausgespielten Staffel nach je acht absolvierten Spielen zufällig mit gleicher Punktzahl und gleicher Tordifferenz, mit je nur einem Tor Unterschied bei den erzielten und erhaltenen Treffern, aufeinander treffen, um den offiziellen Staffelsieger zu ermitteln. Quasi ein Endspiel, ohne dass ein solches bei dem Staffelmodus überhaupt vorgesehen wäre. Genau das geschieht aber am nächsten Sonnabend Vormittag um 9.30 Uhr in der Hämmerlingstraße 88, wenn wir auf den 1. FC Union Berlin treffen, unseren allerbesten Liga-Konkurrenten und lieben Freund.
Ohne dieses Spiel der Spiele überzubewerten, aber die Ausgangssituation könnte wohl kaum spannender, obskurer und wunderlicher sein. Im Grunde stehen beide Teams nach 9 Spieltagen nahezu exakt gleich hoch in der Tabelle (wir um einen symbolischen winzigen mehr erzielten Treffer vorn, aber das Torverhältnis zählt nach den BFV-Statuten ohnehin nicht), es feht nur noch diese eine Partie zum Abschluss der gesamten Staffel. Rein theoretisch müsste ein Unentschieden gar durch anschließendes Neunerschiessen entschieden werden. Ich könnte jetzt zu einer kleinen Eloge auf magische Zahlen und bestimmte Datierungen anstimmen, die in einem gesonderten Sternkonstellationsverhältnis zueinander stehen und eines jeden Kinnlade runterklappen ließen, lasse es aber besser, um keine unnötigen Interpretationsexperimente aufkommen zu lassen.
Denn auf der anderen Seite wird dieses Spiel der Spiele auch nur ein Spiel von weiteren neun Spielen in dieser Saison sein, bei dem das Niveau ähnlich hoch und gleich intensiv ausfallen wird. Denn egal, wie das Treffen nun ausgeht, wir haben uns jetzt schon für die Super-Staffel der Rückrunde qualifiziert und werden wie in der letzten Saison gegen die absoluten Top-Teams unseres Jahrgangs in Berlin antreten. Wieder sind wir der Zukunft um einen kleinen Schritt voraus, obwohl wir noch nicht mal an unserem eigentlichen Ziel angelangt sind, wer hätte das gedacht zu Saisonbeginn? Aber gut, bei uns gilt ja ohnehin: Der Weg ist das Ziel.
[9. Spieltag / 17. November 2018]