AMA - Rot-Weiss Viktoria Mitte
3 : 2
"Es gibt Leute, die denken, Fußball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist."
(Bill Shankly)
Ich gebe zu, dieses Bild stammt aus guten alten Zeiten. Es belegt zudem eindeutig, dass Kloppo mit dem Umzug nach Liverpool nicht nur die Liga, sondern auch den behandelnden Zahnarzt gewechselt hat. Schwarzer Hals, gelbe Zähne wie in Dortmund – das war einmal! Aber vor allem zeigt das Bild einen Menschen in einem Zustand, in dem ich mich selber zu meiner großen Schmach oft genug wiederentdeckt habe. Dieses Mal ging er, der Zustand, allerdings zu weit.
Es war in unserem Heimspiel gegen die Siegreichen Rotweißen des bitteren Hinspiels ab etwa der 62. Spielminute. Wie kam es dazu?
Eine echt heiße Kiste, denn wir führten recht souverän und selbstbewusst mit drei zu null Toren, hatten das Spiel im Grunde im Griff und näherten uns eher dem vierten Treffer, als durch unergründliche Umstände und ein unvordenkliches Moment plötzlich alle und alles in ihr Gegenteil kippten und wir wie ein vollbeladenes Containerschiff direkt vor der Einfahrt in den heimatlichen Hafen unseren Kurs verloren.
Dabei hatte ich das Team in der Pause noch eindringlich vor allen Untiefen gewarnt. Ich hatte alles benannt, was wir unbedingt vermeiden wollten. Doch als wäre dieses Aussprechen der Tabus das sie gleichzeitig durchbrechende Provokationsmoment, legten wir mit einmal eine seltsame schwarz-magische Kür auf das Parkett, die der souverän gestandenen Pflicht zuvor grotesken Hohn lachte.
Innerhalb von zwei Minuten war unsere sichere Führung auf ein mickeriges Tor zusammengeschrumpft, und wir erlebten eine Schlussphase wie aus einem schlechten Hollywood-Blockbuster, der seit der unsinnigen Erdbebenkette zur Eröffnung mit immer abstruser wirkenden Scharmützeln am laufen Band aufwartet, um dann am Ende plötzlich so zu tun, als sei auf der Welt wieder alles in Butter.
Zum Haareraufen, wenn ein Team ein sicher geführtes Spiel aus der Hand gibt und man als Trainer von außen nicht ans Eingemachte der eigentlichen psychologischen Ursache heran kommt, man schreit sich die Galle zwar aus dem Hals, doch alles, was passiert, ist, dass man sich zum Gespött des Platzes und des Tages macht. Und dies in einem so wichtigen Spiel, dessen Ton wir eigentlich von Anfang an gut bestimmten, auch wenn der Gästetrainer ebenso hörbar darum bemüht war, uns den Schneid erneut abzukaufen.
Im Vergleich zum Hinspiel funzte es aber dieses Mal bei uns und unser neuer Neuner ersetzte den gewohnten gleich mit drei kristallklaren Buden. Jedoch reichte diese Offerte offensichtlich nicht aus, allen weiteren Stilmitteln so viel Stabilität zu geben, dass wir die Sache ruhig zu Ende schauspielern konnten. Statt der vorgesehenen offensiven Wechsel mussten wir plötzlich erheblich bangen, ob die bewährten defensiven Kräfte die Sache überhaupt noch solide zu Ende bringen würden. Wir standen hinten in etwa so konzentriert vor und im Strafraum wie ein Tropfen Feuerwasser im See von Genezareth, und irgendwie passt dieses total schiefe Bild perfekt und wie die Faust aufs Spielauge. Wir tranken aus einer prall gefüllten Feldflasche, deren Boden ein Sieb war.
Es ist mir unsäglich peinlich, ich hoffe, mich hat niemand gefilmt oder fotografiert, aber innerhalb von zwei Minuten verlor ich meinen gesamten inneren Ancelotti, der ja ohnehin nur ein gefakter Fischer ist. Es fielen sämtliche meiner Masken gleich neben meine ausgerenkte Kinnlade, und was dahinter zum Vorschein kam, gehörte wahrlich nicht auf einen Fußballplatz, sondern eher in eine polizeiliche Maßnahme oder Ausnüchterungszelle, wenngleich ich betonen möchte, dass alles Gezeter und Mordio vielleicht doch ein klein wenig nützlich und außer sich geratene Verzweiflung war, um diesen so schön herausgespielten Vorsprung in einer so sicher geführten Partie irgendwie über die Zeit zu bringen.
Was freilich nichts daran ändert, alle Welt dafür um Entschuldigung zu bitten: Mea culpa!
[16. Spieltag / Sa. 2. März 2024]