Endrunde, Kinderkrebshilfe Cup 2019
3. Platz
So viele Tränen flossen: bittere, gerührte, weggedrückte, die Stimme erstickende, fassungslose Tränen. Tränen der Verzweiflung, Tränen der Enttäuschung, der Verbitterung, aber auch viele Freudentränen flossen. Und wer weiß, was anschließend nicht noch alles an tröstlichem und untröstlichem Wasser im Boden der Einfühlung und des Nacherlebens versickerte, leise, still und heimlich.
Diese Endrunde hatte es in sich, ein aufgewühlter See der Dramatik, der an die schroffen Schicksalsufer von Glück und Unglück schwappte. Gerechtigkeit ist zweifelsfrei fehlbar, nicht nur im Sport. Aber gerade dort tut sie sich manchmal schwer. So gibt der Sport ein schönes Modell für das Leben ab. Er ist nichts anderes als eine Vorstufe zur Lebenskunst.
Zu weinen ist ein eigenwilliges, menschliches Phänomen. Man muss freilich nicht wegen jeden Fitzelchens in Wut oder Tränen ausbrechen, aber wenn die Seele nun einmal von etwas bedrückt oder ergriffen wird, dann ist es gut, wenn durch den Körper etwas Salziges schießt und das Gemüt erfrischt.
Natürlich ist auch das Nichtweinen oder bewusste Aushalten größter innerer wie äußerer Schmerzen ein phänomenaler Akt des menschlichen Wesens. Wer einmal wirklich etwas auszuhalten hatte, Schmerzen, Ängste oder einen Schicksalsschlag, der wird mit jedem, der wegen eines verlorenen Spiels oder eines versemmelten Elfmeters mit dem Leben hadert, sicherlich sehr nachsichtig sein und ihn schnell auf erlösende Gedanken bringen. Im Moment des Spiels und auf der Ebene des Gefühls ist der erlebte Augenblick jedoch immer grausam und echt.
Tränen im Sport sind etwas Besonderes, obwohl man dem Sport im Grunde jeglichen Lebensernst absprechen könnte. Jeder Wettkampf ist am Ende nur ein lächerliches Spiel. Auch wenn es oft so wirkt, aber im Sport geht es eben nicht um Leben und Tod. Der Sport ist ein vergleichsweise harmloser Schicksalsbote. Jedoch zieht die Dramatik der Ereignisse sowohl Akteure als auch Zuschauer in heftigsten Bann, beinahe noch schlimmer als jede griechische Tragödie. Da sich so viele potentielle Ereignisse des Lebens im Sport spiegeln, wird der Wettkampf als hoch pulsierendes Gefühlskinos von den Massen geliebt. Sie leiden und jubeln mit, als gelte es das Ende der Welt abzuwehren.
Beim Sport verschränken sich zwei Sphären: Das Wirkliche und das Relative. Ja, der Ball war in unserer Halbfinalbegegnung gegen BAK sicherlich eindeutig hinter der Linie, auch wenn einer der beiden Schiedsrichter es anders sah und deshalb das Tor nicht gab! Und: Ja, wahrscheinlich wären wir mit diesem leider nicht gegebenen Tor womöglich direkt als Sieger vom Platz gegangen und hätten nicht ins Elfmeterschießen gehen müssen, das für uns unglücklich verlief. Aber wir wären auch gar nicht erst bis in Halbfinale vorgedrungen, wenn nicht kurz zuvor in einem der Gruppenspiele ein Unentschieden zwischen zwei anderen Teams uns dies ermöglicht hätte. Ein Tor mehr in jener Partie zwischen Viktoria und Internationale (oder weniger), und wir wären trotz guter Leistung im dritten Gruppenspiel ausgeschieden.
Wir verloren unser Auftaktspiel gegen Viktoria knapp, aber auch durch eigene Unachtsamkeit, weshalb wir unversehens in eine große Drucksituation gerieten und beide übrigen Gruppenspiele unbedingt gewinnen mussten. Einen weiteren Ausrutscher konnten wir uns nicht leisten. Gegen Internationale steigerten wir uns, gleichwohl blieb es spannend und Nerven zehrend bis zum Schluss. Was nützt einem spielerische Dominanz, wenn man sie nicht in Tore umwandeln kann? Ein harter Schuss am Ende des Spiels, der einzige Torschuss des Gegners, hätte uns beinahe den Kopf gekostet. Unser Keeper konnte ihn mit den Fingerspitzen der übergreifenden Hand gerade noch so über die Latte lenken.
Das meine ich, wenn ich von Relativität spreche. Andersherum: Hätten wir alle unsere Chancen während des gesamten Turniers besser genutzt, wären wir mit der schönsten, reinsten Wirklichkeit locker und leicht bis ins Endspiel vorgedrungen. Das Schöne am Sport ist eben diese unberechenbare Laune des Unvorherbestimmten, an der sich der menschliche Wunsch nach Gerechtigkeit die Zähne ausbeißt. Videobeweis hin oder her, die Dramatik zwischen dem Möglichen und Unmöglichen, dem Gerechten und Ungerechten, bleibt inhärenter Teil des Spiels. Wenn man es genau nimmt, ist genau dies die Schule des Lebens. Jeder Wettkampf ist eine Miniatur des Schicksals. An ihr lässt sich alles studieren, was das Lebensdrama auch im Großen bietet.
Im dritten Gruppenspiel wehrten wir uns unter Aufbietung all unserer Kräfte und unseres Könnens gegen das drohende frühe Ausscheiden und boten gegen Wilmersdorf eine beherzte und spielerisch überzeugende Vorstellung. Der Sieg ging vollauf in Ordnung und rettete uns dank der Mithilfe von Internationale ins Halbfinale. Gleichwohl war dieser Erfolg von einigen kleinen persönlichen Tränen der Enttäuschung begleitet, konnte doch nicht jeder der elf nominierten Spieler derart an ihm mitwirken, wie er es sich vielleicht gewünscht hatte. Das ist verständlich, allerdings auch etwas übertrieben. Denn freilich gewinnt und verliert man immer als Team, nie als Einzelner. Und dass nicht alle gleichviel Spielzeit abbekommen würden, hatte die Mannschaft bei der Nominierung drei Tage zuvor auch akzeptiert. Natürlich denkt jeder Spieler dann, ihn würde es schon nicht treffen.
Insgesamt bin ich durchaus froh und zufrieden, dass alles so lief, wie es lief, denn in der Summe war diese Endrunde und unserer Teilnahme an ihr ein wunderbarer Moment der reinsten Wirklichkeit für alle Beteiligten: für die Akteure, wie für die Zuschauer. Ein schönes Spektakel mit großem Erinnerungspotential und vielen neuen Erfahrungen, auf das wir am Ende mit dem erreichten dritten Platz sehr stolz sein können. Genau so verrückt ist das Leben nun mal: Einmal wird man vom Zufall begünstigt, ein anderes Mal muss man mit den größten Ungerechtigkeiten des Lebens auskommen. Wer sich vom Sport inspirieren lässt und für das Leben begeistern kann, der wird sicher auch im nächsten Wettkampf als Gewinner vom Platz gehen, auch wenn er knapp verliert.
Damit will ich nicht sagen, dass nicht jede Form der Ungerechtigkeit unbedingt ausgeglichen werden sollte und absolut unakzeptabel ist. Der Wunsch nach Gerechtigkeit muss nicht per se einem höheren Wesen überantwortet werden. Jeder ist letztlich gefragt, ehrlich und fair zu handeln. Das Leben ist schon ungerecht genug, da kann der Mensch schon mal etwas zum allgemeinen Ausgleich beitragen und nach Gerechtigkeit streben.
Zuzugeben, dass ein Ball eindeutig hinter der Linie war, würde auch im zivilen und gesellschaftlichen Bereich für mehr Gerechtigkeit sorgen, selbst wenn man persönlich dadurch ein Nachsehen hätte und das große Finale nicht erreicht.
[Endrunde Kinderkrebshilfe Cup 2019 / 3. März 2019]