Hic sunt Leonies
1. Platz
Gegen Mittag begann es kurz zu schauern. Es blieb die einzige Eintrübung an diesem achten März, dem neuen Feiertag in Berlin. Einige schwere Wolkenklafter drifteten später Richtung Nordosten, ansonsten schien die Sonne.
Am Vormittag bibberten die Spieler noch in ihren dünnen Thermoshirts. Einige hatten keine Handschuhe dabei, anderen fehlte eine wärmende Daunenjacke am Spielfeldrand. So rotierten wir viel und wechselten fleißig ein und aus. Es sollte zu unserem Nachteil nicht sein. Für den Anfang sah unser Spiel nach der Winterpause schon ganz ordentlich aus. Aber in den Details erwartet uns noch ein bisschen Arbeit.
Der neue Feiertag ist wunderbar. Hier eine Dokumentation zur Kulturgeschichte der Vulva, dort ein Live-Mitschnitt eines Konzerts von Anna Calvi. Ein einziger Frauentag allein reicht jedoch bei weitem nicht aus, Verhältnisse dauerhaft zu revolutionieren. Welchen prägenden Anteil haben Frauen eigentlich am Fußball? Ich meine jetzt nicht im Frauenfußball. Gibt es eine Vereinspräsidentin, eine Sportmanagerin, eine hoch bezahlte Trainerin im Profifußball? Sogar in den Amateur-Vereinen dürften Frauen ziemlich unterrepräsentiert sein.
In vielerlei Beziehung nehmen sich die Geschlechter nicht mehr viel: Nur wenige Männer interessieren sich für Frauenzeitschriften, nur wenige Frauen begeistern sich für getunte Autos. Doch Sportverbände und Sportorganisationen bilden immer noch den reinsten Männerfilz, schlimmer als Autoindustrie und katholische Kirche zusammen. Wurde schon mal eine Ärztin des systematischen Blutdopings von Biathletinnen überführt? Oder hat sich eine Funktionärin bei der Vergabe einer Weltmeisterschaft schmieren lassen? Gibt es überhaupt einflussreiche Funktionärinnen im Weltfußball?
Machen wir uns nichts vor, die meisten Frauen wissen ganz gut, weshalb sie sich mit gewissen Teilen des Weltgeschehens nicht sonderlich befassen. Vom Sport allerdings verstehen sie mindestens genauso viel wie das andere Geschlecht, warum als diese Zurückhaltung?
Man lässt sie schlichtweg nicht vor! Jeder weiß, dass es Männer in große Erregung versetzt, immer höher, immer weiter, immer schneller in den Himmel der Selbstherrlichkeit aufzusteigen, um sich von kleinen Untergebenen feiern zu lassen. Zwar kleben auch Frauen an der Macht, wenn sie sie einmal erringen, aber den Beweis dafür, dass sie Weltkriege anzetteln und andere Völker ausrotten können, blieben sie der Menschheit bislang noch schuldig. Sie sind oft verstrickt, aber zetteln selten an. Das kann sich allerdings auch mal ändern, ich wüsste nicht, warum nicht.
Als Kind nahm ich regelmäßig an einem etwas einförmigen Tennistraining teil, das ich hier und da sausen ließ, worauf meine Eltern von der honorigen Jugendwartin einen Anpfiff bekamen. Also musste ich mich bei ihr persönlich für mein säumiges Verhalten entschuldigen. Vielleicht jagte mir der noble, düstere Bungalow, in dem sie lebte, zusätzlich Angst ein. Ich kam mir jedenfalls ein bisschen wie beim Drachen Mahlzahn vor, zumal die gute Frau recht großgewachsen, streng und eindrucksvoll toupiert war. Ich entschuldigte mich für mein unstetes Verhalten und durfte fortan wieder gnädigerweise am Training teilnehmen, für das mein Vater hohe Beiträge zahlte, obwohl es nie besser wurde.
Ich glaube nicht, dass Frauen bessere Menschen sind, aber Männer sind es schon gar nicht. Es wäre durchaus möglich, mal etwas mehr als das herkömmliche Getue der Altvorderen zu wagen und sich deutlich und offensiv gegen jegliche überkommene Form des Geschlechtlichen zu stellen. Die junge Schwedin Greta Thunberg wurde jüngst in Schweden zur Frau des Jahres gewählt. Sie ist zarte 16 Jahre alt und bestreikt seit geraumer Zeit jeden Freitag die Schule, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir gerade im Begriff sind, unsere herrlich bequeme Welt zu zerstören. Was sie vielen so vermeintlich ausdifferenziert denkenden erwachsenen Menschen voraus hat, ist nicht unbedingt ihr schmales CO2-Schuldenkonto, sondern eine widerspruchslose Lebensführung. Bei ihr bilden Denken und Handeln noch eine Einheit und reden sich nicht wechselseitig heraus. Die meisten Menschen tun dagegen nur so, als folgten sie einem aufgeklärten oder modernen globalen Way of Life. Im Grunde aber folgen sie nur ihrer Bequemlichkeit und üben sich in Rhetorik.
Ich weiß nicht, ob es erstrebenswert ist, dass Frauen vermehrt in Führungspositionen kommen sollen, um den gleichen Unsinn fort zu treiben wie ihre männlichen Vorgänger. Aber ich ziehe den Hut vor jedem jungen Menschen, egal welchen Geschlechts, der aus den gegeben Möglichkeiten des Alltags weit mehr macht als die meisten Menschen um ihn herum: Nicht fliegen, erst gar kein Auto anschaffen, mit dem Fahrrad fahren, Plastik weitgehend vermeiden, auf Fleisch verzichten, gute Bücher lesen, mit vielen Menschen sprechen, so viel Strom sparen, wie möglich, ein bisschen Sport betreiben und jeden Freitag vor die Parlamente und Konzernzentralen ziehen, um zur allerbesten Schulzeit darauf aufmerksam zu machen, dass es so nicht weitergehen kann, wie es uns die großen Bosse und Alphawesen dieser Erde immer noch glauben lassen wollen.
[Blitz Körte 2019 / 8. März 2019]