Hallen-Warmup bei Viktoria 89
2. Platz
Die schönsten Momente im Leben eines Trainers sind die, in denen alles wie von selbst funktioniert und man geradezu überflüssig wird. Es ist wie Kino und Wirklichkeit in einem: Entspannung pur, grandioses Genießen der Realität im Zustand der Perfektion. Solche Augenblicke hatte ich schon einige, immer dann, wenn ich zu meiner eigenen Überraschung feststellte, dass die Mannschaft sich selbst übernommen hatte und alles genau so machte, wie ich es mir vorstellte.
Ohne dass ich irgendetwas sagen oder anleiten musste, bildeten die Spieler bereits beim Warmmachen eine selbstständig auf das sportliche Ereignis ausgerichtete Gemeinschaft. Sie passten und gingen und riefen dabei den Namen des jeweiligen Passempfängers. Ich spürte Körperspannung und Konzentration bei jedem Einzelnen. Selbstständig änderten sie den Rhythmus, korrigierten und motivierten sich gegenseitig. Es sah nicht nur gut aus, sondern fühlte sich auch wahnsinnig gut an. In solchen Momenten ist ein Trainer nur noch dazu da, das Ensemble gegebenenfalls zu sich selbst zurückzubringen, sollte es sich doch einmal verirren.
Eigentlich begann die Perfektion sogar bereits in der Kabine bei dem Umziehen und der kurzen Vorbesprechung: Ich gab die Richtung für das Turnier vor und sagte, wir hätten acht Feldspieler, die wir in 4 Blöcke einteilen wollten, die während der Matches nach einem festen Muster ein- und ausgewechselt werden würden. Kaum sprach ich davon, schon servierten mir die Spieler die Paarungen von sich aus, ohne dass ich irgendein Bedenken oder einen Zweifel an ihrer Aufstellung bekommen hätte. Nein, die Paarungen waren sogar besser als die, die ich mir selbst überlegt hatte.
Es passte von Anfang an, wenngleich wir im ersten Spiel noch etwas Probleme hatten, eine sichere Zwei-Tore-Führung über die Runden zu bringen. Wechselmodus und Spielweise deckten sich noch nicht hundertprozentig mit dem Spielverlauf. Aber bereits in der zweiten Partie sah es schon viel besser aus, die Mannschaft wirkte sehr homogen und ausgeglichen auf allen Positionen. Dennoch spürte ich in den ersten beiden Pausen ein leichtes Unbehagen eines einzelnen Spielers an der neuen, durchaus sehr schematischen Grundordnung, die wenig Raum für persönliche Vorlieben ließ, weshalb sogar die sofortige Auflösung der Blockbildung eingefordert wurde. Welche ich aber in meiner Funktion als 100jähriger Blockwart umgehend ablehnte.
Es kam sogar noch dicker. Als im dritten Spiel der Versuch gewagt wurde, sich gegen das System zu stellen und seine eigene, persönliche Spielideologie durchzusetzen, allerdings eher glücklos, musste ich reagieren. Nichts gegen eine subjektive Interpretation des Spiels, aber wenn eine Spielweise darauf hinausläuft, nur das eigene Ego zu füttern, statt sich der Objektivität des gemeinsamen Ziels zu stellen, und darüber hinaus noch nicht mal erfolgreich ist, dann läuft es zwangsläufig auf eine offene Kritik hinaus. Die gab es dann im Anschluss in der Kabine.
Durchaus kein angenehmer Moment für einen erfahrenen Spieler, aber ein notwendiger, denn sonst verselbständigt sich die vorher doch so mühsam erarbeitete Selbstständigkeit des Kollektivs zurück in zerfaserndes, partikulares Einzelbestreben. Ich bin sicherlich kein geborenes Fußballgenie, weshalb ich durchaus hier und da großen Wert darauf lege, was der eine oder andere Netzer zu einem bestimmten Spiel zu sagen hat oder über einer bestimmte Spielkonstellation denkt. Dennoch behalte ich mir das Recht vor, bei dem dritten hintereinander fehl gegangenen Versuch, durch eine gegnerische Reihe zu dribbeln, auf das Mittel des Kombinationsspiels zu verweisen, insbesondere bei einer komfortablen drei gegen eins Situation direkt vor dem gegnerischen Tor.
Die Kritik schien auf Einsicht zu treffen, weshalb in den verbliebenen beiden Spielen gleich doppelt bewiesen wurde, was in einem omnipotenten Spielertypen alles stecken kann: Gelingende Einzelaktionen als auch ein perfektes Auge für den Mitspieler. Und da die Blockbildung in der letzten Partie mangels ausreichend zur Verfügung stehender Spieler ohnehin ein wenig aufgeweicht werden musste, fügte sich auch dieser leicht schmerzliche empfundene Umstand letztlich zu einer perfekten Umrundung unserer selbst. Das Ergebnis gab uns recht: Wir schossen sieben Tore und errangen damit ein mehr als achtbares Gesamtergebnis auf diesem vorweihnachtlichen Leistungstreffen unserer Freunde von Viktoria. Punktgleich mit dem Gewinner, bei gleicher Tordifferenz, landeten wir durchaus zufrieden auf Platz zwei.
Allerdings war ich mir nachträglich nicht ganz sicher, ob wir im zweiten Spiel nicht etwa doch vier zu eins gewonnen hatten, statt den eingetragenen drei zu eins Toren. Aber ein bisschen Interpretationsspielraum und Abweichung von der Wirklichkeit (Wahrheit) sollte es auch im Fußball geben.
Insofern alles gut, ja, geradezu perfekt!
[Hallen-Leistungstreffen / So. 8. Dezember 2019]