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AMA / C1
SAISON 2022 / 2023

Echte Liebe, wahre Helden

SFC Stern 1900 U15 - AMA U15

3 : 3

Ich kann mich an kein Spiel erinnern, dessen emotionale Ereigniskurve ähnlich heftige und dramatische Maximalwerte und Wendepunkte im Spielverlauf erreicht hätte wie dieses. Vielleicht noch das WM-Halbfinale von 1970 zwischen Deutschland und Italien, aber das konnte ich damals noch nicht bewusst erleben, da lernte ich gerade das Laufen und sagte meine ersten Worte, angeblich "Ball".

Wenn es also einen Fußballgott gibt, den es damals schon gab, dann war er zu unserem denkwürdigen Herbstabend erneut höchstpersönlich angereist und stand im Friedenauer Sterne-Stadion irgendwo heimlich am Spielfeldrand, er hatte allerbester Spiellaune mitgebracht. Er bot so ziemlich alles an irrationalen, wunderbaren und unvorhersehbaren Momenten auf, die diese Sportart so beliebt machen, auch wenn er wahrlich keinen leichten Stand hat in dem vom Geld zerfressenden System um den Fußball herum. Er spannte Wendepunkte so geschickt in die Dramaturgie, das jedes Theaterstück vor Neid erblasste.

Emotionen entladende Siegtore auf den letzten Metern hatten wir in dieser jungen Saison schon zwei. Aber eine direkt verwandelte Ecke als Schlußpunkt eines Spiels und als allerletzte Gelegenheit, einen mehr als unglücklichen Rückstand zu egalisieren, daran kann ich mich auf mein ganzes Leben bezogen nicht erinnern.

Was muss eigentlich alles zusammenkommen bei der Rezeptur eines solchen Schusses am Rande des Spielfelds und am äußersten Ende einer ohnehin schon maximal verrückten Spielzeit? Solch ein Schuss ist nicht nur körperliche Millimeterarbeit am Ball, sondern eine kognitive und mentale Schwerstarbeit obendrein, die schon eher an das Erringen eines Millionengewinnes qua Wille und Vorstellung grenzt als an eine tatsächlich machbare Sache. Ich meine, selbst ein Superstar wie Ronaldo würde höchstwahrscheinlich nur jeden dritten Eckball derart passgenau in die lange Ecke zirkeln können, dies würde ihm allerdings nur unter Trainingsbedingungen und ohne Gegnerdruck und ohne Torhüter gelingen, im Wettkampf wahrscheinlich nie.

Im Wettkampf zeigt sich stets eine andere Wirklichkeit als jene simulierte im Training. Im Wettkampf geht es in Bruchteilen von Sekunden um alles, und dies über die gesamte Spielzeit. Ein kleiner Fehler, und schon verkehrt sich die vorherige Glücksrichtung. Aber wie oft kommt es in einem Fußballspiel vor, dass das Pendel derart wie von einem verrückten Magneten angezogen jegliche einigermaßen nachvollziehbare Richtung ändert und die Gunst des Schicksals wie einen verhexten Talisman von einem Team zum anderen weiterreicht? Ein Spiel, bei dem zwischen Gewinnen und Verlieren stets nur kurze Minuten liegen, ja, in unserm Fall ein simpler finaler Eckball am Ende der gesamten Spielzeit, um alles Ungemach einer kaum weniger verrückten Szene zuvor noch mal gerade zu rücken. Ein Gipfelstreffen der Verrücktheiten, auch das war dieses fußballerisch hochwertige Spiel!

Fußball als emotionale Achterbahn, und am Ende ein Unentschieden, über das wir uns absolut freuen können, gerade weil wir den Gegner mehr als eine Halbzeit lang komplett gegen die Wand spielten und ihm in allen Belangen deutlich überlegen waren. Ein Spiel, das uns ein Steigbügel für uns selbst ist und jene kurzzeitig verlorene Gewissheit zurückgibt, dass wir durchaus noch großartigen Fußballspielen können, auch wenn wir zuletzt zur Welt-Meisterschaft der Individualfehler den einen oder anderen äußerst aussichtsreichen Kandidaten beisteuern könnten.

Aber so ist es eben mit den göttlichen Launen, diesem nicht auszurechnenden Wink des Schicksalzepters, mit dem der unsichtbare Demiurg des Spiels von seinem olympischen Platz aus die Matches regiert. Bei ihm hatte man an diesem Abend das Gefühl, er sei höchstpersönlich zugegen, hätte sich den besten Zuschauerplatz gesucht und in allerbester Feierabendmanier nebenbei den Ball selbst ein bisschen hoch gehalten. Bei so vielen anderen Matches regelt er ja meist aus der Distanz, wenn auch emotional durchaus beteiligt, oft sogar aus gemeiner oder fieser Laune heraus, durchaus kaltherzig veranlagt oder total voreingenommen und oft genug opportunistisch mit den eh schon vom Erfolg Verwöhnten. Vielleicht liegt das aber auch am vielen Geld und das Ursprüngliche des Sports wurde dadurch verwischt. In den meisten Fällen verhält sich der Fußballgott deshalb einfach nur göttlich funktional und beeindruckt durch beinahe schon bürokratische Einfälle, avanciert zum gediehenen Wiederholungstäter.

Dieses Mal aber nicht!

Mein Gott, allein dieser artistische Schlag unseres grundsoliden, immens beständigen, nur gelegentlich zu spät zu den Treffen kommenden Innis über den Ball, der wie ein clownesker Scherenschnitt aus dem Hause Cabawazi wirkte, allein schon diese außerordentliche Showeinlage war das virtuelle Eintrittsgeld wert und lachte jeder normalen und gewöhnlichen Spielszene karnevalistischen Hohn. Denn so einen filmreifen und grandios gelungenen Luftschlag muss man erst mal hinkommen! Auch dramaturgisch! Denn waren wir nicht just erst zwei Minuten zuvor in diesem Spitzenspiel auswärts in Führung gegangen und hatten den Gegner bis dato ziemlich gut im Griff? Jo, und wie wir das hatten, absolut, es sah sehr gut für uns aus! Aber dann dieser artistische, unerwartete Luftschlag, der den Sternern den Weg zum umgehenden Ausgleich öffnete, wie gewonnen, so verronnen, schier zum Verzweifeln nach all den geschossenen Böcken der letzten Wochen. Eine jetzt schon große Trophäensammlung der Saison 22/23.

Schlimmer noch, da rutscht dann ein weiterer Ball wie aus dem Nichts etwas zu lang in die Tiefe und bei uns hinten durch, der torgefährliche Angreifer des Gegners ist bereits unterwegs, aber unsere Innis scheinen die Situation in den Griff zu bekommen, sie sind da, es wirkt, als könnten sie den Durchstoß bereinigen ... als der Spieler plötzlich im Strafraum abhebt wie ein auf einen Block gefahrener Wagen im Computerspiel, sich senkrecht überschlagend. Auf der Bank denken wir, was war denn das? Gab es da etwa einen Kontakt? Ja, gab es, wenn auch nur leicht, aber doch wieder und nicht zum ersten Mal total dämlich, denn im Strafraum stellt man einen Gegner, vor allem, wenn man zu zweit ist, man attackiert ihn nicht. Aber jut, hat der Stürmer letztlich auch geschickt gemacht. Und so sagt sich der liebe Fußballgott, Leute, ihr da unten, glaubt ja nicht, dass ihr vom Fußball irgendetwas versteht, diesen Strafstoß lasse ich jetzt direkt mal reingehen, der wird, um den bisherigen Spielverlauf auf den Kopf zu stellen, verwandelt!

Und wieder rennen wir einem Rückstand hinterher, den wir uns mit göttlicher Hilfe eingefangen beziehungsweise aus laxer fußballerischer Einstellung selbst eingebrockt haben. Man darf diesem Fußballgott nicht trauen, man muss ihn permanent beobachten oder beschwören, dabei von seinem eigenen Tun möglichst ablenken, nur so bekommt man seine Spiele auch ohne ihn in den Griff. Man muss ihn quasi durch Fehlerlosigkeit zu Tode langweilen.

Und genau das taten wir dann, mitnichten und leider mit gegenteiliger Wirkung. Unserer Pressing wurde noch präziser, unser Kombinationsspiel blühte erneut auf, der Ball lief, die Gehirne blitzten vor lauter Perzeptionen, wir sahen, dachten und handelten viel schneller als der Gegner, wir erarbeiten uns erneut Räume - und dies musste dem Fußballgott dann doch wieder auffallen, denn hier war ein Spiel, aus dem sich noch etwas ganz Besonderes kreieren ließe. Hey, Leute, noch bin ich hier der Chef, passt mal auf!

In der Halbzeitpause versuchte ich nichts anderes, als die langen zehn Minuten in einem fort zu reden, in einer nicht endenden Aufforderung und Motivations-Suada die Spannung aufrecht zu erhalten, ich redete auf die Jungs ein, als wären sie die Sterner und ich allein die AMAS, ich legte mir den Ball sprachlich permanent selbst vor, ich passte mir zu und ich passte mir zurück, ich rannte hin, ich rannte her, ohne Unterlass, im Doppelpass, im Spiel über den Dritten, im Tici Taca des bildlichen Ballbesitzes, die Konzentration hell wach, tief in die Augen der Spieler blickend, hinein blitzend, sie aktivierend, nicht in sich zurück fallend lassend, ich redete und redete genauso so, wie sie spielen sollten, damit sie wüssten, was ich meinte für die zweite Halbzeit, ein Powerplay eben, Passen, Passen, Passen ohne Pause, Laufen, Rennen, Fighten ohne Ende, aber mit klug gesetzten Satzzeichen in Form von knallharten und präzisen Torschüssen.

Geduld ist in Drucksituationen immens wichtig, sonst überdreht man leicht die Schraube. Solange es genügend Zeit gibt, kann man den Druck noch erhöhen, jedoch zeitlich nach hinten lässt sich nichts korrigieren. Vorerst reicht es, wenn der Druck am Anschlag ist und den Gegner unentwegt beschäftigt und nicht mehr zum Zuge kommen lässt. Es dauerte knapp zwanzig Minuten, da hatte sich dieser stete Druck bewährt und wir hatten ausgeglichen. Nun schien es so, als wäre sogar noch ein dritter Treffer drin, solange wir nur bei dieser körperlichen und mentalen Maximalanstrengung die Ruhe behielten und konzentriert weiter kickten, was wir taten. Und so spielte zehn Minuten später ein Inni einen nach hinten gespielten Ball völlig richtig in Richtung des Keepers, denn es waren Platz und Zeit ausreichend vorhanden, um die Situation leicht zu klären. Aber was tut der Keeper da?

Er wird erst zur Salzsäule, dann kann man deutlich erkennen, wie er doch zu denken anfängt, ohne die Situation jedoch zu lösen, denn es wirkt, als wolle er den Rückpass gar nicht fußballerisch verarbeiten, sondern nun mit der Hand klären, was er ja nicht darf, wie ihm sogleich einfällt, aber da ist es auch schon zu spät, denn der gegnerische Angreifer stibitzt ihm den Ball von den Füßen und schiebt ihn zum erneuten Führungstreffer der Sterner ein. 30 Minuten allerfeinstes, kraftvollstes, hoch konzentriertestes Powerplay for nothing!

Wenn es je einen Augenblick gegeben hat, in dem der Fußballgott uns allen seine Überlegenheit demonstrierte, dann in diesem. Denn so hart der Schnitt auch war, so heftig und scheinbar idiotisch dieser dramatische Umkehrpunkt nach über 35 minütigem Anrennen auf das Sterne-Tor war, so notwendig war dieser Treffer doch, um die Fallhöhe für das eigentlich Beabsichtigte noch einmal zu erhöhen! Um in ganz andere Gefilde zu kommen, die, nun ja, wenn ich es nicht selbst mit eigenen Augen gesehen hätte, wahrscheinlich nicht in diese Welt gehören. Ich war zunächst komplett erledigt nach diesem Treffer, wusste nicht weiter und hatte keinen Rat, außer den in Richtung Fatalität und dann eben alles nach vorn, was noch da ist. Aber die Jungs machten es sehr, sehr klug, sie blieben in der Spur, sie drückten sofort weiter und noch einmal etwas mehr, das Risiko steigernd, aber nicht besinnungslos überreizend. Ein, zwei Minuten blieben vielleicht noch!

Da! Der Ball wird zur Ecke geklärt, es dürfte jetzt wirklich die allerletzte Situation des Spiels sein, wir sind schon in der Nachspielzeit. Sollte auch unser Keeper in die Box mit rein, kann er Kopfball? Während ich darüber nachdenke, schnappt sich unser torgefährlichster Spieler den Ball, legt sich ihn zurecht, so wie immer, es wirkt, als wollte er ihn scharf bringen, aber der Ball nimmt plötzlich eine so unglaubliche Flugbahn an, er ist superscharf geschossen, wird kein bisschen langsamer, zieht weder zu hoch hinaus, noch zu früh hinunter, er zerschneidet die Luft wie ein Tapetenmesser, er hält die Bahn, wird länger, aber nicht langsamer, kratzt schon fast an der Torlatte und zack, bumm - sitzt er im Winkel!

Gibt`s so etwas? Ist das zu fassen? Ist das noch real oder schon ein Traum?

Was treibt einen Fußballgott an, derlei Situationen zu kreieren? Einen direkt mit Absicht verwandelten Eckstoß als allerletzte Aktion in einem Spiel, das als solches schon derlei reichlich kandierte und spektakuläre, unglaublich begeisternde Momente für den Sport bereitstellte, ein Spiel, das Spieler und Zuschauer emotional auf eine 74-minütige Achterbahnfahrt mitnahm, in steile Kurven, nackenschlagende Loopings und neuerliche, stete Beschleunigungsgefälle in die Tiefe, ein Spiel, das so überschwänglich von sportlicher und fairer Güte und hoher Qualität geprägt war und im goldenen Herbstlicht glänzte und gleichzeitig so maßlos mehrmals gebrochen wurde von artistischen, unmöglichsten Fehl(er)einlagen, im Grunde ein Spiel der Superlative in alle Richtungen und im Ergebnis salomonisch doch sehr gerecht, bei dem jedes Team und jeder Spieler im Grunde als Gewinner in den Abend ging, obwohl es eine Punkteteilung gab, ja, für so ein Spiel der Extraklasse versagen mir dann am Ende doch die Worte, solch ein Spiel muss man einfach live erlebt haben, um es in seinem Ablauf und als emotionales Wechselbad tatsächlich realitätsnah nacherleben zu können.

Der Fußballgott muss jedenfalls ein schräger Cousin Amors sein. So benebelt kam ich in früher nur nach Hause, wenn ich mich plötzlich und unerwartet in jemanden verballert hatte.

[4. Spieltag / Mi. 5. Oktober 2022]


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3:3 (2:1)
(2x Levi, 1x Jonas)
Es spielten: Djamal, Bela, John, Noah, Hasan, Jaden, Julius, Jonas, Levi, Timo, Jakob, Levin, Cem, Efe, Arda, Luca.


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