AMA - SC Staaken
2 : 1
Irgendetwas an diesem Samstag Ende Januar wollte Geschichte schreiben. Ein Spiel auf Messers Schneide, ein ungemein gut eingestellter Gegner, griffig, spielstark, nur in wenigen Situationen unsicher. Eine packende Begegnung auf Augenhöhe mit einem dramatischen, ziemlich verrückten Finale.
So war es eigentlich schon immer gegen Staaken, auch wenn die Teams wahrlich nicht mehr die gleichen sind. Die Liste der spannenden, mitreißenden Spiele insbesondere im Kleinfeld ist lang. Mal hatten wir die Nase vorn, mal Staaken. Selbstläufer waren diese Begegnungen nie und langweilig oder einseitig schon gar nicht.
In der Drehbuchschule Hollywoods gibt es dieses Bonmot: Mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern. Das könnte man auf unsere langjährige Geschichte mit Staaken als Ganzes beziehen, aber auch auf die jüngste Begegnung.
Der Schiedsrichter zeigte sich von Anfang an wenig kompromisbreit gegenüber Tacklings. Eine Haltung, die ich durchaus teilen kann, wenngleich auch das Grätschen, technisch sauber ausgeführt, eine große Anmut besitzt. Da das Tempo im Spiel sehr hoch war, gediehen diese speziellen Rettungsaktionen (die oft aussehen wie wegrutschende Radler auf eisigen Straßen) über der Grasnarbe entsprechend riskant. Bei uns im Team sind es ohnehin nicht viele Experten, die zu diesem Mittel greifen, insofern waren drei gelbe Karten nach einmaligen, gar nicht mal so spektakulären Aktionen für uns schon etwas sehr Ungewöhnliches. An den Fouls gab es sicherlich keinen Zweifel, an der Härte des jeweiligen Urteils schon. Wie auch immer.
In Spielminute 59 dribbelte einer der drei gelb verwarnten Spieler energisch in die gegnerische Hälfte vor, umspielte den ersten, umkurvte den zweiten Gegenspieler und wie so oft verlor er dabei ein wenig die Kontrolle über den Ball, der, wie er, immer schneller wurde, weshalb er ihn, den Ball, nun eiligst einholen wollte. Aber da war ihm schon ein dritter Gegenspieler in den Weg gekommen, und wer auch immer an der Kreuzung nun Vorfahrt hatte oder nicht, das Kratzen von Zierleiste an Zierleiste war schon deutlich zu vernehmen. Dennoch hätte ich nicht hundertprozentig sagen können, wer wen zuerst berührt hatte bei dem Crash und wer eher am Ball gewesen war. Der Schiedsrichter konnte es jedoch gut sehen, pfiff und zeigte in Richtung unserer Tores, griff dann in seine Hosentasche und zückte zu unserem Erblassen erst Gelb, dann Rot.
Ich gebe zu, ich wusste in diesem Augenblick selber nicht, dass es im Jugendfußball keine gelb-roten Karten gibt. Der Schiedsrichter hätte unseren Spieler wohl fünf Minuten vom Platz stellen können, oder er hätte ihn direkt mit der roten Karte belegen müssen. Der Staakener Kollege machte uns fairerweise direkt darauf aufmerksam, und nicht nur in dieser Situation verhielt sich das Funktionsteam der Gäste absolut vorbildlich und sehr kollegial. Alles höfliche und gemeinsame Intervenieren und Zurufen von der Seitenlinie, auch durch unseren Großfeldkoordinator, der dem Spiel beiwohnte, nutzte nichts. Der Schiedsrichter ließ sich nicht beirren, so galt die Entscheidung und wir standen zwanzig Minuten vor Spielende mit einem Spieler weniger auf dem Platz.
In Unterzahl gegen diese spielstarken Staakener? Zudem ein wichtiger Verteidiger von uns aus dem Rennen genommen? Ich ging nicht mehr davon aus, dass wir das Kind noch schaukeln würden, im Gegenteil. Aber zum Lamentieren hatten wir keine Zeit, vielleicht würden wir zumindest einen Punkt retten, hoffte ich - 20 Minuten verteidigen, was das Zeug hält, na, dann mal los!
Der Druck wurde umgehend größer, wir kamen kaum mehr kontrolliert bis in die Hälfte der Staakener hinein, und wenn doch, dann nur zu zweit oder zu dritt. Aber es waren durchaus kleine präzise Nadelstiche, wenngleich sie meist im Kissen des Toraus oder in die Viererkette landeten. Aber Ecken können wir ja auch ganz gut.
Ich rechnete wahrlich nicht mit einem Treffer. Er lag auch nicht in der Luft, zu viele Ecken an diesem Tag waren bereits verpufft. Doch dieses Mal passte plötzlich alles, wie durch Geisterhand, der Ball kam gut rein, etwas vom Keeper weggezogen, deutlich Richtung zweiter Pfosten, aber immer noch recht scharf. Ein Innenverteidiger von uns schraubte sich hoch, drehte sich im Sprung in der Längsachse, traf den Ball gut und satt mit der Stirn, gab ihm noch Effet mit und nickte ihn druckvoll ins Tor. Das ganze passierte so schnell und überraschend, das allen der Mund offen stehen blieb. Wie jetzt – Tor für die Amateure?
Tja, da führten wir dann plötzlich in Unterzahl nach all diesen spannenden und intensiven 70 Spielminuten mit eins zu null Toren. Und die Zeit spielte für uns, auch wenn die Staakener sehr geschickt und druckvoll antworteten: Ein bis zwei mal im Ansatz verlagern, dann schnell über die Seiten auf hoch stehende Außenverteidiger spielen, um per Dribbling oder Flanke hinter unsere Abwehr zu gelangen. Acht Minuten hielten wir ihrem Powerplay stand, verteidigten den Strafraum, rannten viel und schoben immer wieder kompakt nach vorne. Es sah schon so aus, als könnten wir das knappe Ergebnis tatsächlich halten, als plötzlich ein Spieler über links durchbrach und in den Strafraum drang und beherzt, wenn auch etwas übermütig von einem weiteren gelb verwarnten Spieler von uns per Grätsche von den Beinen geholt wurde. Mein erster Gedanke war: Scheiße, der fliegt jetzt auch noch.
Ich biss mir in die Fäuste, denn das Foul wäre vermeidbar gewesen, die Kopflosigkeit machte mich wütend, wann bekommt man in einem solchen verrückten Spiel schon mal eine Führung in Unterzahl geschenkt? Und muss sie nur noch drei bis vier Minuten lang verteidigen? Den Elfer parieren, daran glaubte ich nicht. Im Gegenteil, jetzt würde das Spiel womöglich kippen, die Staakener das Ding auf den letzten Metern drehen, der Ausgleich würde ihnen noch mal Schub geben, die Dramaturgie war auf ihrer Seite!
Schuss – Tor.
Und der Schiedsrichter gab unfassbare 6 Minuten Nachspielzeit drauf, während wir schon auf dem Zahnfleisch gingen. Zu wessen Gunsten nur?
Wenn das Erdbeben vorbei ist und du langsam gesteigert hast, was kommt dann?
Dieser letzte entscheidende Eckball des Spiels war noch verrückter als der vorletzte. Dass wir überhaupt noch eine Abschlussmöglichkeit bekamen, war schon ein Ding größter Unwahrscheinlichkeit. Aber so ist Fußball nun mal, und dafür lieben ihn die Menschen (während andere an ihm verzweifeln). Einen Ball auf eine Weise ins Ziel zu bringen, wie man es sich beim besten Willen nicht ausdenken kann, dafür gibt es keine Regeln, kein Gesetz, das geschieht einfach, weil Fußball eine besondere Art von Kino ist.
Die Ecke, der Ball fliegt rein, eine unübersichtliche Situation im Strafraum, der erste Schuss wird abgewehrt, der zweite landet überraschend bei unserem Linksverteidiger. Wenn er ihn jetzt richtig trifft, könnte der Ball tatsächlich scharf werden, aber was macht er? Er verzieht den Schuss, der Ball rutscht ihm über den Spann, saust schief durch den Strafraum und klar Richtung Toraus, komplett verzogen, doch plötzlich prallt er einem Gegenspieler am langen Pfosten auf den Rücken und vorn dort ins Tor.
Deutlicher daneben geht gar nicht, und trotzdem landet der Ball im Netz.
Zwei Minuten noch zu spielen, noch einmal dürfen wir einen Treffer in Unterzahl verteidigen. Und dieses Mal gelingt es.
Eines ist sicher, so einen Film erlebt man nur einmal im Leben.
[12. Spieltag / Sa. 27. Januar 2024]