1. FC Marzahn - AMA U15
1 : 7
Wie kann man eine laxe Haltung vermeiden, wenn es nur noch ein Hüpfer ins Ziel ist? Dürfen wir schon vom Staffelsieg sprechen? Nein, dürfen wir nicht! Sollten wir schon an den Aufstieg denken? Ja, das müssen wir sogar!
Unsere Perspektive war von Anfang an ein Zweijahresplan. Mögen wir den ersten Teil der Zielvorgabe nun nahezu erreicht haben, so ist für das finale Etappenziel noch nichts gewonnen. Rein rechnerisch fehlt uns sogar noch ein Sieg aus verbleibenden drei Spielen, um den Staffelsieg perfekt zu machen. Doch was nützt dieser höchstwahrscheinliche Aufstieg, wenn wir nicht jetzt schon an die nächste Saison denken und dafür ins Training und in die Planung gehen?
Alles, was wir ab jetzt tun, fällt im Grunde unter die Prämisse: Weiter so, aber jetzt noch etwas besser! Zum Glück haben wir noch drei Liga-Spiele, zudem keine leichten, in denen wir uns steigern können. Die Saison ist noch nicht zu Ende, und es gibt noch reichlich Ziele.
Ich hätte mir freilich nicht träumen lassen, dass Kladow die Hohen Neuendorfer schlägt, zumal sie ihren ersten Treffer scheinbar (eher fälschlicherweise) nach fünf Minuten im eigenen Tor unterbrachten, was mich wiederum veranlasste, den Live-Ticker (der offenbar ein Scherz seltsamer Anhängerschaft gewesen war) vorzeitig zu verlassen. Zwei Stunden später flatterte plötzlich die erste Glückwunschmail zum Staffelsieg herein und ich dachte nur: Hallo, was ist denn jetzt passiert?
Interessante Spekulationen und Gedanken, die sodann unserem Auswärtsspiel in Marzahn vorausgingen: Marzahn gewann in der Vorwoche gegen Kladow. Kladow gewinnt aber daraufhin gegen Hohen Neuendorf. Hohen Neuendorf wiederum ist Zweiter. Was also ist von Marzahn zu halten?
Im Hinspiel hatten sie noch über 45 Minuten lang tapfer ihr Tor verteidigt, im Rückspiel gelang dies nicht mehr so gut. Das lag auch daran, dass wir sehr flüssig kombinierten und viel Spiellaune mitbrachten, die uns allenfalls der etwas schräge, aber im Grunde sehr liebenswerte Schiedsrichter leicht verleidete. Der war eher recht angetan vor allem von seinem Familienstammbaum, den er mir in der Halbzeit in einer rasanten Suada runter betete, sechs Kinder, sechzehn Enkel, alle beim Namen einzeln aufgezählt. Nach vier weiteren Minuten des Monologs über die letzte Familienfeier am Messedamm und den Beruf des ältesten Sohnes suchte ich verzweifelt nach einem Rettungsring, ich müsse leider noch mal kurz mit meinem Team sprechen, gab ich vor, die Pause sei ja jetzt auch eigentlich schon um.
Schiedsrichter sind zum Glück auch nur Menschen, aber manchmal wünschte ich, sie wären hier und da etwas mehr Schiedsrichter als Mensch. Wiederum war es auch irgendwie niedlich, dass unser Unparteiischer in seinem wallend langen Nachthemd-Trikot die Partie drei Minuten zu früh beendete, obwohl sie gerade gut in Fahrt war. Als ich ihm etwas verwundert meine Stoppuhr zeigte und ein fragendes Gesicht machte, nahm er mich väterlich zur Seite und meinte nur aufmunternd, na, das Spiel sei doch längst entschieden gewesen. Ich dachte, super, wenn es in dieser Saison danach gegangen wäre, hätte man uns auch direkt eine Klasse höher einstufen können.
Zum Glück erwarten uns in den verbleibenden drei Monaten noch eine Hand voll wunderbarer Gegner und interessante Spiele mindestens auf Augenhöhe, so wie es im Grunde durchgehend sein sollte und nächste Saison auch sicher sein wird. Jedes Wochenende neu gemischte Karten und ein Spieltag, der es in sich hat. Verletzungs- und kaderbedingt rücken nun andere Spieler schneller in den Fokus der Verantwortung auf zentralen Positionen. Das dürfte eine besondere Entwicklungsstufe zwischen den Mammutzielen sein. Wie werden sie sich schlagen, was müssen sie noch lernen? Es ist ja leicht, von guten oder älteren Spielern mitgezogen und vom gemeinsamen Erfolg getragen zu werden. Aber was, wenn man plötzlich selber Verantwortung übernehmen muss?
Zugänge, Abgänge, auch dies wird ein weiterer zentraler Nebenschauplatz der verbleibenden Rückserie sein. Ein Viertel der Mannschaft rückt eine Jahrgangsstufe höher, von unten können wir uns nicht bedienen, da im Verein nächste Saison auf altersgerechte Jugendklassen umgestellt wird. Wir brauchen also mindestens fünf neue 2008er mit Leistungsfußball-Erfahrung, davon einen festen Torhüter, um den Kader aufzufüllen. Was für eine Einladung an die vielen Talente und gestandenen Leistungsspieler in Berlin, sich unserer Perspektive anzuschließen!
Im Grunde eine Einladung zum permanenten Aufsteigen bis in die A-Jugend hinein. Mit etwas Glück erben wir auch mal eine Klassenzugehörigkeit auf Verbandsliga-Ebene. In jedem Fall bleibt der Anreiz, sich jedes Jahr für die Folgesaison ein höheres Niveau selber zu erspielen. Wenn das keine günstigen Voraussetzungen sind, dann weiß ich auch nicht.
Man kann Jahre lang ins NLZ gehen, ohne jemals eine Meisterschaft zu erspielen. Bei uns wiederum kann man gleich mehrere Meisterschaften hintereinander erleben, ohne permanent ins NLZ gehen zu müssen. Nur Kopfstand muss man bei uns können! Wir spielen freilich nicht unbedingt Bundesliga oder Regionalliga, dafür lernen wir Brandenburg und Norddeutschland nicht nur vorwiegend von der Bank oder aus dem fahrenden Auto aus kennen - siehe Teamfahrten I-VI. Aber gut, hätte mich damals ein großer Verein angesprochen, wäre ich sicherlich auch nicht abgeneigt gewesen. Als wenn man nur etwas Besonderes ist, wenn andere einen entdecken oder ansprechen!
Das beste Jahr übrigens, das ich je als aktiver Kicker im Fußball erlebte, war mein erstes A-Jugendjahr. Eigentlich hatte ich vorgehabt, aufzuhören, von wegen erste Freundin und so, dann ging ich nach den großen Ferien doch wieder hin, spielte gut auf, bekam als Jüngerer sofort einen Stammplatz, schoss wichtige Tore, durfte bald auch schon bei den 1.Herren in der 6. Liga mittrainieren. Wir stiegen auf, verloren am letzten Spieltag zur großen Meisterschaftsfeier zuhause jedoch gegen den Tabellenzweiten, was ziemlich peinlich war. Trotzdem war dieses Jahr das beste, das ich je im Fußball erlebt habe, danach kickte ich nur noch in Teams, die keine wirklichen Teams waren, sechste Liga Herren, siebte Liga Herren, Gemauschel, ständige Trainerwechsel, im dritten Jahr Kreuzbandriss.
Ein Gleichaltriger aus dem kleinen Nachbarklub, der all die Jahre nie höher gespielt hatte, stand vier Jahre nach meinem frühen Karriereende bei den Profis von Hannover 96 in der zweiten Liga unter Vertrag. Der Trainer, der ihn maßgeblich über viele Jahre gefördert und nach oben gebracht hatte, war auch einmal auf mich zugekommen, um mich zum Stadtrivalen zu locken. Ich hatte abgelehnt, da ich unbedingt eine Liga höher weiterspielen wollte.
Was ich damit sagen will?
Genießt jede Saison und jedes Spiel, das ihr spielen könnt, egal auf welchem Niveau, vor allem solche Jahre, in denen ihr euch in eurem Team wohl fühlt, denn das ist nicht selbstverständlich und sehr selten im Fußball.
Der Fußball ist wahnsinnig launisch und alles andere als planbar, das macht ihn zu einem sehr reizvollen, aber auch sehr anspruchsvollen Lehrmeister und Mitspieler des Lebens.
Im übrigen kann man jedes Spiel nur einmal spielen. Siehe Italien - Nordmazedonien!
[20. Spieltag / So. 27. März 2022]