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AMA / F2
SAISON 2015 / 2016

SCHLAM(M)ASSEL

BERLINER SC fII - AMA fII

6 : 1

Eins von den schmerzlichen Spielen wie ein komplett versemmeltes Diktat in der Schule. Der Blick ins Heft, die reinste Kriegslandschaft: Wohin man schaut, überall rote Striche und Fahnen, zerlaufene Tintenflecken, und immer wieder riesige weiße Lücken, ganz unten der vernichtende, hartleibige Krinkel, die Note. Kornfelder sehen so ähnlich aus nach einem nächtlichen Sturm, brachial herausgesägte Windschneisen, riesige Batzen umgeworfener Halme, ein hart angegangenes Seelenkostüm.

Also erstmal durchatmen, sich rekonstituieren, das zerfetzte, zerknüllte Diktatheft aus der Ecke wieder herholen, verschämt glatt streichen und zwischen einen dicken Stapel Kunstbände legen. "Papa, schau mal, der Junge interessiert sich schon für Kunst! Das ist ja toll!" Erwachsene können manchmal so was von nullcheckermäßig sein, meine Güte.

Ich zum Beispiel, da erfahre ich im Verlauf der Woche, dass wir auf echtem Rasen spielen, wow, super, denke ich, echter Rasen, geil, das weckt sofort Erinnerungen an die besten Zeiten meines Lebens! Zugegeben, es ist schon etwas länger her, aber jedes Mal wenn ich nur in die Nähe von Rasen komme, flattern diese unwillkürlichen Erinnerungen auf. Marcel Proust hatte sein Gebäck und seinen Jasmintee, ich hab meinen Rasen! Herbstrasen: Dieses herrlich saftige Aroma von derber Erde und leicht fauligem Laub! Sommerasen, wenn die Pollen im Hitzestrom der Luft wie von selbst aufsteigen! Frisch gemähter Rasen - eine einzige, winzige Prise davon und ich sehe alle meine je erzielten Treffer in Endlosschleife vor mir ablaufen, zack, Bumm, zack Bumm, zack Bumm. Nun gut, so viele waren es nun auch wieder nicht...

Rasen also, und manchmal vergesse ich, was Rasen auch sein oder bedeuten kann. Jedenfalls wenn er schlecht geschnitten und der Boden schwer und tief ist. So wie heute. Noch nicht ganz Dorfacker, aber schon ziemlich nah dran, kein Wunder: Hubertusallee, Hubertussportplatz, alles nur Berliner Euphemismen für Schmargendorfer Morastebene, dicke Bauern Kartoffelfelder, Westend Agrar, tiefbraune Erde mit ein paar verinseltenen Büscheln grünen Grases, aber nicht wirklich ein feiner konzis geschnittener, dichter, mauselochfreier Fußballrasen. Und deshalb kam unser sonst so feinsinnig ausgeklügeltes Kreuzberger Kombinationsspiel heute nicht richtig zum Zuge, sondern ging unter in einer gelb-schwarzen Kraft-und Dynamikbrandungswelle des Berliner SC, um nicht zu sagen, dass es nicht mal ansatzweise Hoffnung gab, gegen diese gutsortierten Kartoffelburschen zu bestehen. So neutral der Name, erinnerte das Spiel der Heimmannschaft doch etwas an jene derzeit ähnlich torfreudigen und torgefährlichen Schwarzgelben aus dem tiefen westdeutschen Hinterland, wenngleich deren Schwarzgelb klassengesellschaftlich und historisch verbürgt ist, was wir vom Berliner SC nicht sagen können: Schwarzer Hals, gelbe Zähne - ehrlich gesagt, ich hab niemanden Derartiges gesehen? Blond, ja, Karies vielleicht auch. Immerhin: die gegnerischen Trainer schienen noch Milchbart zu haben neben dem hübschen schwarzen Trainingsanzug. Die gehören zur B-Jugend, dachte ich vor dem Spiel!

Was ich auch gesehen habe, ist dies: Zittrige weinrote Amateurlilien, die sich vom eigenen Anstoß an freiwillig so tief in die eigene Hälfte zurückzogen, dass dieses liebliche Anti-Anstürmen und verzärtelnde Begutachten des gegnerischen Strafraums gar nicht anders als eine freundliche Einladung zur totalen Einschnürung ausgelegt werden konnte. Herjehhh, Männer!!! Spielen wir Fußball oder was? Haut euch mal rein!!! Ich will hier Grasnarben fliegen sehen und keine weiß geschwenkten Taschentücher!!! Nun gut, es kann nicht jeder mit sieben Jahren solche Stürmerschenkel wie K.H. Rummenigge haben und Pässe über 50 Meter schlagen oder mit der dynamischen Grundausstattung eines Yeboahs zur Welt kommen, wir sind schnelle, harte, urbane Böden gewohnt, in den Gräben der Dorfrasenfelder bleibt unsere Edel-Technik-Avantgarde schon mal hängen, der Gegner versteht gar nicht, dass dieses raffinierte Kurzpassspiel schon so dermaßen fortgeschritten ist, dass wir zu dritt auf drei Quadratmetern mindestens zehn Ballberühurngen in fünf Sekunden hinbekommen, ohne Raumgewinn allerdings, die ist eh nur was Reiche oder die westdeutsche Erbengeneration, wir sind und bleiben Cäsers beste Schildkrötenformation! Aber auch klar, dass sich gelbschwarze Zaubertrank getränkte Gallier dann nur noch mit dem Finger an die Stirn tippen und kurzerhand den Ball schnappen, um uns die Hütte einzurennen. Die spinnen, die Kreuzberger!

Trotzdem: zunächst tapfer verteidigt den Daueransturm der Gelbschwarzen, die mit einer körperlich und spielerisch immens präsenten Steinbock-2008-Raute aufwarteten, so dass Trainerchef Massimo sich zum ersten Mal in seiner langjährigen Cheftrainerkarriere zu einer offiziellen Passkontrolle im Anschluss an das Spiel gezwungen sah. Leider nur zu seiner halben Satisfaktion, denn auch ein 1.1. und ein 4.1. gehören nun mal zum gleichen Jahrgang wie ein 31.12. - leider, so ist es halt (siehe RAE - relative age effect)!

Noch etwas zeigt sich immer deutlicher: Andere Teams spielen bereits mit einem klug ausgetüftelten und ambitioniert eingeübten System. Die Basisgrundlagen des Fußballspiels: Raumaufteilung, Bewegung, Stellungs- und Kombinationspassspiel, vordere Reihe, hintere Reihe werden von ihnen sehr beherzt umgesetzt, während wir noch von den letzten Fiebern des Wimmelfußballs heimgesucht werden und manchmal noch nicht recht wissen, was wir in welcher Situation wie am besten machen können, sei es beim Abstoß, sei es bei der Balleroberung oder bei gegnerischen Angriffen, Sturmläufen, Eckbällen, Abstößen und Einwürfen. Wir müssen den Jungs langsam klar machen, dass man auch ein Fußballspiel lesen kann wie ein Cowboy Claus-Buch oder eine Kinderzimmer-Weltkarte: Wo steht der Gegner, wo stehe ich? Wo ist der Ball, wo könnte er gleich hinrollen? Wohin laufe ich mich am besten frei, wo stelle ich mich am besten hin, wenn der Gener angreift? So beherzigten Julius und Julius das Paradigma der aufmerksamen Spiellektüre bereits sehr gut (kurz nach ihrer ersten Auswechslung), wie ich zugeben muss, allerdings am falschen Spielfeldrand! Offenbar ging es beim Spiel nebenan interessanter zu als bei uns, was man den beiden durchaus nachsehen kann, denn ein Spiel auf ein Tor ist auf Dauer endweder ziemlich zermürbend oder totenlangweilig (siehe Bayern!). Und dann fielen auch noch die vielen Gegentreffer, erst einer, dann der zweite, dann der dritte, ganz schnell hintereinander, und wieder taucht unser gutes altes Problem des zwischenzeitigen mentalen und körperlichen Zusammenbruchs auf.

Halbzeittee. Ansprache. Motivation. Ein schwer zu bespielender Platz, wir müssen härter gegen den Ball treten, der Ball rollt hier nicht von allein wie auf dem Zülle bei leichtem Wind! Wir müssen schneller am Ball sein, geht dem Ball entgegen, sonst schnappt ihn euch der Gegner weg! Wir müssen direkter nach vorne spielen und nicht so oft quer oder klein klein! Nehmt den Kopf hoch! Schaut euch um! Wo steht der Gegenspieler, wo steht der Mitspieler? Wir müssen bei Eckbällen die großen Spieler der anderen besser decken, die sprinten verdammt gut an, die wissen, was ein überraschender Antritt ist! Wisst ihr das auch?

Zweite Halbzeit, nun bekommt unser Spiel endlich etwas Farbe, nicht nur abstrakt-konstruktivistische Schlammspritzer auf Hosen und Stutzen, wie zum Härtetest oberbayrischer Wäschekünste prepariert. Wir können uns sogar das eine oder andere Mal recht gut befreien! Timo tut es gut, nun in die Offensive beordert worden zu sein, er kann es spielerisch und körperlich mit den vier gegnerischen Januar-Steinböcken aufnehmen, doch deren Raute beherrscht das gesamte Spiel. Wir kämpfen nicht nur gegen sie, sondern auch gegen den Boden und den schweren, immer schwerer werdenden Ball. Unsere Beine sind zu elegant und schlank, sie fahren zu viel Fahrstuhl und zu wenig Rad, sie werden schwächer und schwächer, uns fehlt die Kraft, nicht nur auf dem letzten Meter. Da! Ein Foul an Yaron in günstiger Position! Der Schlag gegen den Fuß ist weit zu hören! Wie immer wissen es ein paar Eltern besser, natürlich nur die der anderen Seite. Direkter Freistoß! Oder doch nicht? Natürlich, es sei denn, man verabredet vorher, dass es grundsäztzlich keine direkten Freistöße gibt! Der Gefoulte tritt selber an, ein strammes, perfekt getimtes Ding ins lange Eck - Volltreffer! Eins zu Drei! Hoffnung kommt auf, vielleicht geschieht hier noch ein Wunder. Vielleicht geht noch was?

Leider nicht. Wer ein Spiel lesen kann, der weiß auch warum, gegen diese Raute und diesen Boden ist heute nichts zu machen. Immerhin, wir halten noch zehn Minuten sehr gut mit, ein offenes Spiel, zwei, drei Annäherungen an das gegnerische Tor, aber dann landet wieder ein Pass in dem hohen nassen Gewölle des Rasens, hinter dem plötzlich ein Gegner wie aus tiefer Deckung auftaucht, sich den Ball schnappt und mit Bulldozerdynamik und Superschnellenstollenschuhen durch unsere aufgelösten Reihen tanzt, dynamisch auf das Tor zujagend. Verdammt, sie können sogar Konter, was für eine Demütigung, was für eine Schmach, sie haben mehr Kraft, sie sind abgewichst, sie halten ihre Positionen, sie sind einfach besser! Vier zu Eins, Fünf zu Eins. Noch eine kleine Aufregung wegen - natürlich - eines Handspiels (schlecht kopierte Özilhand), der sportliche Frieden droht für ein kurzen Moment auseinander zu brechen, Massimo ist auf dem Platz, da: Einer seiner gefürchteten langen Spannfreistöße, der Ball zischt über den ganzen Platz Richtung gegnerisches Tor, aber wieso spielt er plötzlich mit? Gott sei Dank steht kein Kind in der Schussslinie, er gibt also den Ball zum allgemeinen Seelenfrieden dem Gegner zurück, obwohl der doch vor unserem Tor Hand gespielt hat. Der Gegner startet sofort einen neuen Angriff, der Ball rollt an der Seitenlinie kurz ins Aus, aber statt einzuwerfen, spielen wir einfach weiter, zu dumm, denn der Gegner schnappt sich den Ball zurück, läuft auf unser Tor zu, das kenne ich schon, einen aussteigen lassen, drei Meter sprinten, Querpass, zack, eingelocht: Sechs zu Eins! Immerhin der Friede ist nun komplett wiederhergestellt. Einmal noch läuft Ruben auf das gegnerische Tor zu, wie in der ersten Halbzeit auch schon, jetzt aber, denkt sein Vater, er sieht den Ball schon drin, er hat den Freundensprung bereits in den Knien, solche Dinger macht der Ruben doch immer aus den Halbpositionen, hundertprozentig, jedenfalls auf dem Grimmi, der Weg ist auch nicht mehr weit, jetzt schießen, ja, jawoll, ein Schuss, ein Knall, aber irgendwie scheint hier ein Loch im Netz zu sein, huch, der Ball fliegt einfach weiter, er hält gar nicht an, er müsste doch jetzt im Netz zappeln, wieso tut er es nicht?

Vorbei. Da wird das Spiel auch schon abgepfiffen. Ja, so schnell geht das, so ein Mist auch.

Jungs, macht euch nichts draus! Das war eines von den schmutzigen, schmerzhaften Spielen! Ich kenne diese Spiele! Du fährst raus zu den Bauern, das Wetter ist zum Kotzen, der Platz ist zwar ein Platz, aber irgendwie auch nicht, die Gegner sind größer, kräftiger, breiter, sie rempeln dich in den Dreck, egal, was du machst, du kommst nicht durch, die Endorphine wollen nicht zünden, dein Gegenspieler sieht aus wie ein Honk, aber er ist verdammt schnell und immer vor dir am Ball, was nützt dir dein gutes Aussehen, heute bist du der Honk, du machst einen Einwurf, er rutscht dir durch die Hand, du wagst einen Torschuss und trittst dabei in den Boden, du gehst zur Eckball und stolperst über die Kreidelinine, und aufgestellt von Anfang an warst du auch nicht! Sei froh, dass du dich nicht verletzt hast!

Ihr habt alle super tapfer gekämpft, ihr habt euer Bestes gegeben, ihr habt niemals aufgegeben, ihr seid toll!


Sagt euren senilen, ollen Trainern, sie sollen euch endlich mal modernes Fußballspielen beibringen und nicht immer ihre ganze Kraft und Altherren-Energie fürs Mailing und Spielberichte-Verfassen verschwenden, da gibt es noch viel mehr zu tun und euch zu zeigen und zu lehren als ein paar Beckenbauerhafte Sprachschlenzer! Sagt ihnen, ihr wollt endlich wissen, wie man sich am besten bewegt auf dem Platz und den Gegner den Raum zustellt, sagt ihnen, ihr wollt mal richtig gut Passen und Ballannehmen und Weiterpassen üben, verlangt von ihnen, dass sie mit euch totalen und finalen Torschuss üben und genauer erklären, wie man eigentlich eine Position im Spiel hält! Tretet ihnen so lange auf die Plattfüße, bis sie euch endlich begreiflich machen, was sie eigentlich damit meinen, wenn sie von Angriff und Verteidigung, Balleroberung und Ausschwärmen, höher und tiefer Stehen meinen! Geht mit ihnen hart und unerbittlich ins Gericht, schont sie nicht aus Rücksicht auf ihr mäßig fortgeschrittenes Alter! Und ganz wichtig: Bleibt dabei selberdenkende, mitdenkende, immer gut gelaunte, aufrichtige, hoffnungsfrohe und optimistische Wesen, so wie heute - denn dann werdet ihr eines Tages auch den Berliner SC wegputzen, auswärts, auf der Sumpfsportanlage an der Hubertusallee, ihr in blütenweißen Stutzen und in den herrlichsten weinrotesten burgunderhaftesten Trikots, die man je östlich des Rheins gesehen hat, dank oberbayerischer Hochkunstwäsche! Gib mir ein A, gib mir ein M, gib mir ein A - und was heißt das?

AMA für immer, yeaahrrr!

[SAISON 15/16 - 6. SPIELTAG - 7. NOVEMBER 2015]


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