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AMA / F2
SAISON 2015 / 2016

SV BORUSSIA RIMA

AMA fII - AMA fX

13 : 12


„Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft“

Jean Paul Sartre


Da sind sie wieder, die unheimlichen Triggerpunkte des Geschicks. Eine Welle kulminierender Koinzidenzen. Eine Nacht vor dem Laptop, ein Vormittag auf dem Körte, zwei Gegner, die nicht zum Spiel erscheinen, ein seit Wochen ausgekühlter Fernseher und schließlich eine Mannschaft, die alles rettet.

Aber langsam, Schritt für Schritt.

Ich war auf der Suche nach einem emblematischen Motiv für eine kleine Kick `n Write-Website, die ich in der Woche zusammengebaut hatte. Nach unzähligen Clicks in die vollgerümpelten Messehallen des Internets fand ich ein hübsches Klaus-Fischer-Fallrückzieher-Andenken in Schwarzweiß. Ein Foto, das das 3 : 3 der deutschen Nationalmannschaft im WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich in Sevilla zeigt. Fischer liegt in der Luft und hat den Ball soeben auf den Weg gebracht. Im Hintergrund ist die Toranzeige des Stadions zu erkennen, auf der ein Ergebnis steht, das schon nicht mehr ganz aktuell ist. Über solche Momente, in denen der zeitliche Augenblick mit der dargestellten Wirklichkeit im Klinsch liegt, könnte ich stundenlang schwadronieren. Ich meine, wir sehen eine entscheidende Szene des Spiels, der Ball ist so gut wie im Tor, es steht im Grunde schon Drei zu Drei, doch im Hintergrund des Bildes wird noch etwas anderes behauptet. Man könnte sagen: Das Foto ist dem Spielstand einen kleinen Schritt voraus.

Leider gehört diese Partie nicht zu den großen Ruhmesblättern der deutschen Fußballgeschichte, weshalb ich das Motiv, obwohl es mir grafisch und programmatisch gut gefällt, schließlich doch aufgeben musste. Es war dieses unselige Spiel, in dem Toni Schuhmacher den unschuldigen Patrick Battiston zu Boden catchte. Battiston blieb bewusstlos auf dem Rasen liegen und trug eine Gehirnerschütterung davon. Er verlor zudem zwei Zähne bei der Attacke und musste, kaum ins Spiel gekommen, schon wieder ausgewechselt werden. In verquerer Auslegung des Wortes „Strafraum“ kam Schumacher ohne jegliche Vorwarnung heraus gestürmt und sprang Battiston wie ein Puma an. Die als Verteidigung verkleidete Attacke fand jenseits der 16-Meter-Linie statt. Wurde sie deshalb nicht geahndet? Es gab nicht mal Freistoß für die Franzosen.

Der Mann des Spiels war für mich Karl-Heinz Rummenigge, den Jupp Derwall erst spät für den Zehnkämpfer Briegel ins Spiel gebracht hatte. Die Deutschen lagen in der Verlängerung stramme zwei Tore zurück, die Franzosen waren sichtlich besser. Doch dann riss Rummenigge das Spiel an sich. Nach einer sehenswerten Kombination mit Stielike und Littbarski schnitzte er den Ball mit dem rechten Außenrist ins Netz. Anschlusstreffer. Beim Ausgleich kurz vor Ende der Verlängerung verlagerte er das Spiel geschickt auf die linke Seite, wo Litti eine Bogenflanke Richtung Fünfmeterraum absetzte. Eine kurze Kopfballrückvorlage vom langen Pfosten zurück in die Mitte, wo Fischer bereits geistesgegenwärtig in die Luft stieg und zu seiner akrobatischen Spezialität ansetzte: Bicycle-Kick. Tor. Ausgleich. Elfmeterschießen.

Die Franzosen begannen nervenstark. Die Deutschen zogen nach. Doch dann trat Uli Stielike an und schoss den perfekten Elfmeter – allerdings aus Sicht der Franzosen, weshalb er mit dem Gesicht voran in seine Hände tauchte und erst zehn Minuten später wieder aus ihnen hervorkam. Wer zukünftigen Elfmeterschützen beibringen will, wie man einem Elfmeter besser nicht schießen soll, der zeige ihnen einfach den Stielike-Elfmeter von Sevilla. Eine einzige Fehlerkette: Viel zu langer Anlauf, viel zu viel Zeit, um nachzudenken, ein unnötig eingelegter Zwischenstopp, dabei die zuvor ausgesuchte Ecke gegen die andere ausgetauscht, ein mittelmäßig scharf geschossener Schuss mitten in die Arme des Torwarts - so bitte nicht! Platini machte es drei Elfer später noch einmal vor. Bei langen Anläufen rasch schneller werden, durchziehen, sich nicht beirren lassen und kompromisslos in die vorher ausgesuchte Ecke knallen – so klappt`s!

Dank Horst Hrubesch und der Mithilfe zweier Franzosen gelang den Deutschen dennoch der Einzug ins Finale. Auch Hrubesch verwendete eine Strafstoßtechnik, die ich mehr als erwähnenswert finde. Man sieht ihn lässig zum Elfmeterpunkt schreiten, der Ball liegt bereits dort, der Schiedsrichter hat ihn mitten in die Kreide gelegt. Hrubesch nähert sich dem Ball, doch statt ihn sich noch einmal selber ordentlich zurecht zu legen, begutachtet er ihn nur flüchtig aus der Entfernung und winkt dann zum Zeichen seines Einverständnisses mit der Hand ab. Er schreitet ein paar Meter zurück, nimmt Anlauf und schiebt den Ball sicher und trocken ins rechte Eck. Punkt. Satz und Sieg. Finale!

(Ich bin mir nicht sicher, ob diese Technik nachahmenswert ist, aber unter Umständen hätte sie David Beckham 22 Jahre später vor dem himmlischen Ausrutscher gegen Portugal bewahren können.)

Zwei Jahre später gewinnen die Franzosen völlig zurecht und verdient die Europameisterschaft. Deutschland scheidet in der Vorrunde aus.

Deutschland - Frankreich, eine große Liebesgeschichte. 33 Jahre später kommen beide zu einem Match der Brüderlichkeit in Paris zusammen. Es ist Freitag, der 13ste November. Die Welt ist längst eine andere. Aber an diesem Abend ändert sie sich noch einmal.

Für mich verging der Abend wie im Fluge. Ich taggte an der Website herum, fuhr grafische Tore auf und zu und freute mich über die Aussicht, das Spiel demnächst auch auf dem digitalen Rasen pflegen zu können. Ich vergaß darüber völlig die parallel laufende Freundschaftsbegegnung in Paris. Was ist schon ein Länderspiel? Was ist überhaupt noch ein Fußballspiel angesichts all dieser überflüssigen, unzähligen Fußball-Übertragungen im Fernsehen? Schließlich nahm mich die Nacht in ihren Besitz, ich ging zu Bett und schlief über den Gedanken an unsere beiden Samstags-Liga-Spiele ein.

Die erste Überraschung des Tages ließ nicht lange auf sich warten. Pünktlich um zehn Uhr erschien ich auf dem Sportgelände, um doch nur meine Augen zu reiben. Vor Verwunderung: Auf dem Platz spielte ein AMA-Massimo-Team gegen ein AMA-Yousef-Team. Ich wusste wohl, dass der Gegner unserer F2, der Friedenauer TSC, einen Tag zuvor abgesagt hatte. Dass nun aber auch der Gegner der F4 ausfallen sollte, war mir neu. Ich stellte mich verwundert an den kalt windigen Spielfeldrand, ließ mich aufklären und folgte mehr oder weniger aufmerksam dem Geschehen auf dem Kunstrasen. Nebenbei witzele ich mit den Kollegen, bis mir jemand steckte, dass es am Abend zuvor in Paris am Rande des Länderspiels heftig geknallt haben sollte. Eine Zahl von über 130 Toten fiel. Ich hielt alles für einen schlechten Scherz. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass niemand solche Scherze macht. Noch weigerte ich mich, die Neuigkeit anzunehmen. Ich verstand sie nicht. Wieder ein Anschlag? Wieder in Paris? Warum so viele Tote? Unmöglich! Eine brutale, alles erschütternde Katastrophe war über Paris, war über Frankreich, war über uns alle gekommen, aber mein Gehirn zeigte noch den alten Spielstand an. Die Wirklichkeit war mir um eine grausame Nacht und einen entsetzlich traurigen Morgen voraus.

Wie sollte ich aus diesem Schockzustand zu unserem Spiel mit den Kids übergehen? Nacheinander trudelten unsere Spieler ein, die vielen Nachnominerten, die wie die regulär Nominierten keine Ahnung davon hatten, dass unser Gegner nicht erscheinen würde. Ich kann verstehen, dass jemand enttäuscht ist, wenn er etwas Freudiges, Neues erwartet, stattdessen aber nur etwas Altbekanntes und Gewohntes vorgesetzt bekommt. Und dennoch war es eine kluge Entscheidung, alle Kinder zum gemeinsamen Spiel unter Wettkampfbedingungen zu bitten. Denn auf diese Weise kamen wir uns selber zu Hilfe.

Die flirrende SC Borussia Rima

Wer war sie? Woher kam sie, diese wundersame Mannschaft aus einem Honigguss? Ihr warmes schmutziges Leuchten! Stammte es von den halbseidenen gelben Trikotkleidchen? Eine herrliche Feen-Riege, diese zauberhafte, wildbunte Leichtigkeits-Equipe! Wer sie nicht erlebt hat, wird ihre famosen Vorzüge nur schwer nachvollziehen können, der wird nicht erahnen, was ich meine, wenn ich vom überwundenen Bienensterben spreche. Ihr fleißiges Aufbauspiel, ihr emsiges Treiben, wie ein luftiges, hin und her sausendes Notfallgeschwader! Sie kam uns zu Hilfe und rettete den Spieltag. Jemand musste sie aus dem Jute-Beutel gezaubert haben wie der Zauberer Kaninchen aus dem Hut, schon schwärmten sie aus in alle Richtungen, diese wundersamen Glühwürmchen, schon boten sie sich an zum offenen Honigschlagabtausch. Sie brauchten keine Kalaschnikows und Sprengstoffgürtel, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie waren einfach da, luftig, leicht, sanftmütig brummend, selbstlos und voller schwirrender Energie. Sie halfen uns aus mit unbeschwertem Kummerhonig, weil ringsherum Blumenköpfe abgeschlagen in den Vorgärten lagen, weil dunkle Wolken in den Straßen hingen und klebriger Ruß an allem haftete, was Tags zuvor noch wie ein Sonnenaufgang am Horizont geschimmert hatte. Wie ein Regenbogen kam diese Mannschaft aus dem fernen Licht herab und brachte uns Gold und Myrre, Heiterkeit und Hoffnung. Sie erschien, als niemand mit ihr rechnete. Sie verlangte nichts, sie war einfach da, reines Herbstblattgold. Im Gegensatz zu den Terroristen hatte sie keine Angst vor dem Leben.

Neun zu neun nach 2 x 25 Minuten. Dreizehn zu zwölf nach Elfmeterschießen. Ein ganz knapper Sieg für AMA II. Doch gewonnen haben alle, egal ob RIMA oder AMA: Nelson, Fynn, Francesco, Kolja, Keyan, Timo, Willi, Oskar, Ruben, Luca, Leo, Eli, Lounes, Koray, Lenni, Eduard.

Zum Spiel: Deutliches Übergewicht der AMAS in den ersten fünf Minuten, bis CoCo-Assistent André von der Seitenlinie einen kapitalen Bock im Spiel entdeckt und Pancho den Trainern zu Hilfe eilt. Eli, beim Aufwärmen noch eindeutig in gelber Honig-Barca-Pracht, hat sich heimlich eine Gelsenkirchen-Jacke angezogen und freimütig in den Dienst der AMA-Mannschaft gestellt, wohin ihn der Trainer gar nicht beordert hat. Die Trainer handeln umgehend und stellen Fynn hinüber zu den Honigbienen, aus einem regulären Tor wird somit zwar ein Eigentor, doch die Teams sind nun endlich ausgeglichen.

Lange Zeit kann AMA die Führung behaupten und sogar einen Drei-Tore-Vorsprung heraus spielen. Doch dann kommt RIMA auf! Schießt ein Tor nach dem anderen! Geht sogar in Führung! Nun ist AMA gefragt, stemmt sich gegen die Niederlage, schafft in einem letzten Kraftakt den Ausgleich. Neun zu neun nach 50 Minuten. Auch das anschließende Elfmeterschießen gedeiht zu einem offenen Schlagabtausch. AMA liegt ein Tor zurück dank eines perfekt parierenden und leicht vor der Linie operierenden RIMA-Torhüters: Wechsel-Fynn höchst persönlich. Aber Luca bricht den Bann und semmelt dem Alleskönner scharf rechts in perfekter Dreiviertel-Höhe einen rein. Eduard tritt als letzter Schütze für AMA an, er macht es nicht auf Stielike, nicht auf Hrubesch, sondern ganz französisch: Er schießt und hebt den Ball in einer kunstvollen Bogenlampe über Fynn hinweg ins Netz. Der ganze Druck lastet nun auf Nelson, dem tapfersten aller Ewoks, er hat den Ausgleich auf dem Fuß, er schießt scharf, doch Leo wachsen übernatürliche Hände, er pariert den knallharten Schuss, lenkt den intergalaktischen Ball ins Aus, das Spiel ist zu Ende!

AMA jubelt. RIMA auch. Fünf Minuten spielten sie in Unterzahl. Die beiden ersten Treffer dürften gar nicht zählen. Aber wie heißt es so spröde beim deutschen Fußballbund: „Tatsachenentscheidung!“ Ein unglaublich stumpfes und ungerechtes Wort für etwas, das weit, weit über jede simple Fehlentscheidung und jede verlorene Partie hinausweist.

Und doch lehrt uns der Fußball genau dies: Jedes Schicksal anzunehmen, sich von ihm nicht klein kriegen zu lassen, niemals aufzugeben, immer weiter zu machen, es immer wieder neu zu versuchen, egal wie hoch man verliert, wie selten man gewinnt oder wie schwer eine Verletzung ausfällt. Denn dieses wunderbare, wundersame Spiel ist uns immer einen Schritt voraus. Wir können es nicht einholen. Es heilt unsere Wunden, es reißt neue auf. Es wird uns und jede Form des Terrors überleben.

[SAISON 15/16 - 7. SPIELTAG - 14. NOVEMBER 2015]


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