Hertha 03 U17 - AMA U17/16
7 : 2
Noch ist die Geschichte nicht zu Ende erzählt, auch wenn am Horizont bereits ein schmaler dunkler Nadelstreifen auftaucht, vermutlich Land, womöglich sogar ein neuer Kontinent, vielleicht auch nur eine Flutwelle.
Im Kader nun üppige 29 Spieler inklusive zweier Keeper, im Grunde viel zu viele Spielwütige für ein kompaktes überschaubares Ensemble, zumal die Proben-Bühne ziemlich klein und klapprig ist. Drei mal eine Platzhälfte in der Trainingswoche, zwei mal davon auf dem Kleinfeld-Coerthe. Da stellt sich schon die Frage: Wie viele Quadratmeter Kunstrasen braucht ein U17-Spieler durchschnittlich, um sich angemessen auszutoben und entwickeln zu können?
Prekärer sogar die Sache mit der Spielzeit. Schon vor dem ersten Spiel ist klar, die wöchentlichen Rationen werden ungerecht verteilt werden. Insbesondere wenn es erneut um ein Leistungsprinzip gehen soll und einen Platz im oberen Tabellendrittel. Die großen Hungrigen im Vergleich zu den kleineren Mägen der noch nicht ganz so großen Esser: Lässt sich da eine proportionale Verteilung der Portionen rechtfertigen mit dem Argument eines für alle gleich geltenden Leistungsprinzips?
Momentan – nicht nur im deutschen Fußball – kann fast alles hinterfragt werden, sehr gut. Wer hätte gedacht, dass Basketball im Land der Bolzer und Holzer jemals vorne liegen könnte? Lang hat es gedauert, aber nun ist es soweit, vielleicht ist der deutsche Fußball endlich an seinem wahrhaftigen Nachkriegs-Wunder angelangt, unmerklich übergegangen in eine Ü50-Plus-Liga, die zwar unermesslich viel verdient, aber kein schönes Spiel mehr zustande bringt. Wie die Wirtschaft, so der Fußball!
Im very old Shatterhandbereich gibt es bereits einen offiziellen Standfußball-Wettbewerb. Da gilt: Rennen verboten! Es hat auch viele Vorteile, wenn der Ball sauber in den Fuß gespielt werden muss.
Denkbar ist bei derartigen revolutionären Regeln sogar ein allmählicher Wandel hin zu einem gänzlich körperlosen, kopfballfreien Spiel. Klar, das wäre nicht mehr ganz der Fußball, den wir kennen und liebgewonnen haben, er käme aber zumindest der Gesundheit und insbesondere unserem Team im Augenblick zugute, da wir, so zeigen sich die ersten Wettkampfergebnisse, durchaus ein Problem mit dem guten alten Prinzip des Aktiven-Zum-Ball-Gehens haben. Weniger Kopf im Spiel als neues Paradigma des Flach-spielen-und-hoch-Gewinnes klingt allerdings etwas gewagt, insofern lassen wir ihn vorsichtshalber mal im Spiel.
Womöglich ist es genau das, was uns im Wege steht: Dass alles immer eindeutig sein muss, damit es einen Sinn ergibt. Eine Art menschliches Defizit generell. Um den Faden sinnvoll aufzunehmen und sauber fort zu spinnen, sollten wir zunächst erklären, dass diese Saison allerhand unbekanntes Terrain vor uns aufbietet, halb Insel, halb Kontinent, womöglich ganz Flutwelle. Selbst nach den ersten Einheiten und ersten Begegnungen dürfte nicht so schnell klar sein, um was es sich bei diesem Gewebe eigentlich handelt. Sollte die Saison am Ende gar einen fein gewebten Teppich erkennbar werden lassen? Schön wär´s! Vielleicht franst sie aber auch unmerklich und allmählich aus, wird immer lichter und am Ende hängen nur noch ein paar Kettfäden in die Zukunft, die es nicht mehr lohnen, näher betrachtet zu werden. Auch das kann passieren. Es könnte sogar sein, dass das gesamte Gewebe rückblickend wie ein einziges billiges Flickwerk aus der Restemanufaktur ausschaut und nicht gerade en mode wirkt, wenn es jemals von Aufsehen Erregen gewesen sein sollte.
Klar ist eigentlich nur die eine Feststellung: Wir müssen vieles ändern, wenn wir wollen, dass manches so bleibt. Vielleicht müssen wir sogar alles ändern, damit überhaupt etwas bleibt. Womöglich wird jedoch nichts bleiben, selbst wenn wir alles komplett hinter uns lassen. Die Variationen der guten alten sizilianischen Paradigmenwechsel-Fuge gleicht einem letzten verzweifelten Ansinnen progressiver Leoparden, den unerbittlichen Schlussfolgerungen der neuen künstlichen Intelligenz ein surrealistisches Schnäppchen zu schlagen. Früher hieß es ja immer, und es galt als fußballerisches Ideal, man müsse seinen Gegenspieler in der Telefonzelle schwindlig spielen. Ich denke, zu diesem Geistesblitz anachronistisch-analoger Fußballkunst und technischer Kühnheit sollte die Spitze des DFB mal ein fachübergreifendes Symposium einberufen und viele ehemalige Kicker und aktuelle KI-Experten befragen. Gern mit Mario Basler als dreizehnter Fee am Tisch.
Als überzeugter Zukunftsskeptiker bin ich besonders anfällig für den Borkenkäfer der Prognostizierungswissenschaften, vor allem in Verbindung mit dem Schönwetter der Kunst. Manchmal bin ich sehr ergriffen von den Melodien des Optimistischen und Progressiven, sodass ich ganz vergesse, in welchen katastrophalen Sachzwängen der Mensch eigentlich steckt. Meist hilft mir Aki Kaurismäki mit seinem Zitat vom: "Auf die Menschheit gebe ich nichts, auf den Menschen schon!" – leidlich aus der Patsche. Seine eigentlich asymmetrische Dialektik hilft mir prima im ersten Augenblick über den großen Erdenkummer hinweg und kitzelt aus den aktuellsten Paradoxa des Zivilisatorischen ein zartes, wenn auch schüchternes Lächeln. Wenn es ganz hart auf hart kommt, avanciert selbst der Sisyphos von Camus zum neuerlichen kurzweiligen Evergreen, wenngleich auf einem sehr alten intellektuellen Schwarzweiß-Fernseher betrachtet. Gleichwohl denke ich, dass auch diesen zwei humanistischen Altmeister des im Grunde halb vollen Glases langsam der Saft der Utopie ausgeht. Und hiermit meine ich nicht den allgegenwärtig zur Verfügung stehenden Strom, sondern die zum Überleben viel wichtigere natursüße Fruchtflüssigkeit.
Es ist, als wäre alles gesagt, als wäre jeder Spielzug zehn Mal erzählt. Die guten Aktionen wiederholen sich wie auch die vielen dummen Idiotien von Mensch und Trainertier. Wie im Film Groundhog Day beginnt das Setting stets neu, endet aber im Grunde immer gleich. Die Highlights des Utopischen und Ausbrecherischen halten sich in Grenzen. Webers dickes Brett scheint gar ein ungehobelter Baumstamm zu sein. Doch der Film demonstriert ja auch, wie man der unendlichen Routine geschickt entkommen und ihr sogar kreativ begegnen kann, indem man sein Handeln schlichtweg variiert und irgendwann sogar zu den normalsten absurden Handlungen greift, die man sich vorstellen kann. Man versucht, die Zeit zu besiegen, indem man sich auf einen einzigen Punkt des wiederkehrenden Tages konzentriert und sein Handeln, gut vororientiert im Raum, leidenschaftslos angeht und ausführt. Avisieren, vorausschauen, punktgenau und bewusst handeln. Wahlweise gibt man sich an allem Wesentlichen desinteressiert dem langatmigen Erlernen einer komplexen Kunstform wie der des Klavierspielens hin, so lässt sich Dauer mit Dauer besiegen.
Wenn es der Sache also irgendwie nützte, würde ich mich sogar in Lederhosen und Gamsbart am Filzhut auf die Trainerbank setzen. Und sei es nur, um vom ewig gleichen Gerangel um den Ball abzulenken und die Wahrnehmung auf etwas zu lenken, das mit mir persönlich zwar herzlich wenig zu tun hat, aber als gutes absurdes Theater an der Seitenlinie ein paar progressive Impulse für die Zukunft des schönes Spiels lostreten könnte.
Vielleicht dann sogar ohne Kopfball, aber womöglich mit Kokosnuss.
[Test / Sa. 2. September 2023]