Viktoria 89 III - AMA
2 : 2
Es ist schon ziemlich idiotisch: Am Vorabend des Spiels wird vor dem Training die Devise ausgegeben „Bitte in den nächsten zwei Wochen keine neuen Verletzten, bitte entsprechend Körper pflegen und Zweikämpfe moderater führen!“ Eine Viertelstunde später verlässt der erste Spieler humpelnd den Platz und fällt für den Spieltag aus: „Mir ist jemand mit dem Stollen auf den Fuß getreten!“ Wer, das lässt sich nicht ermitteln.
Am nächsten Vormittag auf des Gegners Platz knickt ein Spieler beim Aufwärmen um und kann nicht eingesetzt werden. Ein weiterer hat Muskelprobleme vom Trainings-Vorabend sowie Blasen an den Füßen, da er seit einer Woche neue Schuhe trägt. Die alten Schuhe, Rasenstollenschuhe, sind kaputt gegangen, ein Stollen war auf dem stumpfen Kunstrasen abgebrochen. Nach zwanzig Minuten macht sein Muskel endgültig dicht, der Spieler versucht sich noch in der Innenverteidigung, muss aber vor der Halbzeit ausgewechselt werden.
Ein dritter Spieler klagt in der Halbzeit über einen angeschlagenen Knöchel, auch er kann nun keine Verantwortung mehr fürs Team übernehmen. Ein Vierter, dem die Chance gegeben wurde, sich zu zeigen, hat nach dreißig Minuten Stiche in der Brust und muss ausgewechselt werden. Ein Fünfter klagt in der Pause über einen brummenden Schädel, ihm macht die Sonne zu schaffen. Vier weitere Spieler des Gesamtkaders konnten von vornherein nicht nominiert werden, da sie entweder dauerhaft verletzt oder durch Infekte geschwächt sind. Ein Fünfter meldete sich wegen einer Konfirmation ab. Ein Sechster fand sich zu unrecht nicht nominiert und schickte ein Enttäuschungsschreiben.
Mit 30 Spielern starteten wir in die Saison, seit der Halbserie sind noch 26 Spieler übrig, davon ein hinzugekommener Rückkehrer. De facto verzeichneten wir bereits fünf Abgänge, zwei, die die Lust am Fußball verloren haben, einer, der auf mehr Spielzeit hoffte und das Team verließ, zudem ein Langzeitverletzter und ein Austauschschüler, den es mitten im Schuljahr über den Atlantik zog. Nur selten erreichten wir eine Trainingsbeteiligung von > 80 Prozent, nie die Pünktlichkeit aller Beteiligten. In jeden Ferien liegt die Quote gar deutlich unter 50 Prozent. Einige Spieler kommen derart unregelmäßig zum Training und sind so oft krank gemeldet, dass man sich eigentlich Sorgen um ihren generellen Gesundheitszustand machen müsste. Das drei Mal wöchentliche Training scheint sie zu überfordern.
Sobald zwei oder drei Schlüsselspieler bei uns ausfallen, verlieren wir rapide an Niveau und Schlagkraft. Wir sind in der Breite leider nicht optimal genug aufgestellt, um dauerhaft wirksam oben mitzuspielen. Wir bilden geflissentlich aus, halten lange an Spielern fest, tauschen sie nicht vorschnell aus. Bei den meisten zündet unsere Ausbildung, eine Entwicklung ist klar zu erkennen, bei einigen scheint ein Maximum jedoch bald erreicht. Um größere Verantwortung im Team zu übernehmen, reicht es vorerst leider nicht.
Ein gutes und funktionierendes Team lässt Einzelspieler stets besser aussehen, es wertet sie auf. Ein Team mit vielen guten Einzelspielern muss wiederum noch lange kein gutes und funktionierendes Ensemble bilden. Viele, die sich bei uns melden, meinen, sie seien zu Höherem berufen, nur die wenigsten erfüllen letztlich die Erwartungen. Es heißt oft, man möchte den nächsten Schritt machen. Viele bleiben nach einem gewissen Schritt jedoch stehen, insbesondere stagnieren ihre Fehlermuster. Das alles ist ganz normal, denn wir sind ja keine Profis. Wir haben ein solides Landesliganiveau, würden aber bei einigen bestimmten Abgängen keinerlei Aufstiegschancen mehr besitzen und eher um den sicheren Klassenerhalt spielen. An der Spitze braucht man durchgehend Spitze.
Wer glaubt, dass eine gute Spielanlage ausreicht, um hoch hinaus zu kommen, der irrt. Ab der U16 gilt es, den Sportler zu komplettieren. Hat er Defizite im technischen Bereich, wird er sie nur sehr schwer und durch stetes Einzeltraining etwas kompensieren können. Fehlen ihm Spritzigkeit, Körperlichkeit oder Schnelligkeit wird er auch bei allerbester Technik und perfekter Spielanlage nicht über ein bestimmtes Niveau hinauskommen. Ist ein Spieler nicht bereit, sich den kontinuierlichen und hohen Anforderungen an Aktivität und Regeneration zu stellen, wird seine Entwicklungskurve entsprechend verflachen.
Viele können ihre kleinen bis mittleren Defizite gut verbergen, da um sie herum ein paar Knaller agieren, die den Großteil des Jobs erledigen. Ans Licht kommen sie erst dann, wenn diese Spieler selber in Führungsrollen treten müssen. Zu einer guten Anlage sollte immer ein guter Charakter gehören, denn ohne Charakter ist jede Anlage wertlos. Einige meinen, sie seien schon lange Spitze, vernachlässigen darüber ihren Einstellung und rutschen mental ab. Sie leben von der Einbildung, reden sich bei Fehlern notorisch raus, packen sich aber nicht mehr an die eigene Nase. In einem guten Team muss die Mischung stimmen: zwischen Spitze, Zuverlässigkeit, Talent und Perspektive.
Mit unserem derzeitigen Team, bei etwaigen Abgängen und ohne entsprechende qualitative Aufstockung, wäre ein erfolgreiches Bestehen in einer potentiellen Verbandsliga nur schwer denkbar. Starten wir erneut in der Landesliga, wird es das Team möglicherweise zerreißen und die zukünftige Formation begnügt sich mit einem gehobenen mittleren Niveau. Weitere Abgänge, Unzufriedenheiten und Diskontinuitäten könnten die Folge daraus sein, weil einige dann meinen, sie seien eigentlich für Höheres vorgesehen. Wir sind nur deshalb so lange so erfolgreich gewesen, weil wir insbesondere in der Spitze zusammengehalten haben.
Zum Spiel: Wir gehen souverän eins zu null in Führung, dominieren die Partie, erarbeiten uns Chancen, vergeben sie jedoch leichtfertig, bis wir wegen der Ausfälle erneut umstellen müssen und darüber unsere Dominanz verlieren. Kurz vor der Pause fällt der Ausgleich in altbekannter notorischer Art und Weise. Nach der Pause rennen wir wütend, aber leider ohne Ertrag Minute für Minute an, bis der Gegner erneut durchbricht und zu unserem großen Erschrecken sein zweites Tor erzielt. Entgeistert stehen wir auf dem Platz, wir scheinen das Spiel gar zu verlieren! Drei Minuten vor Schluss gelingt uns in einem Kraftakt zumindest der Ausgleich.
Wenn man aufsteigen will, muss schon alles passen. Momentan passt nicht viel zusammen. Das ist nicht schlimm, aber extrem schade.
[21. Spieltag / Sa. 27. April 2024]