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AMA / E2
SAISON 2017 / 2018

Der lange Tag

Hertha 03 Frühjahrs-Cup

7. Platz

Der lange Tag draußen auf dem Sportgelände an der Onkel Tom Straße hat mich ausgelaugt. Ich habe eine Art Jetlag. Ich bin müde und erschöpft, mein Kopf fühlt sich teigig an. Am Turniertag war es seltsam frisch, beinahe kühl, nun steigen die Temperaturen wieder.

Was für eine Schlacht! Dreiundzwanzig Mannschaften kämpften um die Platzierungen, allein die Vorrunde nahm den kompletten Vormittag in Anspruch. Bis Mittag verging die Zeit noch wie im Fluge, die ersten drei Spiele rutschten glatt durch, nicht einmal einen Gegentreffer kassierten wir. Da wird man schnell überheblich und wagt das eine oder andere Experiment.

Prompt geht das vierte Spiel in die Hose. Die Mannschaft, die eben noch vor Selbstbewusstsein strotzte, lässt plötzlich wieder gefährlich den Kopf hängen. Dabei hat sie sich souverän für die Goldrunde qualifiziert, und solch ein Turnier beginnt im Grunde erst mit der Haupt- und Finalrunde der besten 12 Mannschaften. Ein ganz entscheidender Punkt: Vor einem Jahr gaben wir uns an gleicher Stelle auf, dieses Mal nicht.

Es dauert ein wenig, bis das Team ins Turnier zurückfindet. Es verliert sein ersten Goldspiel, es gewinnt das nächste, es verliert das dritte, es gewinnt das vierte, es verliert das fünfte, dann gewinnt es der Serie entsprechend das kleine Finale um Platz 7 - schon ist das Turnier zu Ende. Zum Glück ohne einen Angriff wütender Wildschweine, die am Vortag das Gelände heimsuchten und Dutzende Kinder auf die Zäune trieben.

Solche Turniere und Goldrunden sind hervorragende Einheiten zum Lernen und Begreifen. Allein deshalb hat es sich gelohnt, den ganzen Tag auf dem Gelände auszuhalten. Wir konnten eine Menge abarbeiten, so richtig geschuftet haben wir und viel geschafft dabei! Nicht nur die Spieler, sondern auch die Eltern legten sich ins Zeug, sorgten unentwegt für energiereichen Obst- und Zuckernachschub, der die Mannschaft im Turnier hielt. Auch hieran kann man gut erkennen, wie wichtig das Vorbild der Erwachsenen ist. Man muss sich nicht unbedingt weinend in den Armen liegen, wenn das Team einmal verliert oder grandios gewinnt, aber zu zeigen, dass man mit dabei ist und mitfiebert und ebenso gewinnen will, das überträgt sich durchaus. Eltern sind die ersten Fans von Kindermannschaften. Die schwappende Welle der Emotionen erreicht die Kinder durchaus.

Jeder konnte jeden schlagen, am Ende waren die einen vorne, die anderen etwas dahinter. Meist gewinnt die Mannschaft, der am wenigsten Fehler unterlaufen und die am meisten Tore schießt. Uns unterliefen ein paar Fehler, außerdem hatten wir Pech beim Abschluss - so verloren wir die entscheidenden Spiele gegen die großen Konkurrenten, zwar knapp, aber nicht ernüchternd. Im Gegenteil, aus dieser Form des Verlierens geht man letztlich als Gewinner hervor. Die Courage wächst.

Gegen den BFC Dynamo und die toughen Freunde der polnischen Akademia Reissa, den späteren Turniersieger, zeigten wir sehr beherzte, engagierte und spannende Spiele. Mit etwas mehr Glück und Konsequenz wäre trotz der augenscheinlichen kleinen Schwächen eine Überraschung drin gewesen. Noch sind wir nicht auf der Höhe unserer potentiellen Möglichkeiten, da fehlt noch etwas Bestimmtes, der letzte Schliff, die letzte Passgenauigkeit in der Zusammensetzung der Einzelteile.

Noch greifen einige Elemente nicht sauber ineinander, es hakt hier, es klemmt dort. Einiges lässt sich über kontinuierliches Training verbessern, für anderes benötigt wir einen Schub von Innen. Einen gewissen mentalen und charakterlichen Schub. Es geht nicht allein um die Fähigkeit, fußballerisch denken und handeln zu können, sondern auch darum, diese Fähigkeiten kreativ fort zu entwickeln. Dazu benötigen wir einen gemeinsamen Willen, kombiniert mit Klugheit, Motivation und Maß.

Wenn jemand etwas nicht will, wird er es auch nicht erreichen. Anders herum reicht ein einfacher Wille zum Erreichen seines Ziels nicht immer aus. Es muss schon ein ausdauernder, kontinuierlicher Wille sein, der weiß, wann er zupacken und wann er geduldig sein muss. Diesen sportlichen Willen kann man trainieren wie einen Körper. Aber auch er ist Formschwankungen unterworfen. Wer jedoch den Willen zur Kontinuität nicht aufbringt, wird in den entscheidenden Situationen auch nicht auf ihn zurückgreifen können.

Man kann von niemanden verlangen, permanent über die Grenze zu gehen. Aber man kann sogar Kindern durchaus zeigen, dass Erfahrungen an der Grenze besondere Erfahrungen sind, zwischen denen sich letztlich sogar vieles im Leben abspielt. Kinder testen, nebenbei gesagt, schon sehr früh alle möglichen Grenzen aus, in vielerlei Formen. Sie probieren aus, was geschieht, wenn sie dem nächsten Kind in der Kita einfach mal auf den Kopf schlagen. So lernen sie das Leben, die Welt und die allgemeinen Regeln kennen.

Leistungsgrenzen sind durchaus Erfahrungsgrenzen. Es geht im Sport aber nicht darum, ein Kind unentwegt über eine virtuelle Leistungsgrenze zu pushen. Aber immerhin darum, ihm die vorhandene Grenze als etwas aufzuzeigen, das zum eigenen Nutzen überschritten werden kann. Etwas auszuprobieren, was zuvor nicht in Erwägung gezogen wurde, bringt den Neugierigen nach vorne. Und die erste Voraussetzungen für dieses Vorwagen sind Mut und Motivation.

Wer im Training sein Spiel niemals in eine andere Richtung lenkt, der lernt nichts Neues, der bleibt auf einem bestimmten Niveau stehen. Wenn ich nicht in jeder Spiel- und Trainingssituation beide Füße benutze, schule ich nur den stärkeren. Dies reicht aber nicht, um sich im Fußball voll zu entwickeln. Als Spieler muss ich den Mut aufbringen, auch den schwächeren Fuß zu benutzen, sonst werde ich in entscheidenden Situationen eine weniger gute Entscheidung treffen.

Ich coache die Kinder und sage ihnen, wie sie etwas besser machen können. Ich erkläre ihnen, wann sie wie und mit welchen Fuß im Spiel agieren sollen, oder wie sie am besten in ein Dribbling gehen oder einen Dribbelnden aufhalten können. Aber ich nötige sie nicht, meine Vorgaben umzusetzen. Ich lenke eine Übung lediglich dahin, dass sie richtig handeln müssen, da sonst der Spaß am Spiel nicht aufkommt.

Wenn ein Kind nicht motiviert ist oder den Willen nicht aufbringt, sich verbessern zu wollen, kann ich allerdings viel reden und vorzeigen im Training, dann wird wenig geschehen. Es ist leicht, aus einem Spiel auszusteigen, man muss einfach nur stehen bleiben. Die Kinder werden von Natur aus größer, sie lernen weiterhin mit dem Ball umzugehen, doch sie schöpfen ihr Potential nicht vollends aus, wenn sie nicht auch von sich aus etwas erreichen wollen.

Das Training ist wie eine Bühne, auf der die Kinder viel ausprobieren können und sollen. Sie lernen dabei recht gut. Probieren sie aber nichts aus, weil sie lustlos oder erschöpft sind oder lieber in ihren gewohnten Zusammenhängen agieren wollen, lernen sie langsamer.

Wir hatten den Willen, uns gemeinsam durch das Turnier zu kämpfen. Ich sagte den Kindern: "Hey, wir sind wie ein Maulwurf, wir müssen uns hier den ganzen Tag lang durch die Erde wühlen. Wir wissen nicht, wo genau wir rauskommen, ob ganz weit vorne oder eher weiter hinten, aber wir wollen die ganze Zeit wühlen und graben, bis wir nicht mehr können und wieder hoch kommen."

Wir kamen am siebtweitesten von allen zurück ans Tageslicht. Vor uns lagen ein paar andere Teams und die Erkenntnis, dass auch extrem lange Tage ihre gebündelte Erfahrungen haben. Man muss solche extreme Turniere nicht jedes Wochenende spielen, aber einmal im Leben lohnt es sich auf jeden Fall.

[Hertha 03 Frühjahrs-Cup / 11. Mai 2018]


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7. Platz
Es spielten: Samy, Albion, Blerton, Fynn, Kolja, Timo, Ion, Julius, Levin, Luca

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