FSV Hansa 07 e2 - Ama E2
5 : 1 (nach Aluminiumtreffern)
Wenn es Wetten dass! noch gäbe, könnte jemand folgende Wette anbieten: "Ich wette, anhand von Grasfaser-, Gummi- und Sandresten an verschwitzten Socken und Stutzen eines beliebigen Berliner Fußballers jeden Berliner Fußballplatz erkennen zu können!" Zugegeben es müssten ältere Plätze sein, die neuen sind meist gut in Schuss, sodass sie weder fusseln, noch in aride Sand- oder Gummigranulat-Wüsten verwandelte Spielflächen sind.
Der Trainingsplatz von Hansa 07 gehört zur Kategorie mixed areas, man findet auf ihm gleich drei unterschiedliche Materialfamilien. In manchen Ecken überwiegt Sand, in anderen Bereichen Gummi, auf dem Rest irgendetwas, das mal ein Kunstrasen war. Trotzdem mag ich den Platz! Er liegt idyllisch eingebettet am Rande des Wrangel-Kiezes, es gibt große Schatten spendende Bäume, man wird begrüßt von einem handwerklich beeindruckend gemauerten Gebäude, dessen kühler Keller dem Verein als Kabinen- und Materialtrakt dient. Und selbst die provisorisch aufgestellten, eigenwillig duftenden Container-Kabinen vor dem Gebäude entbehren nicht eines gewissen Charmes. Außen grelle Graffitis, innen große helle Fenster zum Platz hinaus, beinahe wie Logen.
Zu Hansa 07 zum Fußballspielen zu radeln, hat für mich eine kleine Tradition. Ich kann mich nicht erinnern, einmal auf dem Körte gegen sie gespielt zu haben. Es verhält sich zwischen uns im Grunde so ähnlich wie mit uns und Hertha BSC, nur mit vertauschten Rollen: Wir werden von Hansa oft eingeladen, aber selber bekommen wir es nie zustande, sie einmal gegeneinzuladen.
Meine erste Begegnung fand vor zweieinhalb Jahren statt, ein unteres F-Jugend-Spiel. Es war eines meiner ersten Liga-Spiele, bei dem ich aufstellen und coachen durfte. Damals wurden wir vernichtend geschlagen! Okay, ich übertreibe, aber verloren haben wir, sogar recht deutlich, zumindest in der ersten Halbzeit, für deren Lethe-Konsum wir berüchtigt sind. In der zweiten holten wir ein wenig auf, aber alles in allem musste ich mir damals von meinem abwesenden Trainerkollegen die despektierliche Bemerkung gefallen lassen, wie man denn allen Ernstes gegen Hansa 07 verlieren könne?
Man kann!
Ich fand das Team gar nicht schlecht, auch wenn ich seitdem nie wieder gegen Hansa verloren habe. Es ist selbst nach einer hohen Niederlage immer noch gut gelaunt und freundlich, und gerade deshalb habe ich sehr viel für Hansa übrig! Das sind tolle Kinder, tolle Eltern und tolle Trainer: Offen, ehrlich, geerdet, von keinerlei Größenwahn befallen (ganz anders als ich). Die Vereinswebsite schlägt nicht nur unsere um Längen, der Ton ist frisch, die Gedanken sind frei - man spürt, dass ein kreatives Vereinsleben auch gut ohne aufgesetzte Identifikationsappelle auskommen kann.
Aber gut, ich stecke nicht tief genug drin, von außen sieht immer alles ganz hübsch aus, und letztlich gehöre ich nun einmal den Amateuren an, auch wenn ich zugeben muss, ideell an einem ganz anderen Verein zu hängen, obwohl ich gar keinen Draht mehr zu ihm habe: Meinen eigenen Jugendverein. (Noch schlimmere Website, ziemlich abgestandene Vereinshymne! Deshalb auch kein Link.)
Die Berliner Amateure sind ein gutes Exil, hier habe ich eine nette neue Heimat gefunden, zumal ich nur existentieller Gast in Kreuzberg bin, denn angemeldet und vermöbelt bin ich woanders. Kreuzberg ist mein Berliner Künstlerhotel, in dem ich wohne, schlafe und denke: Mein ganz persönliches Chelsea Hotel. Und der Kiez-Sportplatz sowie die Berliner Amateure sind mein Greenwich Village.
Mir gefällt es, in AMA-Klamotten durch den Kiez zu stiefeln. Und wahrscheinlich trainieren wir nur deshalb drei Mal in der Woche, damit ich selber oft auf den Platz komme. Fußball ist eben doch die schönste Nebensache der Welt, wenngleich das niemand mehr unterschreiben würde.
Je oller, desto doller: Korruption, Gier, Machtmissbrauch - in diesem gewaltigen System aus Eitelkeit und mehr oder weniger kritisch hinterfragtem Sachverstand steckt viel zu viel Geld, das bekommt dem Verhältnis Sport und Gesellschaft nicht gut.
Kinder sind heutzutage bestens ausgestattet mit Trikots, Bällen und Material, nur Zeit und Freiraum für sich selbst und ihre Ideen haben sie immer weniger. Jeden Tag eine Stunde zu kicken, das schaffen die wenigsten. Die Freizeit-, Reise-, Schul- und Erlebnisangebote sind unendlich breit aufgefächert. Heute kann jeder alles machen, vorausgesetzt er reserviert sich früh genug einen Platz. Es lohnt sich schon wieder, Minimalist zu werden und sich auf ein einziges kostbares Ding zu reduzieren. Weniger bleibt noch immer mehr.
Früher hat Fußball keinen Cent gekostet, man brauchte nichts als einen Ball und einen Ort zum Kicken. Kinder, die ihre Hausaufgaben links liegen ließen, gab es genug. Klavier war was für Mädchen, und wer täglich keine neue Schürfwunde vorzeigen konnte, war entweder an den Masern erkrankt oder ein Brainbrain. Aber ich schweife ab, untrügliches Zeichen dafür, kein substantielles Thema auf dem Tisch zu haben, sondern nur ein Sammelsurium an reminiszenten Gedanken, Mutmaßungen und schönen Erinnerungen. Über besondere Inhalte des Spiels mag ich nicht schreiben, weil mir das Spiel insgesamt zu einseitig und nicht wirklich von neuen Erkenntnissen aufgepeppt vorgekommen ist. Wir haben eine Menge Tore geschossen, einige Treffer selbst kassiert, aber so richtig gefordert, wurden wir nicht. Das Freundschaftsspiel machte seinem Namen alle Ehre. Schade, dass es nicht um Aluminiumtreffer ging, dann hätte Hansa hoch verdient gewonnen!
Mir gefiel, dass die Stimmung bei allen gut war und blieb, was bei einem solchen Spiel natürlich keine Kunst, sondern Intention ist. Toll, dass ein nicht nominierter Spieler zum Zuschauen kam. So etwas rührt mich, das gab es schon einige Male bei uns. Es beweist, dass wir durchaus einen intakten Teamgeist haben, der unerlässlich ist bei jedem ambitionierten gemeinsamen Unterfangen, nicht nur im Fußball. Es beweist aber auch, dass Kinder heutzutage immer noch für eine Stunde einfach mal rausgehen in den Kiez, um zu schauen, was so los ist!
Ach, ich bin ein unverbesserlicher Romantiker...
An diesem Wochenende werden wir unseren Teamgeist erneut brauchen, wenn es am Freitag zuerst zum Turnier in die Onkel Tom Straße geht und dann am Sonntag zum wichtigen Punktspiel auf den Körte. Ein langer, ausschweifender, intensiver Ritt, bei dem wir sogar trotz vorverlängerten Wochenendes auf jeden einzelnen Spieler zurückgreifen können! Soll noch mal jemand behaupten, wir seien nur eine reisewütige, aus etlichen Einzelinteressen zusammengesetzte Zweckgemeinschaft.
Von wegen!
[Freundschaftsspiel / 7. Mai 2018]