Rotweiß Viktoria Mitte U13 - AMA U13
0 : 3
Seien wir ehrlich, dies war nicht unser bestes Spiel. Die Formkurve hängt durch wie ein langes Brett. Ohne den Gegner kleinzureden, denn er spielte gut und engagiert Fußball, doch hätten wir weit mehr aus der Partie herausholen müssen. Drei bis vier Tore mehr und vor allem ein sichtbar werdenden Ansatz von griffigerer Spielkultur hätten uns schon gut getan. Stattdessen fand unser Spiel in einer durchschnittlichen Aktionshöhe von etwa 40 - 90 cm über der Rasenkante statt. Technisch war das nicht unbedingt eine Augenweide, und die magere Torausbeute kann letztlich als direkte Folge dieses halbhohen Gerumpels und etwas müden Auftritts gewertet werden.
"Flach spielen, hoch gewinnen" sagt sich allerdings sehr leicht. Um das Motto umzusetzen, müssen schon viele kleine Rädchen ineinander greifen. Der Raum muss gut aufgeteilt sein und sehr flexibel bespielt werden. Laufwege und Passfolgen bedingen einander. Je mehr Spieler in einen Spielzug eingebunden sind, desto höher ist der Anspruch an jeden einzelnen, im richtigen Moment zu starten und den Ball sauber zu verarbeiten. Nach einem Pass endet die Aktion für den Spieler aber nicht, sondern es beginnt gleich die nächste. Startet ein Spieler zu spät oder spielt ein anderer ungenau, bricht das Kombinationsspiel schnell zusammen und es kann zu gefährlichen Umschaltmomenten kommen. Um einen hohen Grad an Genauigkeit zu erzielen, ist daher viel Ausdauer (mentale und körperliche), Training und Feinabstimmung nötig. Diese scheinen uns über die Herbstferien etwas verloren gegangen zu sein.
Vielleicht kommt uns die neuerliche Zwangspause durch Corona dennoch gelegen. Wir haben Glück im Unglück, denn wir dürfen weiterhin trainieren, wenngleich unter verschärften Bedingungen. Kein gemeinsames großes Spiel mehr, sondern kleinteiliges Arbeiten auf je einem Viertel Platz in festen Gruppen zu maximal zehn Spielern. Intensives Spielen auf engstem Raum in kleinen Teams - sehr gut für Technik und allgemeines Spielverständnis. Verknappter Raum schult die kleinen Bewegungen und das schnelle Wahrnehmen der Spielsituation. Wir können den ganzen November über Spritzigkeit und Dynamik aufbauen und neuen Spielwitz kreieren sowie am konsequentes Abschluss vor dem Tor arbeiten. Einen Monat lang gilt es, einzelne Elemente herauszupicken, zu schulen und anschließend wieder zu einem Großen und Ganzen zusammenzufügen.
Aber das ist ohnehin eine der großen Fragen im Fußball: Wo genau die Linie zwischen Allgemeinem und Individuellem verläuft? Die sportliche Ausgeglichenheit in unser Staffel ist dafür ein gutes Beispiel. Es gibt nur zwei Ausreißer-Teams nach unten. Beinahe jeder kann sonst jeden schlagen. Teams wurden neu kompiliert, Spieler haben sich körperlich enorm entwickelt. Viele Ausgangsbedingungen sind seit dem ersten Lockdown anders gelagert.
Am Mittwoch sah ich mir die Pokalbegegnung zwischen SF Charlottenburg und FC Union an. Ich war beeindruckt, welch enorme Leidenschaft, gepaart mit taktischer Finesse, gegen einen technisch versierten Systemfußball bestehen und ihn fast bezwingen konnte. Ein Spieler bei den Sportfreunden, dessen Fähigkeiten in der Liga bereits rege kolportiert werden, hob sich sicherlich mit seinen individuellen Fähigkeiten ab. Gleichwohl lösten seine Mitspieler die taktische Vorgabe in der Defensive über die gesamte Spielzeit sehr gut. Es war zum Ende hin ein extrem spannendes, wenn auch an Torszenen nicht unbedingt reiches Spiel, bei dem mir allerdings ein anderer einzelner Spieler von Union sehr gefehlt hat. Bei uns war er immer für das eine oder andere Überraschungsmoment gut. Genau dies fehlte Union an diesem Abend.
Aber die alten Parameter zählen ohnehin nicht mehr, es ist ein bisschen so wie im Gewächshaus. Plötzlich schießen Pflanzen in die Höhe, die vorher kaum auffielen. Andere wiederum, die vorher die Aufmerksamkeit auf sich zogen, lassen mit ihrer Blüte noch auf sich warten. So erkennt man mit einem Mal, welche Spieler tatsächlich schnell sind und welche nicht. Vor einem halben Jahr war der eine oder andere ein klein wenig schneller, nun geht plötzlich ein Dritter ab wie eine Rakete. Um an einem Gegner vorbeizukommen, reicht es nicht mehr aus, nur einen halben Kopf größer zu sein. Der Dynamikumfang als solcher ist viel entscheidender. Wer athletische und dynamische Nachteile hat, kann dies in der Defensive noch mit großem Spielverständnis ausgleichen. Aber in bestimmten Situationen wird er einfach nur noch überlaufen, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Mancher Spieler muss seine Automatismen, die vorher gut funktionierten, nun durch neue Muster ergänzen oder sie sogar überschreiben. Handlungsschnelligkeit und ein breites Repertoire an technischen Fertigkeiten werden ohnehin von jedem verlangt. Wer von sich selber meint, irgendwo angekommen zu sein, ist schon so gut wie überholt. Jede kleine individuelle Schwäche kann von einem Gegner überfallartig ausgespäht und ausgenutzt werden. Sie bringt die eigene Mannschaft immer wieder in Gefahr und Verlegenheit.
Gleichzeitig wächst der Anspruch an die mentale Stärke und die fußballerische Klugheit eines jeden. Wer in der Lage ist, ein Spiel zu lesen und zu deuten, kann wichtige Impulse setzen. Wer das Tempo variiert und seine Mitspieler gut dirigiert, wird schnell zum unverzichtbaren Führungsspieler. Fußball hat sehr viel mit Persönlichkeit, objektiver Selbsteinschätzung und immer sprungbereiter Motivation zu tun. Je schneller und körperlicher ein Gegner agiert, desto flexibler, genauer und vorausschauender muss man sich auf ihn einstellen. Viel Zeit zum Überlegen hat ein Spieler nicht auf dem Platz. Entweder stimmen seine Entscheidungen und der erste Ballkontakt sitzt oder er verliert den Ball.
Die große Schwierigkeit ist und bleibt, dieses Ensemble unterschiedlich veranlagter Spielertypen so zu dirigieren, dass am Ende tatsächlich eine gemeinsame Musik entsteht. Was der einzelne Spieler gut kann, kann das Kollektiv noch lange nicht. So wird zu jedem Spieltag das Individuelle zu einem neuen Allgemeinen zusammengesetzt, wobei die unzähligen Faktoren, die über Wohlklang und schiefe Tonlagen entschieden, weit über Aufstellung und individuelle Spieltaktik hinausgehen. Es reicht manchmal schon, dass der Wind schlecht steht, schon hört sich das schönste Stück ziemlich blechern an.
Motivation und Formkurve kann man vor einem Spiel nur intuitiv erfühlen bei einem Team. Die Wahrheit liegt immer auf dem Platz und wird mit dem Anpfiff direkt ins Buch des Spielverlaufs diktiert. Ob eine Mannschaft gut und kreativ spielt, hängt dabei nicht allein von der Taktik und den individuellen Technikfertigkeiten ab, sondern ebenso sehr von der Genauigkeit, mit der ein Team seine fußballerischen Ideen im Akt des gemeinsamen Spielens sichtbar werden lässt.
Gut ist ein Spiel dann, wenn es einem Team gelingt, das umzusetzen, was es sich vor dem Spiel vorgenommen hat, insbesondere wenn es dabei auf ein hohes Maß an gegnerischer Gegenwehr und Unberechenbarkeit trifft. Es muss lernen, die Kontrolle über seine eigenen Fähigkeiten zu behalten, auch wenn vieles anders kommt, als es sich wünscht oder für das Spiel zurechtgelegt hat. Ein gutes Team passt sich jeder äußeren Bedingung schnell und geschmeidig an, als wäre es die größte Selbstverständlichkeit der Welt.
Genau darin liegt im übrigen eine Schule für das Leben - nicht nur in Corona-Zeiten.
[3. Spieltag / Sa. 31. Oktober 2020]