AMA U15 - Köpenicker FC U15
6 : 0
Die Burg der Bayern bröckelt, die Hertha havariert und Dortmund wird schon ganz rot vor lauter Vorfreude und unerwarteter Gelegenheit. Aber noch sind es fünf Spieltage, genauso wie bei uns, und nur diejenigen werden am Ende triumphieren, die bis zum letzten Spieltag alle Neune zusammenhalten.
Gegen die Köpenicker: Das war sicher noch mal ein Spiel und eine vorletzte Gelegenheit, auf die unsere Konkurrenten neugierig geschaut haben. Denn die Köpenicker waren für manche Überraschung gut gewesen in dieser Spielzeit und hatten ihnen selbst, den Konkurrenten, fest eingeplante Punkte gestohlen. Wir selber taten uns schwer im Hinspiel, gewannen nur mit Ach und Krach auf herbstlich tiefem Rasen. Zum Rückspiel kam nach gefühlten sechs Monaten endlich wieder einmal die Sonne zu Besuch nach Kreuzberg, in die schönste Kleinstadt der Welt, und sie bescherte uns sogleich ein Spiel, bei dem wir hinten die Null und vorne die Nerven behielten.
Ja, wirklich, Kreuzberg ist eine Insel, beinahe eine Utopie. Hier würden selbst die Klimakleber auf große Willkommenskultur stoßen. Und so spielten wir auch, im Grunde in zwei konzentrierten Phasen mit jeweils paradiesisch heraus gespielten Treffern. Eine Zwei-zu-Null-Insel zur Pause und ein Dreierpack-Atoll kurz nach Wiederanpfiff sowie ein neu entdecktes Korallenriff zum Ende der Partie.
Leider wollen einige in Berlin die letzten offenen Windtore schließen, um noch mehr Neureiche auf unserem paradiesischen Flecken anzusiedeln. Die Tendenz zur gesellschaftlichen Gleichschaltung ist bei den Freidenkern des Festlandes wie bei den anonymen SPDlern leider sehr ausgeprägt, viel stärker, als man bei der jeweiligen politischen Agenda eigentlich annehmen müsste. In ihrem tiefsten kapitalistischen Innern sind die Konservativen doch allzu überzeugte Verfechter eines verkappten halbgaren Mainstreams, sie lieben das ästhetisch Mediokre, aber leider nicht das wüste Grasland. Vielleicht lässt sich der neue Senat seine Hurra-Berlin-Politik aber auch nur von ChatGPT diktieren.
Wir brauchen schleunigst einen galligen oder gallischen Zaubertrank, um uns gegen das imperiale heraufziehende Wetterschlachten auf dem Tempelfeld zu wehren. Im Grunde ist es schon eine Demokratie feindliche Frechheit, überhaupt ganz Berlin zu dem Thema befragen zu wollen. Was hat denn ganz Berlin mit dem Tempelhofer Flugfeld zu tun? Ich plädiere für eine Art Kreuzberger Freistaat-Modell nach bayrischer Bauart, wir bilden mit den Feld-Anrainern eine wehrhafte Phalanx gegen das geplante Playmobil-Eppendorf mitten auf unserem liebsten offenen und von Stacheldraht befreiten Wild- und Windplatz.
Italien vertrocknet, brennt aus, wie überhaupt der ganze Süden, und alles, was uns Alteingesessenen zum Thema „Heizung“ einfällt, sind Ängste, demnächst umrüsten zu müssen. Besser wäre es ja, gar nicht mehr zu heizen, aber auch das würde nur zu neuerlichem Herzkasper und kollektivem Luftschnappen, bis hin zur körpereigenen Echauffage führen (neu-deutsch: "Heizkasper"). Klimakleber und Energiewende auf einen Schlag? Das ist einfach zu viel für das bequeme Herz des technologisch infizierten Gewohnheitstieres in seinem verstohlenen Bau. Nicht mit meinem Haus, nicht mit meinem Auto, nicht mit meinem Swimmingpool, nicht mit meiner Kreditkarte, nicht mit meinem Kreuzfahrtschiff, nicht mit mir! Sollen doch erst mal die anderen was machen!
Das einzig Erstaunliche an der Gewohnheit des Bequemen ist, dass sie bis zum Tode ohne Krafteinbuße und Zellsterben durchhält. Obwohl komplett wandlungsunfähig, ist sie ein Jungbrunnen. Sie könnte, aber sie wird sich nie von allein ändern. Eine Art witterungsbeständiger, jegliche Klimawende überdauernder mentaler Beton. Alles andere auf dieser Erde ist in permanenter Wandlung und Zellteilung begriffen, muss sich anpassen, adaptieren, ausgleichen, sehen, wie es zurecht kommt, nur die menschliche Gewohnheit nicht. Die Gewohnheit der Bequemlichkeit ist im Grunde der schwer widerlegbare Beweis für die Möglichkeit einer echten Utopie im Realen – zumindest bis zum finalen Untergang der wendigen, flotten Hafen-Barkasse.
Mittlerweile freunde ich mich mit dem Gedanken an, dass die Geschichte des Kosmos` einem Rundweg folgt. Noch expandiert das Universum, aber einer Theorie besagt, dass sich dieses Expandieren eventuell umkehren könnte und in einen neuen Urknall mündet. Überhaupt diese Wissenschaft der Astro-Physik, sie fasziniert mich immer mehr! Laut dem zweiten thermodynamischen Gesetz nimmt die Entropie in einem geschlossen System ja notwendig zu, sprich irgendwann wird es im All nur noch Nichts und dunkle Materie geben, einen Sternen leeren (sorry, Sterner 1900!), aus-evolutionierten Raum, eine einzige göttliche Stille mit einem gewaltigem kosmischen Lattenzaun drumherum, mit Zwischenraum, hindurchzuschaun - um mit Christian Morgenstern zu sprechen.
Bis dahin müssen, sollten, könnten wir allerdings noch fünf weitere Spiele erleben und in bester Manier gewinnen, auf eine hoffentlich ebenso überzeugende und rauschhafte Art und Weise wie gegen Köpenick. Gelingt uns das, überleben wir zumindest als kleine Kreuzberger Legende in unserem großartigen Verein und in unserem eigens dafür weit aufgespannten Erinnerungskasten. Und dies alles ausgerechnet in einer ganz normalen Spielzeit, in der die Bayern zumindest für einen Augenblick lang keinen einzigen Titel gewannen.
Wenn das mal kein irreversibler Klima-Kipppunkt war, ist!
[21. Spieltag / Sa. 22. April 2023]