AMA U15 - SF Kladow U15
7 : 1
Der richtig große sportliche Rausch, wie angenommen, wurde es nicht. Die Spannung im Meisterschaftsrennen hatten die Kladower durch ihren Heimsieg gegen die Hohen Neuendorfer bereits empfindlich ausgebremst. Nun kassierten sie in Minute 2 freimütig ihren ersten Gegentreffer. Es sah nicht danach aus, als würden sie uns an diesem sonnigen Spätvormittag den vorzeitigen Aufstieg madig machen wollen.
Zehn Minuten lang überlegte der Torschütze, ob er seinen ersten Treffer nicht zu einem Hattrick ausbauen könnte, dann setzte er den Gedanken innerhalb von zwei Minuten in die Tat um. Noch bevor der erste große Wechselblock erfolgte, führten wir also mit drei zu null Toren. Ab Minute 18 betraten fünf neue Spieler den Platz und machten es bis zur Halbzeitpause ein klein wenig spannender. Nur ein weiteres Tor gelang, dafür aber eine schulmäßig vorgetragene vierfache Fehlerkette zum obligatorischen Anschlusstreffer, ein wunderschöner Ausreißer im wahrsten Sinne des Wortes.
Ein prall gefüllter Kader zum Ligaspiel - das kam nicht oft vor in dieser Saison, um nicht zu sagen nur sehr selten. Zum Glück, denn jemandem vorzeitig abzusagen aufgrund eines Spieler-Überangebots ist sportlich und menschlich überaus bedenklich. An den allermeisten Spieltagen regelte die natürliche Auslese des durchschnittlichen Freizeitlebens den Kader des jeweiligen Spieltages. Hier eine Verletzung, da eine plötzliche Übelkeit, überhaupt die einzig wahre Konkurrenz um den diesjährigen Aufstieg in Gestalt einer parallel durchgeführten Konfirmanden-CL, hinzukommend das eine oder andere Ferienhaus im Umland, endlich auch wieder Klassenfahrten sowie generell die Großfamilie im diffusen Hinterland der Wochenendgestaltung - grob zusammengefasst: mindestens ein Viertel des Teams fehlte immer, oft sogar ein Drittel.
Nur eben zu diesem ersten Matchball nicht!
Schon das Training am Vortag war ein Event außer der Reihe. Plötzlich standen nahezu alle Spieler auf dem Platz, eine riesige Gruppe spielfreudiger Kicker, die sich auf dem Kunstrasen derart ins Zeug warfen, dass mir am Seitenrand eine Gänsehaut über die Arme lief, nun gut, es war etwas frisch am Abend. Aber Junge, Junge ! Was die da abzogen auf engstem Raum bei maximal aufgedrehtem Zeit-Raum-Gegnerdruck, das war schon ziemlich beeindruckend! Hier und da ein Ball, der vielleicht noch zu ausschließlich am starken Fuß klebte, aber selbst beim kognitiv brutalen Umkehrschub und der provozierenden Jetzt-nur-noch-schwächerer-Fuß-Vorgabe tanzte er erneut durch die Reihen, als wäre nie anderes gespielt worden.
Wem sollte ich da nur absagen? Mit welcher nachvollziehbaren Begründung?
Alles hat freilich seine zwei Seiten. Aber nicht auflaufen zu dürfen, da es eine schnöde Spielordnung so vorsieht, das tut eindeutig weh! So oft steigt man nicht in eine höhere Liga auf in seinem Leben. Ab einem bestimmten Punkt geht es eher sogar kontinuierlich bergab, bis dahin ist hoffentlich noch viel Zeit - aber rein körperlich betrachtet, ist die Sache mit der Schöpfung schon ziemlich beschämend. Darum geht es allerdings nicht. Das Leben ist ja immer beides, Infinitesimalrechnung und A long run at itself. Ständig muss man zwischen Punkt und Kurve interpolieren, um dann doch nur immer wieder verwundert festzustellen, dass einem der Sinn oder die Gestalt des Ganzen unerklärlich bleibt. Was soll das sein? Eine Gerade, eine Parabel, eine beschwipste Spirale? Anders ausgedrückt, der Graph des Lebens ist nicht selten ein unbestimmbares Gekrakel.
Einer meiner Lieblingssätze vor noch gar nicht allzu langer Zeit war: "All perfect things move in circles and all perfect circles move in spirals." Der Satz stammte von einem Lichtobjekt Mauricio Nannuccis, der den Satz als spiralförmige Neonröhre angelegt hatte, also gewissermaßen selbstreferentiell, performativ und antithetisch in einem. Ich hatte es zum Ende meiner Studienzeit im Kunstmuseum gesehen. Damals löste es für eine gute Zeit Kafkas Bonmot von "Es gibt kein Ziel. Was wir Weg nennen, ist Zögern!" ab. Mittlerweile heize ich mich nur noch selten mit formschönen und sich selbst perpetuierenden Sätzen auf, meistens plappert die Tagespolitik wie schnödes Wasser aus dem kalten Kran der Bedeutungslosigkeit in meine graue Kaffeetasse am Morgen und verdirbt mir den sonnigen Blick in die Ferne. Selten komme ich noch in die duftenden Empfindungsgärten alter Post-Kafkaesker-Camus-Tage, obwohl mittlerweile viel näher am Ideal des absurden Menschen angelangt, und noch seltener gelingt mir ein produktiver Ritt in die Plains übersinnlich dahin galoppierender Mustangs auf welligen Grasmeeren.
Meist stelle ich nur schnöde fest, dass das Belanglose immer bedeutsamer und zum gefürchteten dicken Alltagsbrett wird, jenem Brett nicht unähnlich, das man in der Kommunalpolitik bohren muss, um beispielsweise einen Parkplatz in ein Hochbeet mit Sitzgelegenheit zu verwandeln. Aber immerhin, anderen ist es nicht mal möglich, das Belanglose zu erkennen, geschweige denn es groß zu projizieren, es zu spüren und zumindest an den Kanten glatt zu schleifen.
Seit Jahresbeginn verzichte ich weitgehend auf Heizung und Warmwasser, sprich auf Gas. Mag dieser Verzicht in einer kruden Mischung aus übersteigerter Sparsamkeit, großer Kriegs-Furcht und überhaupt einer grundlegenden Ich-bin-dafür-dass-ich-dagegen-bin-Sozialisation über mich gekommen sein, so ist er dennoch nicht unwirksam in Bezug auf das dicke Brett. Mögen alle anderen hochtourig interpolieren und intellektuell reflektieren in Tageszeitung, Blogs oder auf oder vor den Displays, ich bestaune lieber alle paar Wochen den erstaunlichen Effekt meines schlichten Handelns auf die Zahlenfolge meines Gaszählers. Völlig antizyklisch erwarte ich am Ende des Jahres eine Rückzahlung.
Vom kleinen Aktivistischen geht nun mal jede große Revolution aus, nicht nur im Sport, davon bin ich überzeugt. Allerdings finde ich im Wirken der Zeit als solcher mit ihrer eigenwilligen Kraft und Geschicklichkeit der Modulation, Zirkulation, Plötzlichkeit und Sprunghaftigkeit stets eine grandiose Gegenspielerin und die denkbar interessanteste Geliebte des Lebens überhaupt. Nichts gegen die Verflossenen, die nicht Symbolischen, aber dies lässt sich generell nicht vergleichen. Jedenfalls kann ich mir gut erklären, weshalb in den bedeutendsten Momenten des individuellen Glücks die heftigsten Revolutionen und Umkehrungen des eigentlich Erwarteten vorkommen können. Im Sinne einer boshaften Verkehrung der Hölderlinschen Ermutigung: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!", dreht sich die Welt plötzlich auf links. Als würde die Zeit plötzlich mit dem schwachen Fuß spielen, aber genau dies beeindruckt mich!
Die Zeit ist durch schwere Waffen ohnehin nicht zur Vernunft zu bringen, sie ist selbst die größte aller Schneiden. Man kann ihr sprachlich kaum angemessen beikommen, da gehen nur wenige Pfeile ins Ziel. Die eigentlichen Wendepunkte des großen Lebensgraphen bleiben bis zum Schluss völlig vage und unbestimmt.
"Lerne kalt zu duschen!"
Dies scheint mir die griffigste Formel zu sein für das seltsame unberechenbare Spiel des Tagtäglichen, das als bunte Luftschlange durch das Universum der Möglichkeiten schwirrt und dabei in irgendeiner Zwischenzeit der Faktizität landet.
"Mehr geht nicht, gilt nicht?"
Es ist meistens nicht viel, was bleibt, wenn etwas Besonderes oder Außergewöhnliches geschieht. Aber hat ein Ding oder ein Wesen als solches existiert, war es wahrlich nicht nichts.
[23. Spieltag / Sa. 14. Mai 2022]