DANIEL-DECKER CUP VICTORIA FRIEDRiChSHAIN
3. Platz
Das Schöne ist, jedes Ding hat zwei Seiten, mindestens. In der Regel sogar mehr, denn der Einfachheit halber wird meistens runter gekürzt. Im komplexen Strickmuster der Wirklichkeit kann die Orientierung im Raum der Wahrheit schon mal verloren gehen. Aus einer Laufmasche wird eine Luftmasche und aus einem Touristen ein Terrorist. So jedenfalls erging es mir als Kind. "Touristen" und "Terroristen" lagen so dicht beieinander, dass ich sie für identisch hielt. Also wurde von erwachsener Seite interveniert: „Die Touristen sind die Guten, die Terroristen die Bösen!“
Wahrscheinlich stammt mein Faible für den Western von daher. Ich liebe es, dieses Schwarzweißdenken! Es ist herrlich, denn mit ein paar Handgriffen kann man es in die eine oder andere Richtung zwingen. Hin und her, wie beim Stricken! Wichtig ist nur, dass es immer eine klare Frontlinie gibt, hier die einen, da die anderen, zwei opponierende Nadeln, die den Faden der Erzählung in spannende Schlingen und Schlaufen legen. Es ist nicht so wichtig, ob die Guten immer die Guten und die Bösen immer die Bösen sind. Hauptsache sie stehen sich im entscheidenden Duell direkt gegenüber, und der gefühlte Gute gewinnt!
Im Fußball ist es nicht anders, nur dass der gefühlte Bessere nicht immer der spätere Sieger ist. Insbesondere wenn es um K.O-Spiele geht. Ein von mir sehr geschätzter argentinischer Autor verglich einmal die Gattung der Erzählung mit der des Romans: Eine Erzählung gewinne immer durch Knockout, sagte er, der Roman dagegen nach Punkten. Ich fand das einleuchtend. Um diesen Vergleich auf unsere Turnierleistung zu beziehen: Wir waren dieses Mal eher Roman als Erzählung. Leider!
Denn es hätte mir schon gefallen, wenn wir die fünf überzeugenden Kapitel aus der Vorrunde (4 Siege, 1 Unentschieden, 9:1 Tore) hinüber ins Halbfinale getragen und dort zu einem sechsten und sogar siebten Kapitel ausgebaut hätten. So blieb der Roman leider unvollendet. Wie schon einige Male zuvor in dieser Hallensaison zeigten wir auf den letzten Metern Nerven. Eine kleine Unsicherheit in der Defensive, ein überraschender Schuss aufs Tor, schon lagen wir im Halbfinale gegen unsere Freunde von Berolina Stralau null zu eins zurück. Es verblieben fünfeinhalb Minuten, um den Ausgleichstreffer zu markieren. Aber anders als beim Vorrunden-Aufeinandertreffen wollte der Ball einfach nicht ins Netz der Stralauer.
Die wiederum verteidigten tapfer und geschickt mit Mann und Maus, stellten sich beherzt unseren wütenden Angriffen entgegen und retteten den knappen Vorsprung engagiert über die Zeit. Im Endspiel bewiesen sie sogar richtiges Stehvermögen und besiegten die Jüngeren von Union Berlin. So gesehen gewann der Underdog das Turnier, denn die Stralauer schlossen die Vorrunde als Vierter ab, setzen sich aber in den entscheidenden Spielen gegen die Erstplatzierten durch. Ein großartiger Western, ein fantastischer Showdown! Zumal zwei ehemalige Spieler von uns die Reihen der Stralauer verstärkten. Es ist schön, zu sehen, dass sie sich so schnell in ihr neues Team eingefunden haben. Weiter so!
Trotzdem, nächstes Mal gibt’s wieder heftig auf die Glocke, denn so interessant und aufwühlend (unvollendete) Romane sein können, im Fußball gefallen mir Knockout-Erzählungen besser!
[DANIEL-DECKER CUP VICTORIA FRIEDRICHSHAIN / SAMSTAG, 25. FEBRUAR 2017]