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AMA / E1
SAISON 2018 / 2019

Moment der Offenheit

Herbstblitz

1. Platz

Das Wochenende zum Herbstferienbeginn ließ sich gut an, die Sonne schien wunderbar vom Himmel. Bereits am Sonnabend wohnte ich einem Kooperationsturnier der U11 vom FC Union bei, zu dem einer unserer Spieler eine Einladung als Gastspieler erhalten hatte. Am Tag darauf, am Sonntag, verausgabte sich Helios gar bis zur restlosen Erschöpfung auf dem heimischen Körte und hielt bei gefühlten 26 Grad Celsius göttlichen Hof. Er lächelte und floss genießerisch über beim zügig ausgespielten und kurzweiligen Blitz, mit dem wir uns in die Herbstferien verabschiedeten. Zufriedene Zuschauer, schnelle, faire Spiele, ein großer hoher Bunker und goldgelb eingefärbte Laubbäume legten einen finalen Sommerabgang 2018 hin, der wie aus dem Bilderbuch war.

Am Tag zuvor war ich früh aufgestanden und mit hinaus zur Sportanlage in die Hämmerlingsstraße gefahren, um unseren Spieler zu beobachten, wie er sich in jenem Team schlagen würde, auf das wir in einigen Wochen zum Spitzenduell treffen werden. Etwas enttäuscht stellte ich zunächst fest, einem relativ leidenschaftslosen Kooperationspartner-Turnier beizuwohnen, bei dem das Teilnehmerfeld vornehmlich aus Mannschaften bestand, die unserem künftigen Gegner nicht viel abverlangten. So sah ich ein überaus gut funktionierendes Union-Team, das ein Tor nach dem anderen erzielte und vor Selbstbewusstsein nur so strotzte. Leider erfuhr ich wenig darüber, wie es auf hohen Gegendruck reagiert.

Natürlich ließ sich auch an der souveränen Gesamtvorstellung vieles ablesen. Beeindruckt war ich insbesondere von der beinahe schon wie geschmiert laufenden Tormaschine, die im hohen Pressing und mit sehr präzisen Aktionen Tore am Fließband produzierte. Aber auch einige kleine Begebenheiten am Rande fielen mir auf, die sich in ihrer ungewollten, leider etwas verfänglichen Art eher etwas unangenehm anfühlten. Mir ist durchaus bewusst, dass es große Begehrlichkeiten auf dem Markt der jungen Talente gibt, dennoch hätte ich nicht gedacht, dass Wechselanbahnungen derart offen auf den Weg gebracht werden können. Allerdings hätte ich es besser wissen müssen, denn auch wir integrierten zuletzt Spieler von anderen Vereinen auf vergleichbare Weise.

Wenn ein Spieler erst einmal in einem Team freundschaftlich aufgenommen ist, ist es ganz selbstverständlich, dass er diesem Team auch angehört! Mit diesem Prinzip gewinnt man ganz leicht neue Spieler für seinen Mannschaftskader hinzu. Zunächst nimmt man potentielle Kandidaten als Probespieler in den Trainingsbetrieb mit auf, sporadisch, aber doch schon regelmäßig. Dann kommen konkrete Einsätze bei Testspielen oder Turnieren hinzu, bei denen genau beobachtet wird, wie gut sich der neue Spieler in die Spielweise des Teams einpasst. Passt alles zusammen, wird die Wahrscheinlichkeit, den Verein zu wechseln, immer größer. Eine neue Identifikation baut sich auf, die die alte ersetzt. Es ist eine Strategie der Gewöhnung, bei der der Übergang sehr sanft vollzogen wird.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die großen Vereine das Akquirieren neuer Spieler gar nicht so sehr unter einem Aspekt des Abwerbens betrachten oder empfinden. Dies liegt schlichtweg daran, dass sie es gewohnt sind, unentwegt talentierte Spieler von kleineren Clubs hinzuzugewinnen. Letztlich versucht jeder, sein Team auszubauen und zu verstärken. Man betrachtet den Vorgang als völlig legitim und selbstverständlich, was er aber nicht ist. Jeder Wechsel ist etwas Außerordentliches.

Was immer für einen Spieler der richtige Weg oder die gute Wahl ist, ein Wechsel verursacht Veränderung. Nicht nur der Spieler muss sich umstellen, auch die abgebende Mannschaft muss sich neu ausrichten, weil sie höchstwahrscheinlich einen Leistungsträger verliert. Aber auch unbeteiligte Spieler können durch eine Verschiebung betroffen sein, wenn sie ihren Platz für den neu Angeworbenen räumen müssen.

Natürlich wird auch in den kleinen oder mittelgroßen Clubs eifrig gesucht und verschoben, stets mit dem Ziel, das eigene Team zu stärken oder zu harmonisieren. Es geht um Prestige, Erfolg, Stärke und andere Eitelkeiten, seltener um zwischenmenschliche Kontinuität. Das Leistungsprinzip nimmt vor dem Kinder- und Jugendfußball wahrlich keinen Reißaus und treibt regelmäßig zum Saisonende wundersamste Wechselblüten. Ab einer bestimmten Alters- und Leistungsklasse gesellt sich zum Leistungsprinzip sogar der Vertrags-Fußball hinzu. Von da an wird einem nur noch schummrig und schwindelig.

Je näher der professionelle Fußball rückt, desto verrückter das monetäre Gebahren drum herum. Dabei beginnt alles auf der Basis von Freiwilligkeit und Ehrenamt. Die ersten Jahre im Fußball bekommt der Nachwuchs geschenkt. Kaum zeigen sich die ersten Talente, überbieten sich die großen Clubs mit ihren Leistungskonzepten und symbolträchtigen Verlockungen an die Jugend. Worin besteht der Sinn für einen Zehnjährigen, am Sonntagmorgen fünfhundert Kilometer durch die Republik zu reisen, um sich mit anderen Zehnjährigen fußballerisch zu messen? Nur weil alle das Emblem eines Bundesligaclubs auf dem Trikot tragen? Gibt es in der näheren Umgebung tatsächlich keine Gegner auf Augenhöhe, wie so gern behauptet wird?

Bei aller Kritik soll das nicht bedeuten, dass es für einen jungen Spieler unter sportlichen Gesichtspunkten nicht sehr sinnvoll sein kann, sich einem anderen Team anzuschließen. Dauerhafte Unter- oder Überforderung ist allemal kontraproduktiver für eine sportliche und kognitive Entwicklung als ein bewusster progressiver Bruch mit dem Bisherigen. Auch gibt es Formen der Identifikation, die ähnlich trügerisch sind wie der Wunsch, einmal Profi-Fußballer zu werden. Immer mit den Besten spielen zu wollen, obwohl man mit ihnen gar nicht mithalten kann, ist ebenso verfänglich, wie permanent unterfordert zu sein. Desweiteren kann es gute private Gründe für einen Wechsel geben, wenn man beispielsweise unzufrieden ist mit Trainern, Umfeld oder Verein. Ein weiterer gewichtiger Grund ist eine angestrebte sportliche Ausrichtung des Bildungsweges. Aber auch diese Wahl erfordert feines Fingerspitzengefühl.

Für die Betreffenden ist es nicht leicht, sich richtig zu entscheiden. Letztlich sind die, um die es geht, noch sehr jung. Nur den Verlockungen des Neuen und Potentiellen nachzugeben, wäre einfältig. Am Anfang sieht alles Neue hübsch aus, das Gewohnte im Vergleich dagegen leicht abgestanden. Unser Spieler trug in der Gastgebermannschaft seine bei uns angestammte Rückennummer, was auf mich ein wenig so wirkte, als wollte man gar nicht ihn hinzugewinnen, sondern nur das Team um ihn herum austauschen. Aber vielleicht war diese Geste auch als ein herzliches Willkommen gedacht. Die mitgebrachten Gastgeschenke in Form eines guten Dutzend erzielter Tore und vieler guter Vorlagen bekundeten jedenfalls eine ebenso gute Kinderstube.

Sport genießt mittlerweile ein hohes gesellschaftliches Ansehen und bietet zudem ein breiteres Berufsfeld als noch vor zehn Jahren. Gleichwohl können Kunst, Revolte, Mathematik und etwas Sprachbewusstsein im Portfolio eines Heranwachsenden nicht schaden. Sich einmal auszuprobieren bei einem großen Verein, ist zweifelsfrei eine außerordentliche Erfahrung, die nicht jedem zuteil wird. Es ist absolut okay, sich individuell entwickeln und auf einem höheren Niveau Fußball spielen zu wollen, die Frage ist nur, wann dafür der richtige Zeitpunkt ist.

Obwohl die Berliner Amateure kein offizieller Kooperationspartner vom FC Union sind, gehen und gingen ihre größten Talente regelmäßig dorthin, um sich fußballerisch neu auszurichten. Am besagten Samstag wirkten insgesamt drei Amateure-Spieler bei zwei Teams vom FC Union mit, einer aus unserem Team, zwei weitere aus dem ein Jahr jüngerem Jahrgang, die für das sogenannte "U10-Talente-Team" von FC Union kicken.

So sanft die Gewöhnung an das Neue ist, so durchsichtig ist das Schema.

[Blitz / 21. Oktober 2018]


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1. Platz
Es spielten: Albion, Fynn, Levin, Samy, Noah, Luca, Timo, Blerton, Ruben



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