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AMA / F2
SAISON 2015 / 2016

WIE DIE GROSSEN!

AMA II - TÜRKIYEMSPOR II

2 : 0

Der Dramaturgie, der Spannung, der Höhepunkte, der erlösenden Schlussphase nach war dies ein Spiel, das sich in nichts von den Partien der Großen unterscheidet. Allein die Tatsache, dass es bis acht Minuten vor Schluss 0 : 0 stand, zeigt, wie nah diese Begegnung an dem war, was wir von den Profis Woche für Woche für reichlich überhöhte Fernsehsteuern aufgetischt bekommen. Nun gut, bei den Bayern mag man mittlerweile glauben, dass sie eher in einer F-Jugend-Liga spielten als im deutschen Fußballoberhaus, derart hoch fallen ihre Siege aus. Aber die Bayern sind zum Glück nicht unser Maßstab. Da müsste erst einer unserer Vereinslöwen in den Knast wandern wegen Steuerbetrugs und Schwarzer Konten und so.

Total abwegig!

Etwas viel Interessanteres zeichnete diese Begegnung aus, ein ganz besonderes Phänomen. Oder sollte ich es eher Phantom nennen? Wir Fußballer kennen es unter der Bezeichnung: „Vernagelte Hütte“! Wenn eine Mannschaft auf über 35:0 Torschüsse kommt, dabei aber nur zwei Treffer erzielt, und diese auch erst zum Schluss, dann war der nervige Kobold der langen Nase mit im Spiel und hat das gegnerische Tor mit einem dämonischen Bann belegt. Meistens sucht er sich einen Verbündeten oder einen leutseligen Wirt für sein perfides Schelmenstück, dem er seine magischen Kräfte überträgt, und in den meisten Fällen ist dies der gegnerische Torwart. Manchmal ist es auch das Aluminium, aber meistens doch der Keeper, der wie von Geisterhand alles hält und abwehrt, was da auf sein Gehäuse zufliegt: Flatterbälle, Spannstöße, Nachschüsse, Volleyschüsse, Knieabpraller, die ganze Palette. Es muss dann erst der richtige Zauberschlüssel gefunden werden für so ein übernatürlich verbarrikadiertes Rechteck.

Alle knallten aufs Tor, aber keiner traf. Wie verhext!

Zunächst argwöhnte ich sogar, das hier würde zu einem dieser ganz gefährlichen Spiele werden: Absolutes spielerisches und optisches Übergewicht, bei einem tapfer verteidigenden Gegner, der körperlich robust zugange ist, technisch leicht zu unterschätzen, und dann geschieht das Undenkbare, er kommt einmal vor das Tor und es steht 0:1. Und dann läufst du an und läufst an gegen diese Bude, bis dir irgend so ein blödes Bein den Ball erneut wegstibitzt und ihn irgendwie mit der Pike nach vorne bugsiert, wo wieder irgend so ein beknacktes, halbes Bein das Ding zu deinem großen Erstaunen schon wieder über die Torlinie drückt, und plötzlich steht es sogar 0 : 2. Und dann rennst du wieder an und schießt und schießt und sammelst Chancen, sie stapeln sich im Strafraum wie Schrottautos vor der Schrottpresse, aber das Tor ist immer noch vernagelt. Und das zieht sich so hin, bis die dritte halbe Torchance des Gegners seltsamerweise wieder in deinem Tor landet, und es steht mit einem Mal sogar 0 : 3. Und spätestens da wirst du überlegen, ob Tennis nicht doch die geeignetere Sportart für dich ist, denn da müssen keine Tore erzielt werden, folglich kann man auch keine bekommen.

Zum Glück lief es dieses Mal anders herum!

Etwa fünf Minuten vor Ende der ersten Halbzeit war mir plötzlich klar, dass Türkiyemspor hier und heute niemals einen Treffer erzielen würde. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob wir es besser machen könnten. Ich sah schon ein außergewöhnliches 0 : 0 auf uns zu hoppeln. Wann hat man je ein absolut torloses Spiel im Jugendfußball gesehen? Ja, nicht einmal dann, wenn die Harmlosesten der Harmlosen gegen sich selbst spielten! Und hier nun diese prall bestückte F2 mit all diesen (wie heißt der Plural von „Tausendsassa“?) Tausendsassas, Tausendsessen? also mit diesen zukünftigen Fußballgöttern! Die doch nicht, die sind doch immer für ein Törchen gut!

Und so war es dann auch, was für eine Erlösung! Der Schlüssel indes ist bei der verrammelten Bude immer derselbe. Nicht unentwegt stürmen, nicht tausendmal wahllos drauf schießen, sondern einmal trocken und feste verwandeln! Es muss einer kommen, der den Ball sicher und hart, kompromisslos, konzentriert und wütend, etwa zehn Zentimeter über der Graskante hinfliegend, direkt ins Eck knallt! Es sind solche Tore, die man als Spieler ungefähr so erlebt: Man schießt und spürt schon beim Schuss, dass der Ball die richtige Richtung hat, und obwohl er noch nicht drin ist, weiß man bereits, dass er reingeht, dass da kein Bein mehr zwischen gelangt! Es ist ein wunderbarer Augenblick, der reinste Orgasmus! (Bitte nicht falsch verstehen!) Du siehst dem Ball genüsslich dabei zu, wie er traumwandlerisch den Weg ins Ziel findet. Die Zeit dehnt sich in die Länge, die Wahrnehmung saugt jeden Millimeter, jede Millisekunde in sich auf, der Ball fliegt und fliegt und fliegt und dann, paff, ist er drin!

Als bekäme man von irgendjemand ohne ersichtlichen Grund einen Traumstrand geschenkt! Wenn man dann sogar noch einen zweiten, oder gar den zweiten Treffer des Spiels erzielt und zum Matchwinner wird, dann gehört einem auch noch das Luxushotel hinter den Palmen!

Keine Ahnung, ob es dem glücklichen Doppeltorschützen von heute so erging, aber eines ist sicher: Mit den beiden Treffern hat Fynn nicht nur die ganze Mannschaft und alle versammelten Trainer (5), sondern auch die seit Wochen tapfer gegen die Kälte ankämpfenden Eltern auf eben diesen Strand gestellt – zumindest für ein Viertelstündchen! Freut euch, ich freue mich auch! Und es freut mich umso mehr, als dass ich nebenbei im Spiel gut erkennen konnte, wie die harte Trainingsarbeit mittlerweile fruchtet, wenn zum Beispiel Luis`Abwürfe zur schnellen, klugen Spieleröffnung avancieren, wenn rasch nach vorne kombiniert wird, wenn Spieler in der Mitte intuitiv mitlaufen, um Flanken oder Zuspiele von außen zu ergattern, wenn alle gemeinsam agieren und sich aufmuntern, wenn Mittelfeldspieler den Ball geschickt nach vorne durchstecken, wenn also das Spiel in die Tiefe des Raumes mehr und mehr Konturen und dynamische Formen annimmt und wir nun endlich, endlich, endlich zu den Fallrückziehern übergehen können.

Bestnoten für Luis, Levin, Lounes, Oskar, Arturo, Eli, Fynn, Kolja, Julius F. und Jaden. Bestnoten auch für die Trainer Massimo und Michael. Summa cum laude für André und seinen mobilen Schnapsladen, ohne den ich höchstwahrscheinlich erfroren wäre.

Aber das nächste Mal bitte wieder wie die Bayern, gell!

[SAISON 15/16 - 8. SPIELTAG - 21. NOVEMBER 2015]


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