Fc Hertha 03 E2 - Ama E2
2 : 8
Fußballspiele werden oft schön geredet. Dabei entfaltet der Konjunktiv große Imaginationskräfte und Fähigkeiten. Insbesondere Niederlagen werden dargestellt als etwas, das zwar stattgefunden hat, aber eigentlich eine Täuschung der Wirklichkeit war. Wenn dieses oder jenes anders verlaufen wäre, hätte das Spiel eine andere Richtung genommen, heißt es dann.
Wahrscheinlich versucht das progressive und immer aktive Hirn, das Unabwendbare nachträglich umzuwenden. Es ist schlauer, als man meint, denn im Grunde sucht es im Augenblick der Niederlage umgehend eine Lösungsstrategie für die Zukunft. Es reflektiert das Geschehene, um sich für die nächste vergleichbare Situation gestärkt aufzustellen. Gleichwohl gibt es deutlich zu erkennen, lieber immer zu den Gewinnern gehören zu wollen. Es mag einfach nicht verlieren. Doch der Fußball - wie das Leben - stellen sich nun einmal als eine Abfolge von Momentaufnahmen dar, als eine Kette von glücklichen und weniger glücklichen Momenten, die zusammen genommen das Ganze bilden. Womit das Hirn nicht ganz zufrieden ist, denn es strebt nicht nur nach Abwechslung, sondern auch nach einem dauerhaften Zustand der Zufriedenheit. Den aber gibt es selten, weder im Leben, noch im Fußball.
Jeder Sieg und jede Siegesserie ist gefährdet durch die Instabilität des Zukünftigen. Abgesehen davon, dass es tatsächlich bessere und weniger bessere Mannschaften gibt, sind alle Mannschaften immerfort vom nächsten Spiel bedroht. Denn auf sie wartet entweder eine schlechte Tagesform oder ein Gegner, der stärker ist als sie. Lange Rede, kurzer Sinn: Man muss sich im Fußball damit abfinden, dass es keinen Dauerzustand des Glücks gibt, auch wenn alles darauf angelegt ist, ihn zu erreichen und zu halten. Im Grunde sind Fußballer von der gleichen Absurdität bedroht, wie der Mensch als solcher: Nichts ist für ihn von Dauer, nicht einmal das Erreichte.
Ich gebe mir hier alle Mühe, ein Spiel zu relativieren, bei dem wir zumindest punktuell eine beinahe überragende Leistung gezeigt haben. Ich sehe den einen oder anderen Treffer deutlich vor mir, wiege mich in der geschmeidigen Bewegung des Spielzuges und folge gebannt der Präzision des Abschlusses. Sei es das stramme Kopfballtor nach genialer Flanke, sei es der hammerharte Schuss aus der Distanz oder sei es der krönende Abstauber eines über drei bis vier Stationen sauber ausgezogenen Passspiels. In diesem Spiel, insbesondere in der zweiten Halbzeit, boten wir so ziemlich alles auf, was wir können, wenn wir wollen, auch wenn wir hier und dort noch einiges zu verbessern haben.
Die Freude über den Sieg darf ruhig etwas größer ausfallen, wieder zeigten wir uns mental und körperlich bestens aufgestellt. Dabei legten die Zehlendorfer besser los, kombinierten gekonnt und präzise bis vor unser Tor, erzielten sogar folgerichtig den ersten Treffer. Doch dann schlugen wir wie aus dem Nichts kommend zurück, spitzelten vorne den Ball geschickt und frech am Torhüter vorbei ins Netz. Es war eher ein Gerd-Müller-Treffer als ein überwältigender Final-Fallrückzieher, aber dennoch ein ungemein wichtiges Tor, weil es uns im Spiel hielt, mehr noch, es pushte uns nach vorn. Um den Konjunktiv einmal anders herum zu verwenden: Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn wir diesen kleinen Treffer nicht erzielt hätten?
Man kann nicht unbedingt sagen, dass sich in der ersten Halbzeit bereits abzeichnete, was in der zweiten folgte. Aber nachdem wir in Führung gegangen waren und auf Drei zu Eins erhöhten, lag die große Chance zum Gewinnen bereits in der Luft. Dass wir in der zweiten Halbzeit derart aufdrehen und gleich mehrere Schippen zulegen würden, konnte niemand ahnen. Wir haben sicherlich nicht nur aus den Fehlern einiger vorangegangener Spiele gelernt, sondern uns zudem an die gegebenen Umstände der Spielklasse angepasst. Immer wieder zeigte sich, dass die Kraft ein wesentlicher Faktor ist, um Spiele auf diesem hohen Niveau zu gewinnen. Wer mit seinen Kräften gut haushaltet, hat am Ende die besseren Karten. Nach hinten hin aufdrehen zu können, bringt einen letztlich nach vorn.
Es war eine beherzte Mannschaftsleistung aller, vom Torhüter bis zu den Ergänzungsspielern. Unsere Abwehr stand sicher und konzentriert. Das wenige, das sie zuließ, klärte wiederum unser Torhüter mit großartigen Reflexen. Es passte alles zusammen: Glück und Können, Konzentration und Geschick, Herz und Leidenschaft. Nur einmal kurz kam die Hertha in der zweiten Halbzeit auf und erzielte ihren zweiten Treffer. Wir fühlten uns prompt erinnert an das Union-Spiel, bei dem wir einen sicheren Vier-Tore-Vorsprung innerhalb von fünf Minuten verspielt hatten. Auch die Kinder erinnerten sich in diesem Moment daran, berichteten sie später. Man kann daran gut erkennen, wie Gedächtnis und Hirn verknüpft sind. Würden wir wieder heftig einbrechen? Oder hielten unsere Nerven dieses Mal stand?
Sie hielten stand, sehr souverän sogar. Wir erhöhten schnell auf sieben und schließlich auf acht Treffer. Der Sieg ging in der Höhe in Ordnung, wenngleich der Hertha zwei bis drei Treffer mehr gegönnt gewesen wären. Auch sie verkauften sich, wie ihr Trainer uns beim Hinspiel beschied - "unter Wert". So steht es, wenn wir das Ergebnis der Hinrunde verrechnen, nur knappe 9:8 für uns bei jeweils drei Punkten. Das ist ja das Schöne an unserer Freundschaft zur Hertha 03, es ist ein munteres Auf und Ab. Eine Achterbahn voller Loopings und Korkenzieher, aber am Ende immer ein gemeinsames und ruhiges Ankommen.
Die Wahrheit liegt auf dem Platz, sagte Sepp Herberger einmal, wenngleich zu jedem Spiel mindestens zwei Seiten gehören. Der in Bewegung versetzte Ball setzt diese Seiten je neu ins Verhältnis. Wenn etwas von grandioser Unbeständigkeit gezeichnet ist, dann die Wahrheit im Fußball. Die Kunst ist es, den Konjunktiv so oft wie möglich in einen Indikativ zu verwandeln. Wem das gelingt, der steht am Ende oben - zumindest für einen kurzen schwebenden Moment.
[8. Ligaspiel RR / 26. Mai 2018]