Oranje Berlin E2 - AMA E2
7 : 8
"Zwei Tage ohne van Gaal tut den Spielern gut - und mir auch."
Louis van Gaal
Fußball ist eine ungeheuer komplizierte und ausdifferenzierte Glaubensgeschichte, der Fan glaubt an seine Mannschaft, der Trainer an seine Spieler, der Spieler an seine Fähigkeiten und der Ergebnisdienst an korrekte Einträge. Manchmal geht dem einen oder anderen der Glauben verloren, und schon sieht es nicht gut aus für einen selbst oder das ganze Team. Der Verlust des Glaubens an sich und der damit oft einhergehende Leistungseinbruch, egal ob nun kollektiv oder individuell, bestätigt im Grunde nur die Grundannahme: Fußball ist Glaubenssache. Und wenn es nicht allzu arg abergläubisch wäre, würde ich sagen, für Oranje war heute gestern, also Freitag der Dreizehnte.
Um das zu verstehen, muss man sich allerdings in Oranje hineinversetzen, die sich viel vorgenommen hatte für dieses Spiel und zweifelsohne eine sehr starke Leistung zeigte. Das Spiel begann durchaus vielversprechend für sie, ihr gelang ein früher Führungstreffer gegen den angereisten Tabellenführer aus Kreuzberg, die Berliner Amateure. Nicht nur bei diesem frühen Treffer sahen die Amateure nicht gut aus und gaben sich eine Blöße, die allgemein verwunderte. Sie legten ein seltsam ungeordnetes und passives Deckungsverhalten an den Tag, das einen Tabellenführer nicht unbedingt schmückt. Und diese Mannschaft sollte bis dahin nur vier Gegentreffer in der Liga kassiert haben? Nun gut, sie hatten auch nicht gegen die aller stärksten Teams gespielt.
Prompt im Gegenzug fiel jedoch der Ausgleich, und noch einmal sechs Minuten später erzielte der gleiche Spieler, der bereits den Ausgleich für die Amateure erzielt hatte, erneut einen Treffer. Am Ende der gesamten Spielzeit kam er gar auf insgesamt fünf von acht Treffern, meist als Abschluss eines energischen Antritts und Dribblings von der Mittellinie aus, also nicht unbedingt als Abschluss einer gemeinschaftlich heraus gespielten Aktion, sondern eher als ein Ausdruck von beeindruckender Einzelleistung. Man könnte also sagen, ohne diesen Spieler wären die Amateure nicht als glücklicher Sieger vom Platz gegangen an diesem Tag, der natürlich kein Freitag, der Dreizehnte war.
Aber ganz so leicht lässt sich ein Fußballspiel nicht auf eine Formel oder gar auf einen einzigen Spieler reduzieren. Es kommt mehr zusammen als Zufall, Können und Glaube an die eigene Stärke. Wurde Oranje nun zweimal übervorteilt oder nicht? Einmal wurde ihr ein vielversprechender Angriff genommen, weil ein AMA-Spieler verletzt zu Boden ging. Ein anderes Mal führten die Amateure einen direkten Freistoß aus, obwohl kurz zuvor ein Wechselwunsch von Oranje geäußert wurde. Der Stoß von der Mittellinie flog hoch und weit nach vorn, und der Torhüter der Oranjes wirkte verunsichert. So landete der viel zu leichte Ball irgendwie im Tor, und wieder musste die Oranje all ihr taktisches Potential und ihr gut geschultes Überzahlspiel aufbieten, um die Amateure in die Defensive zu drängen.
Es war immer der gleiche Schachzug, mit dem die Abwehrkette der Amateure ausgehebelt wurde. Oranje passte den Ball bei der Eröffnung geschickt zwischen die Reihen, behauptete ihn dort, rückte sofort nach und spielte schnell weiter über die rechte Seite, zog dort Verteidiger auf sich, um dann präzise an ihnen vorbei durch den Strafraum zu passen, wo auf der linken Seite am langen Pfosten immer der Spieler mit der Nummer 10 völlig unbedrängt zum Einlochen bereit stand.
Seltsam, dieses konfuse Abwehrverhalten der Amateure, die das Oranje-Muster offenbar nicht zu lesen vermochten und immer wieder den gleichen Fehler begingen, zu weit von den Gegenspielern entfernt zu stehen und sich durch die gegnerische Überzahlsituation aus der Abwehrkette locken zu lassen! Nur dann verpufften Oranjes Angriffe bereits im Mittelfeld, wenn die Amateure geschlossen hinter den Ball kamen und dichter bei den Gegenspielern standen, um sie rechtzeitig unter Druck zu setzen und so die Anspiele in die Schnittstellen zu unterbinden oder abzufangen.
Oranje genügte nach dem Seitenwechsel eine einzige Minute, um den klaren Pausenrückstand von zwei Toren zu egalisieren. Zwei völlig identische Tore nach oben beschriebenem Muster. Aber direkt im Anschluss kamen wieder die Amateure auf mit einer missglückten Flanke, die irgendwie hinter die Torlinie von Oranje gelangte. So rannte der Gastgeber abermals dem Rückstand hinterher und schaffte erneut den Ausgleich. Und geriet prompt wieder in Rückstand, auch das scheinbar ein wiederkehrendes, irrationales Muster. Kassierte sogar einen weiteren Gegentreffer, um dann selbst wieder zwei Mal hintereinander zu treffen und auszugleichen. Oranjes beste Phase, denn nun schienen sie die Amateure zu beherrschen, sie drückten und drückten. Aber da war ja noch der besagte Spieler, der zu einem seiner Soli ansetzte und hart und kompromisslos abschloss. Sein fünfter und auch der letzte Treffer überhaupt in diesem sehr torreichen, Nerven aufreibenden und irgendwie viele Fragezeichen hinterlassenden Spiel.
Ein Unentschieden wäre sicher gerecht gewesen. Aber so ist Fußball, am Ende zählen die Treffer, die von beiden Seiten akzeptiert und hingenommen werden, egal, wie exakt sie nun gefallen sind und was dabei tatsächlich geschah, wie es gesehen oder wahrgenommen wurde. Der eine sieht es so, der andere anders, es fehlt immer eine übergeordnete Instanz, die für Gerechtigkeit sorgt. Am Ende einigt man sich mehr oder weniger gemeinschaftlich auf den gemeinsamen Glauben an den Fußball und seine Gesetze und akzeptiert sogar strittige Entscheidungen. Das Ergebnis gelangt in die Tabelle, beeinflusst das weitere Geschehen, und Leben und Fußball gehen weiter.
Bis zum nächsten Aufeinandertreffen, da erwacht der Riese mit der Schicksalskeule erneut und schwingt sie über allen Beteiligten, egal an welchem Datum!
[5. SPIELTAG / 14. Oktober 2017]