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AMA / E2
SAISON 2017 / 2018

Freitag, der dreizehnte

AMA e2 - SC Siemensstadt E2

Freundschaftsspiel

"Hic sunt leones!"

William von Baskerville in: "Der Name der Rose"


Dass Aberglauben im Fußball weit verbreitet ist, letztlich aber ein herrlicher Hokuspokus ist, bewies diese für die Geschichte des Fußballs ungemein erinnerungswürdige Woche. Spieler mögen sich bekreuzigen, bevor sie den Platz betreten, oder eine bestimmte Hüpfbewegung ausführen, das alles nützt nichts, wenn der böse Fußballgott gegen sie ist. Natürlich spiele ich auf die Begegnung zwischen Real Madrid und Juventus Turin im Viertelfinale der Championsleague an, die unser kleines aber nettes Freundschaftsspiel gegen den SC Siemensstadt noch zwei Tage später in den Hintergrund drängte. Dabei ging es bei uns durchaus torreicher und nicht weniger spannend zu, derart torreich, dass ich das exakte Ergebnis aus dem Blick verlor. Irgendwas mit Zehn zu Vier.

Um es ein für alle Male zu klären: Der Verlauf eines Spiels wird nicht von übernatürlichen Kräften beeinflusst, gleichwohl kann ein starker Glaube Berge versetzen. In mindestens zwei Richtungen, möchte ich hinzufügen. Ich selber meinte zu meiner aktiven Zeit in einer Taubenfeder, die auf dem Spielfeld lag, ein böses Omen zu erkennen. Sie bedeutete Verletzungspech und Niederlage. Ein ungemein schlechtes Zeichen war es auch, aus dem abgetragenen Trikotsatz jene Hose abzubekommen, die ihrer Größe nach eher zu einem Marathonläufer gepasst hätte, aber nicht zu einem schnellen Linksaußen. Im Grunde brauchte ich mit ihr gar nicht mehr anzutreten. Wer sich an die Trikot-Mode der 80er Jahre erinnert, weiß, wovon ich spreche.

Der große italienische Torhüter Gianluigi Buffon wurde in einer sehr denkwürdigen Partie zwischen Real Madrid und Juventus Turin nach einer zweifelhaften Elfmeterentscheidung in der 93. Spielminute wegen Schiedsrichterbeleidigung vom Platz gestellt. Juventus Turin hatte auf spektakuläre Weise einen Rückstand von drei Gegentreffern aus dem Hinspiel gegen den großen CL-Favoriten egalisiert und bereitete sich bereits auf die Verlängerung vor, als ein kleiner unachtsamer Rempler im Turiner Strafraum der eher durchschnittlichen Fußballwoche zu großer historischer Bedeutung verhalf.

Es gibt nicht viele Spieler, die Weltmeister werden und ihre Weltkarriere auf dem potentiellen Höhepunkt einer späten Vergoldung dadurch beenden, dass sie ausrasten. Ausgerechnet im entscheidenden Augenblick geben sie sich derart fatalistisch ihren Emotionen hin und fliegen dafür vom Platz, so dass man ihnen schon eine Art Todestrieb attestieren möchte. Als wollten sie sich über einen Seitenweg der Genialität aus der Welt stehlen und von der enormen Drucksituation befreien, die das weltliche Schicksal eines besonderen Spiels auf ihre Schultern ablegt. Anstatt ehrlich zu verlieren oder grandios zu gewinnen, also eines natürlichen Todes zu sterben, wählen sie das Harakiri in Rot.

Ohne näher darauf einzugehen, welche interessante Schicksalsreise Gianluigi Buffon und Zinedine Zidane im Madrider Bernabeu am vergangenen Mittwoch nach zwölf Jahren erneut zusammenführte, aber die Tatsache, dass beide als Urheber des subversiven Rot-Abtretens im Moment höchster Karriere- und Spielanspannung in die Geschichtsbücher eingehen werden, dürfte die Essayisten noch einige Zeit beschäftigen. Beider Platzverweis ging eine regelwidrige Handlung voraus, die für sich genommen bereits auf so unnachahmliche Art und Weise vorgetragen und ausgeführt wurde, dass man sie schnell in den Rang des Besonderen und Einmaligen heben möchte. Künstler, bis in den Tod hinein. Hier ein ungemein harter Final-Kopfstoß gegen den Brustkorb eines überheblichen Beleidigers, dort eine eloquente Verfluchungsarie gegen die stumpfe Entscheidung eines emotionslosen Schiedsrichters am Abend eines Jahrhundertspiels. Es gibt Fouls im Fußball, die machen den Sport noch größer, als er ohnehin schon ist.

Was wäre gewesen, wenn Buffon die Elfmeterentscheidung akzeptiert und gegen Ronaldo angetreten wäre? Oder schlimmer noch, wenn der Schiedsrichter tatsächlich keinen Elfmeter gegeben hätte? Wenn Madrid auf ganz gewöhnliche Weise in der Verlängerung zwei Treffer gegen Turin erzielt hätte, einen dadurch, dass Ronaldo Buffon den Ball kess durch die Beine schiebt? Wäre das Spiel dann immer noch als Jahrhundertspiel verbucht worden? Hätte Buffon dann immer noch einen außerordentlichen Karriere-Ende-Gedenkstein bekommen? Es hätte natürlich auch sein können, dass Turin das Wunder von Madrid gelungen wäre. Die Bayern hätte es sicher gefreut!

Lange Rede, kurzer Sinn: Buffon hat den Zidane gemacht, mehr steckt in dem Platzverweis leider nicht drin, auch wenn ich Buffons anschließende Erklärungen mit großem Genuss in der Zeitung gelesen habe, denn auf das Bild eines "Mülleimers anstelle eines Herzens" kann nur jemand kommen, der ein großer Lyriker ist! Torhüter denken dichterisch, sie haben ein Bezug zur Lyrik (siehe Oliver Kahn und Albert Ostermaier). Es muss etwas mit ihrer Rolle innerhalb des Spiels zu tun haben, diesem zugleich beteiligt und nicht beteiligt sein an den spielentscheidenden Momenten. Torhüter sind der Mond einer jeden Mannschaft, sie haben den Blick immer auf das Spiel gerichtet und stehen mit dem Rücken zur bedrohlich dunklen Materie der Fankurve.

Ich befürchte, dass die nächste Initiation eines genialen Weltklasse-Karriereendes durch rote Karte dem Publikum nur noch ein müdes und leicht schmerzverzerrtes Lächeln abringt. Mit Verve wird es sich dann wieder der Vielfalt kleiner, schrulliger Formen des Aberglaubens zuwenden, die den Fußball durchziehen wie Wildblumen eine Almwiese.

Buffon und Zidane indessen werden als Wachsfiguren bei Madame Tussaud ihren Weltruhm noch ein wenig verlängern. Ich weiß nicht wieso, aber ich sehe sie dort versöhnt nebeneinander stehen wie Obi Wan Kenobi und der von seiner Atemmaske befreite Darth Vader am Ende von Krieg der Sterne Teil VI. Und zwischen ihnen Fußballgott und Dichtkunstmeister Yoda.

[Freundschaftsspiel / 13. April 2018]


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Ergebnis sekundär
Es spielten: Albion, Blerton, Fynn, Samy, Levin, Kolja, Timo, Luca, Ion, Gabriel, Julius


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