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AMA / E1
SAISON 2018 / 2019

Ein tolles Team

Einheitsturnier BFC Südring

1. Platz

Im Grunde genossen wir einen Heimvorteil, trainierten wir doch letzte Saison jeden Mittwoch auf dem Lobeck, dem wahrscheinlich weitläufigsten und ödesten Kunstrasenplatz in Kreuzberg. Die Spielstätte vom BFC Südring hat etwas von einer postkapitalistischen Kampfbahn. Warum? Es irritiert, dass bis auf zwei Trabanten nur Bäume und Himmel vom Platz aus zu sehen sind, aber keine Stadt.

Die Weitläufigkeit des Feldes und die gewaltige Weite des Himmels, über den der stramme Westwind an diesem Einheitstag ungeheure Wolkenformationen schob, hatte nicht die gemütliche Brandmauern-Heimeligkeit eines Platzes wie von Hansa 07 und sie erstrahlte auch nicht in charmanter Bunker-Renaissance-Architektur wie auf dem Körte. Der Lobeck glich eher einem zukünftigen Flugfeld für Drohnen-Kunstflug-Wettbewerbe.

Umso erstaunlicher, dass das Einheits-Turnier mit sechzehn Mannschaften zunächst nur auf drei, später sogar nur noch auf zwei Spielfeldern ausgetragen wurde, denn Spielfläche genug wäre vorhanden gewesen. Aus den ursprünglich geplanten 12 Minuten Spielzeit wurden 10 Minuten pro Spiel, was sich zumindest nach hinten heraus als kluge Entscheidung erwies. Dennoch genoss die Mehrheit der Teams nur eine Netto-Spielzeit von 60 Minuten bei einer Brutto-Turnierdauer von über 6 Stunden. Das ist nicht unbedingt viel zum Leben. Dem launischen Wetter war es zu verdanken, dass die langen Wartezeiten zwischen den kurzen Spielen nicht allzu monoton wurden.

Man hätte ja nur vier Felder auf dem Stadionplatz aufbauen müssen, schon wäre alles im Lot gewesen. Allerdings hätten dazu auch vier Kleinfeld-Tore mehr über die Barriere gehievt werden müssen, so zog man lieber ein reichhaltiges Grill-, Kuchen- und Salatbuffet vor. Wie auch immer, wir kamen mit den Verhältnissen ganz gut zurecht und heimsten den riesigen Pokal, der an eine goldfarbene Replik eines griechisch-dorischen Säulenensembles erinnerte, sowie einen 150 Euro-Sportgeschäftsgutschein ein, der uns vielleicht die nötige weinrote Funktionswäsche für den Winter beschert.

Außerdem zeigten wir unserer Lieblingsmannschaft der psychopathischen Spielkultur, Almirs legendärer Schrubbertruppe, dass man Spiele und Turniere auch ohne unsportliche Vorteilsnahmen gewinnen kann. Obwohl das Team aufgelöst zu sein scheint, trat sie auf dem Turnier noch einmal in Erscheinung. Gleich zwei Mal durften wir gegen sie antreten, einmal in der Vorrunde bei einem torlosen Unentschieden sowie im Finale, das wir im Neunerschießen für uns entscheiden konnten. Wir trafen drei Mal, und da Wilmersdorf schon im zweiten Versuch patzte, mussten sie den dritten Neuner gar nicht mehr ausführen. Man kann sagen, dass Almirs Team nicht mehr ganz so überzeugend zu spielen vermag wie noch vor einem halben Jahr, weshalb es auch nicht mehr ganz so weit nach oben kommt. Am besten gefiel mir, dass es im Finale nicht mal mehr über die Mittellinie kam. Schubsen kann es zwar immer noch ganz gut, aber ein geschmeidiges Kombinationsspiel aufzuziehen, da hapert es nun doch ein wenig. Egal, schließen wir das Kapitel hiermit einfach ab.

Wie geht es weiter? Was kommt als nächstes? Der große neue Gegner heißt einmal mehr herbstliche Spielpause. Noch haben wir etwas Programm, aber natürlich winken jetzt schon die Herbstferien fröhlich am Horizont der frühen Saison. Ich mache mich ja gern darüber lustig, dass so viel verreist wird, die Flieger schamlos bestiegen und die immer größer werdenden Wagen permanent auf die Straße geschickt werden, wo doch der Zugewinn von Zeit, Gehalt und Freizeit viel besser dazu genutzt werden sollte, dem Schauspiel des Klimawandels von zu Hause aus zuzuschauen. Aber natürlich bin ich da auch im Vorteil mit diesem wunderbaren Blick aus einer kleinen Wohnung am Rande des Grimmparks heraus, der mir täglich neue wundersame Farbwechsel am Himmel und im Blattwerk der ausgedörrten Eichen und Platanen beschert.

Auf der anderen Seite gibt es gute Gründe, daran zu erinnern, dass auch wir ebenfalls eine ernste Sache betreiben! Auch wir sind gewissermaßen eine Schule, sogar ein Gymnasium, in das die Kinder sogar ausgesprochen gerne gehen. Ich kann zwar gerade noch den Satz des Pythagoras herunter beten und wahrscheinlich sogar anwenden, aber bei der Beschriftung der schematischen Darstellungen von Auge, Ohr und Nase komme ich bereits an meine Grenzen. Wozu muss man das lernen?

Anders gesagt: Ich ging 13 Jahre zur Schule, einige Jahre davon sogar 3 mal samstags im Monat bei 60-Min-Stunden, 2 Mathe und 2 Physik, aber hängen geblieben ist von all dem eingeprügelten Stoff, ehrlich gesagt, nicht viel. Das bisschen Schreiben schaffte ich mir erst nach dem Abitur drauf in einem autodidaktischen Akt der täglichen Selbstreflexion, kurz nachdem meine sportliche Karriere ihr verfrühtes Ende gefunden hatte. Und trotzdem würde ich behaupten, dass mir das bisschen Fußballspielen in meinem Leben weit mehr beigebracht hat als all das viele unnütze Pauken in der gymnasialen Vorhölle der kleinstädtischen Bildungsbürgermittelklasse.

Seien wir doch mal ehrlich: Wir haben nur dieses eine Leben, warum müssen wir es an so viele unnütze Fächer, de-inspirierende Lehrer und tödliche Erholungsreisen verschwenden, wenn die Wahrheit doch - wie es so schön heißt - auf dem Platz liegt? Eine gute Trainingseinheit schlägt jede Erdkundestunde, da bin ich mir ziemlich sicher. Sie schult das Zusammenwirken von Kopf und Körper sehr effizient, individueller Geist und gemeinschaftliche Aktion finden auf ansehnliche und progressive Weise zusammen. Der Anreiseweg ins Land der geistig-körperlichen Ertüchtigung und gemeinschaftlichen Erkenntnis ist sogar relativ CO2-neutral, es sei denn, man hat sich für einen dieser Hokuspokusvereine am Stadtrand entschieden, die einem permanent suggerieren, demnächst im Profifußball zu reüssieren, wofür man allerdings einen Teil seiner Kiez-Seele verkaufen muss. Ausschwärmen ins Leben kann man mit 18 Jahren immer noch, glaubt mir, bis dahin reicht es alle Male, heimlich in die Tiefe des Raums zu sprinten, um einen perfekt getimten Ball seines Sechsers kühn zu erlaufen und mit zwei sicheren Ballkontakten gegen den nächstbesten Gegner einzulochen.

Okay, ich gebe zu, das war jetzt ein langer, etwas weitschweifiger und wahrscheinlich auch polemischer Versuch, um zum eigentlichen Ziel zu kommen: Dem ungemein wichtigen und höchstwahrscheinlich spannendsten Spiel der Hinserie: Dem Match gegen den 1. FC Union Berlin. Wir haben noch drei Spiele in dieser Hinrunde, bevor wir in der letzten regulären Freiluft-Woche auf eben diesen Verein treffen werden, der gelegentlich gerne bei uns Talente abwirbt, wenngleich er ihnen natürlich auch einiges zu bieten hat. Ohne dieses Match zu etwas stilisieren zu wollen, was es gar nicht ist, weshalb ich auch ganz gelassen auf die fußballfreien Wochen der Herbstferien blicke, fände ich es dennoch ganz schön, wenn wir auch von der Alten Försterei mit erhobenem Kopf zurückkämen, um nach dem Spiel, egal wie es ausgeht, sagen zu können: Ja, der ganze riesige Aufwand, den wir seit zwei Jahren betreiben, der hat auch was überdurchschnittlich Gutes!

Wir sind nämlich ein tolles Team, und Fußball ist mehr als nur eine wunderschöne Zeitverschwendung oder Freizeitbeschäftigung, Fußball ist eine Schule des Gesellschaftlichen und damit eine Schule des Lebens schlechthin. All die guten und bösen Muster, die im Großen gelten, finden sich auch hier. An seine Trainer erinnert man sich später genauso gut wie an seine Lehrer, die guten wie die schlechten, und aller Wohlstand der Welt nützt einem auch nichts, wenn die Knochen und der Körper nicht mehr mitmachen beim großen Lauf des Lebens.

Carpe diem! Spielt, so lange ihr könnt! Lernt, so viel ihr schafft! Verschwendet keine Minute an unseriöse Versprechen, sondern geht immer dorthin, wohin euch euer innerer Kompass führt! Auch in den Herbstferien. Denn das Leben ist ziemlich weit und schön, egal ob mit oder ohne Fußball. Bis dahin sind es allerdings noch ein paar Trainingseinheiten, wir sehen uns!

[Einheitsturnier BFC Südring / 3. Oktober 2018]


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1. Platz
Es spielten: Albion, Fynn, Kolja, John, Samy, Noah, Luca, Bela, Timo, Blerton



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