AMA U12 - Berliner SC U12
6 : 1
Kaum ist die Hitze runter, wollen einige tatsächlich mit Thermoshirt aufs Feld. Das geht natürlich nicht. Was die Trainingskleidung betrifft, kann von mir aus jeder tragen, was er will. Aber zu einem Wettkampf, bei dem von der ersten bis zur letzten Minute Vollgas gefragt ist, geht mir Anfang September keiner mit Schal und Mütze aufs Feld.
Ich will damit niemanden schikanieren, es ist einfach eine Frage der optimalen Temperaturreglung des Körpers während des Matches. Man kann ja eine Trainingsjacke zum Aufwärmen überziehen, wenn einem zunächst kalt ist. Zu meiner Zeit, da war der Krieg schon etwas her, galt man als Weichei, wenn man nur daran dachte, sich im Winter eine Strumpfhose unter das Dress anzuziehen. Zum Glück bleiben wir im Sport mittlerweile von solch militärischer und ideologischer Selbstverstümmelung weitgehend verschont.
Gleichwohl las ich neulich ein Interview mit einem Berliner Leichtathletiktrainer, der sich darüber mokierte, dass sich die Jugend im Breitensport heutzutage nicht mehr quälen wolle, weshalb eine 19-jährige Gewinnerin über 10 Kilometer zwei Minuten langsamer ins Ziel käme als die Gewinnerin in der Altersklasse der 50-55jährigen. Ich will das nicht bewerten, allerdings gehen mir einige junge Freizeitjogger, die mir regelmäßig im Gleisdreieckpark blind ins Rad rennen, ziemlich auf den Senkel. Smartphone am Arm, aber offenbar tagesblind.
Zu jedem Sport gehört wohl eine gewisse Wahrnehmungsbereitschaft hinzu, die ich leider bei manchem Freizeitsportler vermisse. Es ist wie im Straßenverkehr. Zu meinen allerliebsten Freunden zählen da Mitschwimmer und Mitschwimmerinnen auf der Sportbahn, die einem erst mit weit ausholenden Froschschenkelschlägen den Weg versperren und dann an der Wende noch flugs vor einen hechten, um ja vorne zu bleiben. Auch da liegt die Altersklasse 50+ deutlich vorn. Ehrgeizig und mit großer sportlertypischen Härte gegen sich selbst ausgestattet, sehen sie zwar noch vieles, aber vorrangig nur sich selbst. Was ist so schwierig daran, an der Wende einen schnelleren Schwimmer kurz vorzulassen?
Jungen Spielern sage ich immer: Fußball beginnt im Kopf und endet in den Füßen - das beste Ballgefühl ist ohne Spielverständnis nichts. Es bedarf im Sport freilich auch der Leidenschaft, denn ohne Begeisterung und Willensstärke nützen einem alle körperlichen und mentalen Fähigkeiten nicht viel. Und überhaupt: Als Fußballer betreiben wir einen Mannschaftssport, da kommt es auf die Feinabstimmung und eine gute Kommunikation untereinander an, wir sind schließlich keine sich selbst optimierenden Laufmaschinen.
Im Training fällt mir gelegentlich auf, dass einige Spieler erheblich mehr Trinkpausen benötigen als andere. Natürlich kenne ich Spielformen, in denen das Tempo hoch ist und viele kleine Sprints gefragt sind. Wer da schnell pumpt, ruft gern sofort nach der Trinkpause. Das ist dann der Moment, wo ich der Jugend von heute beibringe, dass man sich im Sport auch mal quälen muss. Aber keine Angst, bei uns verdurstet niemand.
Ein Lob an dieser Stelle an den Schiedsrichter, einen gebürtigen Amerikaner und Sportsmann durch und durch, der auf so wunderbar freundliche und aufmerksame Weise nicht nur das Spiel leitete, sondern darüber hinaus zwischen Teams und Spielern sehr einfühlsam und motivierend vermittelte, als gelte es zu zeigen, dass Amerika nicht erst wieder groß gemacht werden müsse, um groß zu sein.
Als es in der Halbzeit um die Frage ging, welches Schuhwerk auf welchem Geläuf zulässig sei, entschied er mit Blick auf potentielle Verletzungsgefahren sehr salomonisch und ohne panisch zu werden. Konkret ging es um einen unserer Spieler, der zur Halbzeit eingewechselt werden sollte und der Schuhe mit breiteren und tieferen Nocken als die gewöhnlichen Kunstrasensohlen trug. Vom gegnerischen Trainer kam der Hinweis, von diesen Schuhen ginge eine Gefahr aus, der Spieler möge sie gegen andere tauschen.
Abgesehen davon, dass meiner Meinung nach eher von dem Spieler als solchen eine potentielle Gefahr für den Gegner ausging als von seinen Schuhen, deckt das Regelwerk die Klärung der Frage nur ungenügend ab. Im Grunde darf vom Schuhwerk keine Gefahr ausgehen, aber ab wann tut sie das? Bereits dann, wenn ein Spieler mit AF-Sohle spielt, während alle anderen eine Turf-Sohle tragen?
Der Schiedsrichter entschied zu Gunsten des Spielers, betonte aber nach dem Spiel, bei 18mm-Alu-Schraubstollen hätte er anders entschieden. Zudem gab er dem Spieler eindringlich zu verstehen, er möge vorsichtig agieren. Das war allerdings gar nicht nötig, denn im Regelfall bekommt dieser Spieler selber viel auf die Knöchel ob seiner Antrittsschnelligkeit und Dribbelkünste, und von denen wusste der Trainerkollege durchaus, wie er mir vor dem Spiel beim Smalltalk zu verstehen gab. Ich schätzte sein hehres Anliegen daher auch eher als klassisches psychologisches Störfeuer ein. Das gehört zweifelsfrei auch mit zum Fußball.
Sein letztes Argument war, seine Spieler würden zurückziehen beim Tackling, um sich nicht an den Schuhen des Spielers zu verletzten, und dies stelle eine gewisse Wettbewerbsverzerrung dar. Ich mag meinen Kollegen, ich finde seine Argumente immer wieder sehr gewitzt und erfindungsreich, nur leider zielen sie in der Regel darauf ab, sich unter dem Deckmantel des Fairplay selber einen Vorteil zu verschaffen. Deshalb wartete ich das Ende der Diskussion vor dem Wiederanpfiff gar nicht erst ab, sondern überließ die Entscheidung, ob Schuhwerktausch oder nicht, dem Schiedsrichter.
Wir hatten uns durchaus schwer getan bis zur Pause. Es dauerte über fünfzehn Minuten, bis wir das Spiel im Mittelfeld in den Griff bekamen. Wieder gingen die Bälle leichtfertig verloren, wieder agierten wir nicht zielgerichtet und konzentriert genug. Es fehlte uns an Schmackes und Handlungsschnelligkeit. Hier und da gab es sogar gravierende Abstimmungsprobleme, das hatte auch der Gegner mitbekommen, und so witterte er seine Chance. Nach zwanzig Minuten schienen wir das Spiel zwar langsam in den Griff zu bekommen, doch tauchte der Berliner SC immer wieder gefährlich vor unserem Tor auf. Die Führung mit zwei Toren war dünn.
Ich dachte sofort an die Vorwoche zurück. Dieses Mal wollten wir es unbedingt besser machen, wir verstärkten umgehend das Mittelfeld und stellten zurück auf Null. Und vor allem schworen wir uns, keinen einzigen Gegentreffer zuzulassen. Der Druck auf den Gegner erhöhte sich mit der Einwechslung des AF-Sohlenspielers, obwohl er sich durchaus in den Zweikämpfen zurückhielt. Einmal traf er selber, ein weiteres Mal legte er auf. Nach zwanzig Minuten durfte er das Feld wieder verlassen und konnte sich erneut seinen Hustenschal umlegen, den ihm der Schiedsrichter auf dem Feld zu tragen zurecht untersagt hatte. Würgegefahr! Wir erhöhten auf sechs Treffer und ließen immerhin einen Ehrentreffer zu, bei dem sich erneut ein Konzentrationsfehler bemerkbar machte, der uns nicht gut gefallen kann.
So fällt das Fazit gemischt aus: Auf der einen Seite gewannen wir relativ deutlich, auf der anderen wirkten wir lange nicht so konzentriert und wach wie noch zu Beginn unserer Saison. Man sieht es an den Abschlüssen, man erkennt es an der Ungenauigkeit im Aufbauspiel, da geht eigentlich mehr. Wir müssen uns ja nicht gleich übermäßig quälen, aber ein bisschen mehr Schub und Aufmerksamkeit aufzulegen, wäre jetzt durchaus ratsam. Manchmal ist freilich auch eine Kreativpause das richtige Aufputschmittel. Denn ohne Regeneration und neue mentale Impulse geht im Sport ja auch nichts.
[4. SP. HR / Sa. 7. September 2019]