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AMA / E2
SAISON 2017 / 2018

Der Kitt des Gemeinsamen

Blitz Babelsberg 03

1. Platz

"Es gibt nur eines, was noch sinnloser ist als Fussballspielen: Nachdenken über Fussball."

Martin Walser


Dem Vernehmen nach boten wir eine ansehnliche Leistung mit einer Steigerung von Spiel zu Spiel. Leider konnte ich erneut nicht teilnehmen und musste mir von den Spielen berichten lassen. Ich hörte nur Gutes!

Zum Ausgleich gab ich mir eine unansehnliche Herren-Bezirksligapartie im Schaumburger Land, die ich, angeschlagen von einer Superinfektion, von einem kleinen Erdwall aus am Randes eines lehmigen Sportackers beobachtete, zusammen mit einem Schiedsrichter des DFB, der demnächst sein 60jähriges Jubiläum feiert.

Ich quälte mich durch das von einfallslos nach vorn geschlagenen Bällen durchzogene Herren-Spiel und fragte mich, ob ich jemals einen solchen Rumpelfußball gespielt hatte? Ich fand keine Antwort. Ich ahnte aber, dass mein Kreuzbandriss damals eine günstige Gelegenheit gewesen war, aus dem Amateur-Fußball auszusteigen. Nur warum? Was an dem Spiel, das ich immer so gern gespielt hatte, war auf der Strecke geblieben? Ein Mangel an kreativer Erfüllung? Oder gab ich auf, weil mich mein Körper im Stich gelassen hatte?

Interessanter erschien mir plötzlich die Frage, weshalb ich nach all den Abenteuern des Kopfes, denen ich mich in der Zeit nach dem Fußball gewidmet hatte, zum Fußball zurückkehrt war? Was gibt mir der Fußball, das mir die schönen Künste nicht geben können?

Jede Handlung im Fußball vollzieht sich in einmaliger schneller Präzision, die es in der Kunst nur als Resultat einer umfangreichen Sinn- und Bedeutungsakkumulation gibt. Während eines Spiels gibt es schlichtweg keine Korrekturen, alles geschieht zum ersten und einziges Mal - vergleichbar am ehesten mit dem Akt des Fotografierens. Zwar ist jede Rezeption eines Buches, eines Films oder eines Kunstwerks einmalig und originär im Augenblick der Wahrnehmung, doch bezieht sich dies vornehmlich auf die Konsumtion. Als Produzent eines Werkes schreibt man permanent um, verändert, modifiziert, bis das Ergebnis stimmt. Die Einmaligkeit der produktiven Handlung wird zum Abdruck eines wiederholten Versuchens. Selten, dass ein Kunstwerk oder ein Gedicht im ersten Entwurf gelingen.

Die großen Spielzüge und genialen Momente im Fußball wiederum entstehen nur scheinbar aus dem Nichts. Für das Zustandekommen bedarf es etlicher differentieller Trainingseinheiten. Darin ähneln sich Kunst und Fußball. Der Weg zu einem gelungenen Kunstwerk führt über Zeit und Dauer. Was am Ende eines gedanklichen Prozesses als eigenständiges, lebendiges Objekt dargeboten wird, ist das Produkt einer langen persönlichen Auseinandersetzung. Wenn man so will, beruht das Kunstwerk auf einem geistig-sinnlichen Training ausgesuchter Alltagsinhalte. Im Fußball wird die Einübung des Alltäglichen, der Umgang mit dem Ball, wiederum zur künstlerischen Fertigkeit.

Das Spiel avanciert zum Moment der unmittelbaren Niederschrift und sinnlichen Darstellung einer Sprache der körperlichen Gewandtheit. Das Ergebnis dieser Darstellung ist jedes Mal neu und offen. Genau diese Offenheit birgt einen enormen Reiz sowohl für den Rezipienten, als auch für den Produzenten. Es ist, als würde man mit jedem Spiel ein neues Buch lesen, einen neuen Film sehen. Freilich gibt es solche Bücher und solche Filme.

Der Zuschauer verfolgt eine Handlung, die sich im Augenblick des Wettkampfes in konkrete Figuren und Situationen manifestiert. Er erlebt das Zustandekommen eines momentanen Kunstwerks, einer Geschichte, eines Films. Der Spieler wiederum, der Produzent, veräußert sein Können nach bestem Wissen und Vermögen. Er übernimmt eine Funktion innerhalb des interaktiven Gesamtgebildes und führt diese auf bestmögliche Weise aus. Wenn ihm die Poesie gelingt, wenn seine Pässe sitzen, seiner Dribblings fruchten, seine Schüsse treffen, dann gewinnen er und seine Mannschaft das Spiel. Sie verlieren, wenn die Sprache des Gegners ausgefeilter, reichhaltiger, komplexer und überraschender ist.

Ein Spiel zu verlieren, ist wie an einer Szene zu scheitern, an einem Dialog, an einer bestimmten Vorstellung, die man künstlerisch zu etwas Dauerhaften umzuformen hoffte. Nichts ist schlimmer als das Gefühl, unentwegt an sich selbst und seiner Sprache zu scheitern. Wenn eine Mannschaft Spiel um Spiel verliert, verstummt die Sprache der Spieler. Die Mannschaft gerät in eine Schreibblockade, die in den meisten Fällen durch einen Trainerwechsel aufgebrochen werden soll.

Jeder Spieler will sich ausdrücken und zur großen Rede des Spiels beitragen. Ein guter Trainer bringt dem Spieler nach und nach alle rhetorischen und stilistischen Kniffe bei. Er erinnert ihn gleichzeitig daran, seine Sprache durch die Art seines Denkens und Sprechens zu hinterfragen. "Du musst lernen, das zu sagen, was für dich wichtig, schön und richtig ist! Das Besondere entsteht durch deinen Mut, es auszudrücken! Mit jeder freien Rede wird dein Spiel besser!"

Der Trainer sieht in seiner Mannschaft einen kollektiven Körper, dem er das Sprechen und Handeln beibringen will. Die Spieler sind das ausgesuchte Personal eines neuen Romans. Das Spiel, das er spielen lassen will, soll die Zuschauer fesseln und begeistern. In jedem Detail stecken seine Gedanken, sie sind aufeinander bezogen. Mit jedem Training wird der Inhalt des Buches umfangreicher. Am Ende der Saison könnte der Roman fertig geschrieben sein, allerdings wird er niemals umgearbeitet oder nachträglich verbessert werden können. Er steht für sich und kann allenfalls in eine neue Spielzeit hinübergenommen und dort ein zweites Mal versucht werden. Manche Trainer (wie manche Autoren) schreiben aus Mangel an Inspiration jede Saison das gleiche Buch.

Im Kinderfußball gibt es keine saisonalen Bücher, es kommt vor allem auf die Lust am Lesen an. Wenn ein Kind leidenschaftlich gern liest, wird es jeden Inhalt zu seinem Buch machen. Es wird das Spiel lesen lernen auf eine Weise, die sein Spiel in Zukunft mitbestimmt. Je vielseitiger die Lektüre und das innere Ausmalen der Welt, desto prächtiger wird sich sein eigenes Spiel entfalten. Die große Schwierigkeit im Kinderfußball besteht darin, Kinder für das Lesen zu begeistern und sie im großen Buch des Fußballs schmökern zu lassen, ohne ihnen die Bewegung vorzuenthalten, die nötig ist, um ein guter Fußballer zu werden. Man wird nicht allein durch Lesen jemand, der schneller laufen, dribbeln, passen und schießen kann als andere. Ein Trainer im Kinderfußball muss in jedem Training den Kopf und die Beine seiner Spieler zum Jubeln bringen.

Der Fußballplatz ist ein Raum der Kreativität. Den Aktiven bietet er eine sinnlich-körperliche Auseinandersetzung auf der Ebene der unmittelbaren Repräsentation, so wie ein Autor oder ein Künstler am Schreibtisch oder im Atelier die Wirklichkeit mit künstlerischen Mitteln bearbeitet und in etwas Neues verwandelt. Das Betreten des Fußballplatzes ist wie das Betreten eines Ateliers. Auf dem Fußballplatz wird gestaltet, probiert und erfunden. Mit der ersten körperlichen Bewegung wird eine Geschichte aufgezeichnet, festgehalten, skizziert und variiert, bis alle Details sitzen und das Kunstwerk Gestalt annimmt. Der große wesentliche Unterschied zwischen Fußball und Kunst ist die Erfahrung der Gemeinschaft, die im Prozess des langjährigen gemeinsamen Erlernens liegt, sowie das unmittelbar soziale interaktive Wesen, das während eines Spiels zur gemeinschaftlichen Kunst führt.

Der Kitt des Gemeinsamen existiert in der Kunst nur als Zaubermittel der Darstellung und allgemeinen Veranschaulichung. Er ist eine Sprache für sich. Als Künstler ist man auf sich allein gestellt, als Spieler gehört man einem Team an. Der Fußball ist eine Schule des kreativen Denkens und Handelns, die über den Körper geht. Die Kunst ist eine Schule des kreativen Denkens und Handels, die über die Sinne geht. Wer Körper und Sinne, Kopf und Beine zu verknüpfen versteht, dem stehen Kunst und Fußball auf wechselseitig befruchtende Weise zur Verfügung.

[Babelsberg 03 Blitz / 24. März 2018]


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1. Platz
Es spielten: Albion, Blerton, Fynn, Samy, Kolja, Timo, John, Ion

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