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AMA / E1
SAISON 2018 / 2019

Absolute Selbstläufer

Turnier ALtlüdersdorf

1. Platz

Eine Interimstrainerin in Campagna-Pose auf dem siegreichen Mannschaftsfoto mit in die Luft gestemmter WM-Pokal-Replik, das kommt auch nicht alle Tage vor. Ich bedauere in keinster Weise, den Termin ausgelassen zu haben, nur dadurch konnte offenbar werden, welche ungeahnten Potentiale in unserer Mannschaft schlummern. Wenn ich nicht so ein ungemein großer Automobilitätsskeptiker wäre, würde ich sagen, wir fahren im Gegensatz zu den großen Autokonzernen längst autonom. Eine Mannschaft, die sich selbst aufstellt, etliche Eltern, die jeden Ausflug ins Brandenburgische mit großem Enthusiasmus organisieren, begleiten, stemmen und fördern. Das ist einfach großartig!

Natürlich musste der 80 Kilometer weit entfernte Spielort in Brandenburg erst einmal erreicht werden, und wie in den meisten Fällen eines Auswärtsspiels bin ich dann doch ganz dankbar, dass meine Vorbehalte gegen die altmodischen CO2-Schleudern leicht aufzuweichen sind, wenngleich ich behaupten kann, nie ein Auto besessen zu haben und auch niemals eines kaufen werde.

Mit dem Fahrrad geht ohnehin vieles besser, zumindest in der Stadt. Ich bin schon mal zur alten Försterei hinaus geradelt und würde es jeden Tag wieder tun, wenn nur diese unsäglichen Hoppelfahrradwege in Berlin endlich geschlossen und durch einen adäquaten Asphaltstreifen auf den zweispurigen Ausfallstraßen ersetzt würden. Leider hält sich der von mir gewählte grüne Anteil an der Senatsregierung leidlich zurück mit durchgreifenden Mobilitätsinnovationen. Man gewinnt das Gefühl, auch sie selber säßen eher selten auf dem Rad. Aber vielleicht hoppeln sie auch gerne, nun ja, ich komme vom Weg ab.

Altlüdersdorf hätte mich schon gereizt, aber gleichzeitig musste ich die Verantwortung auch mal abgeben. Allzumal wenn der eigene Sohn ein wichtiges Auswärtsspiel in Friedenau zu bestreiten hat, dem ich unbedingt beiwohnen wollte und bei dem ich mich zu meinem Erschrecken dabei erwischte, im Schwange der aufkommenden Emotionen plötzlich als eigentlich passives Elternteil von der Seitenlinie ins Spiel zu coachen. Oh, mein Gott, wie konnte das passieren?

Irgendwie ging es nicht anders, das Spiel war so spannend und stand etwas auf der Kippe, und den Friedenauern war jedes Mittel Recht, sich einen kleinen Vorteil zu verschaffen, also gab ich meinem Sohn und seinem besten Freund von der Seitenlinie flehentlich zu verstehen, jetzt verdammt noch mal das Ding einzutüten, denn sie waren ja die klar bessere Mannschaft, und das taten sie dann auch. Dennoch verhielt ich mich alles andere als vorbildlich.

Währenddessen trudelten schon die ersten Meldungen aus Altlüdersdorf bei mir ein. Einundzwanzig zu eins Tore - las ich auf dem Display, das wirkte nach souveränem Turniersieg. Macht es Sinn, Teams zu benennen, die man gar nicht gesehen hat und ohnehin nur ganz schwach erinnert?

Also, gewonnen wurde gegen Neubrandenburg, Fürstenberg, Altlüdersdorf, Falkenthal und eine Mannschaft aus Polen, die den einzigen Treffer gegen uns erzielte. Dies unter großer Unterstützung und Beteiligung unseres Wahl-Torhüters, eigentlich einem Angriffsspieler, der dann auch seinen Instinkten gemäß bis zum gegnerischen Tor mitgelaufen war, um einen rasanten Flugkopfball gekonnt gegen den Pfosten zu setzen. Worauf der Ball vom gegnerischen Torhüter aufgenommen und aus der Hand weit über die Mittellinie nach vorne geschlagen wurde und dort in unser Tor kullerte, vom Augenzwinkern des Schiedsrichters begleitet, denn eigentlich hätte er ja Mittellinie pfeifen müssen. Aber so viel Fehlentscheidung muss auch mal sein, wenn dadurch das Spiel in den Rang eines unvergesslichen Moments gehoben wird.

Ich liebe solche Details und Momente, denn wegen ihrer spielen wir doch die ganze Zeit Fußball, nehmen drei Mal in der Woche ein hoch dosiertes, hoch konzentriertes Training in Kauf und juckeln uns jedes zweite Wochenende die Reifen platt, um zu Auswärtsspielen oder fett besetzten Turnieren zu gelangen. Kleine, verrückte Begebenheiten, die einfach so vom Himmel fallen und die man nie und nimmer vorher einstudieren oder gar in eine Dramaturgie schreiben könnte, ohne dass das ganze Theater laut lachen oder den Kopf schütteln würde vor schlechter, mieser, gefakter Künstlichkeit.

Bereits die Erfindung der Latte und des Pfostens finde ich im Sinne der Dramatik des Spiels so großartig, dass ich mich Stunden lang mit ihren phänomenalen Folgen und philosophischen Ableitungen beschäftigen könnte. Dagegen besitzt die automatische Einparkhilfe eines PKWs in etwa die Kraft und Eleganz eines abgebrannten Streichholzes.

Man denke nur an den Torjubel des Belgischen Nationalspielers bei der letzten WM zurück, der sich den Ball aus dem Netz holte und mit vollem Enthusiasmus noch einmal hinein expedieren wollte, als gelte es den Treffer zu wiederholen, dabei aber leider nur den Pfosten traf, von dem der Ball zurücksprang und dem Spieler direkt ins Gesicht knallte.

Hohe Kunst und Lächerlichkeit liegen im Fußball nun einmal nah beieinander. Und so schließe ich diesen Eintrag mit einem leicht abgewandelten Zitat eines von mir hoch verehrten ehemaligen Kopfballungeheuers und absolut lässigen Elfmetereinschiebers aus dem hohen Norden, der einmal nach einem wenig schmeichelhaften EM-Einstieg seiner Mannschaft gegen Rumänien als Assistenztrainer für alle Zeiten festhielt: "Wir müssen das alles noch mal Paroli laufen lassen!"

[Turnier ALtlüdersdorf / 25. Mai 2019]


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Platz 1
Es spielten: Bela, Blerton, Albion, John, Feris, Timo, Noah, Levin



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