AMA U15 - VSG Alt-Glienicke U15
4 : 3
Was als kleine grüne Ufoscheibe in fünf Meter Höhe am Spielfeldrand auf dünnem Gestänge schwebte und sein magisches Auge über das Spielgeschehen schweifen ließ, entpuppte sich als ein feines Instrument der Spielnachbearbeitung. Man kann wirklich unendlich viel Zeit in diesen Sport investieren, und wenn die Technik dazukommt, wird es gleich dreimal so viel.
Zweimal schaute ich mir die versammelten kleinen und großen Fehler unseres Spiels an, den Stift schon gezückt, um Szene und Minute zu notieren. Aber dann wurde mir bewusst: diese Liste würde ich bis zu den Sommerferien niemals abarbeiten können. Die Bilder täuschen zudem ein wenig, alles sieht langsamer aus als live im Spiel. Auf der anderen Seite entlarven sie jede kleine Nachlässigkeit aufs das Deutlichste.
Gefühlt hatte ich bereits während des Spiels eine dumpfe Ahnung, dass viele unserer Aktionen nicht unbedingt dem ausgerufenen Ideal des Ballbesitzes entsprachen, es gab zu viele Ungenauigkeiten technischer Art, reichlich chaotisches Gerangel im Mittelfeld, halbhohe Bälle am laufenden Band sowie viele retardierende Viertelsekunden im Spielablauf und beim Verteidigen, den sprichwörtlichen Schritt zu spät. All das führte ich während des Spiels auf den hohen körperlichen Einsatz und die Fitness des Gegners zurück, der ein sehr gutes Pressing zelebrierte und bei Ballgewinn selbst gefährlich zügig und griffig seine Spitzen ins Spiel zu bringen vermochte.
Seltsamerweise schossen wir zunächst die Tore und führten zur Pause mit drei zu null Toren, konnten gar kurz nach Wiederanpfiff auf ein Vier zu Null erhöhen. Aber schon der Gegenzug legte unsere Schwächen bloß und führte zum Anschlusstreffer. Bis auf ein Tor kam Alt-Glienicke schließlich heran, und auch wenn unser Sieg am Ende nicht unverdient war, lagen beide Teams in der Statistik nahezu gleich auf. Wir hatten uns sicherlich mehrfach gut und mit vielen Spielern bis tief in ihre Hälfte gebohrt und auf weitere Treffer hin kombiniert, darüber aber oft auch die Absicherung und das Verteidigen von gefährlichen Umschaltmomenten vernachlässigt. So konnte Alt-Glienicke bei Ballgewinn das Spiel stets schnell in die Vertikale bringen und gefährlich vor unser Tor kommen. Auch bei ihren klugen Pressing-Aktionen waren sie erfolgreich. Die Bilder decken es gnadenlos auf: In vielen Situationen agierten wir zu pomadig, zu ungelenk und nicht spritzig genug. Da ist noch viel Luft nach oben!
Derzeit geht es im Training allerdings um die Kaderplanung. Mindestens 50 Anfragen zum Probetraining habe ich in den letzten vier Wochen erhalten. Mittlerweile ist mir klar, dass ich 95 Prozent davon nicht ernst nehmen muss, da es scheinbar Usus bei den Jugendlichen ist, wie beim Samstags-Lotto einfach mal außer der Reihe einen Glücksschein auf ein Probetraining bei einem „besseren“ Verein auszufüllen. Könnte ja sein, dass man tatsächlich gesichtet wird. Im Grunde halten sich alle für außerordentlich begabt, sodass sie nun mindestens Landesliga spielen wollen. Die Aufschwünge der Hybris grenzen an Luftdrachenshows auf dem Tempelhofer Flugfeld. Dieses alljährliche Wechselkarussell ist tatsächlich viel kurioser und komplexer als ich je annahm. Momentan gleicht es jedoch einem dieser monströsen urbanen Verkehrskreisel, auf denen dreispurig dröhnend rein und rausgefahren wird.
Meist möchte ich schon direkt nach der Bewerbung oder Anfrage absagen, weil ich bei den radebrechenden Satzfetzen eine Gänsehaut bekomme, aber das wäre diskriminierend. Selbst wenn ich davon überzeugt bin, dass Fußball viel mit Sprache gemein hat und blindes Verstehen auf dem Platz sehr viel mit zwischenmenschlicher Kommunikation und sozialem Miteinander zu tun hat, muss ich eine solche Anfrage erst mal ernst nehmen. Doch was kann ich wirklich von einem Spieler auf dem Platz erwarten, wenn er noch nicht mal eine formale Kommunikationssituation überschaut und inhaltlich antizipiert und sein Anliegen stattdessen bequem und lieblos in den Betreff einer Mail schreibt, gar manchmal ohne seinen Namen zu nennen? Kann jemand dann trotzdem der zukünftige Messi sein?
Ich weiß nicht, was all diese Jungs tatsächlich suchen, aber es dürfte sich im Grunde um simple Anerkennung handeln. Sie wollen für das, was sie gerne tun, einmal gelobt und darin unterstützt werden. Vielleicht ist es auch einfach eine Art neues Gesellschaftsspiel zum Saisonende. Bestimmt wollen sie endlich mal oben mitspielen, nicht immer nur mit den weniger Guten kicken und überhaupt gegen den Abstieg und so weiter, also einfach mal zu den Gewinnern gehören. Sie würden sich sogar sehr ins Zeug legen dafür, aber niemand gibt ihnen eine Chance. Und die, die ihnen eine Chance geben, gefallen ihnen wiederum nicht.
Beim Probetraining ist schnell erkennbar, ob jemand eine Veranlagung hat oder bereits mitbringt. Aber noch schneller ist erkennbar, ob das Leistungsgefälle zum bestehenden Kader bereits zu groß ist. Zack, ist man aussortiert, denn kein Team der Welt hat die Zeit, einen motivierten, aber leider noch nicht konkurrenzfähigen Spieler erst mal aufzubauen. Der Sprung nach oben gelingt nur dann schnell und geschmeidig, wenn er auch schon zwei Jahre zuvor geglückt wäre. Nein, die meisten dieser sich selbst lobpreisenden Entrepreneure ihrer eigenen Fähigkeiten sind mutige Hasardeure des schnellen, aber unwahrscheinlichen Glücks. Sie schauen auf die Klassenzugehörigkeit des Vereins oder Teams, dann schießen sie pro forma eine Anfrage raus.
Manche bekommen sogar einen Termin zum Vorspielen, erschienen aber nicht, sagen auch nicht ab oder entschuldigten sich gar dafür. Je höher die Wahrscheinlichkeit, es mit einem potentiell ernsthaften Kandidaten zu tun zu haben, desto größer umgekehrt die Wahrscheinlichkeit, dass er sich nach ordentlicher Bewerbung schnöde von einem abwendet, sollte ihn ein anderes Team bereits schneller ein Angebot unterbreitet haben. Das Maß der eigenen Unverbindlichkeit wächst mit der kurzsichtigen Gier nach größtmöglichem Sprung nach oben.
Sich selbst auf einem Video zu sehen, ist gruselig. Man muss sich so nehmen, wie man ist. Das Selbstbild entspricht ja selten dem Bild, das andere von einem haben oder gewinnen. Oder zumindest steht zu befürchten, dass Selbstbild und äußeres Bild nicht deckungsgleich sind. Das Leben und Miteinander funktioniert dennoch irgendwie, das ist das Tröstliche. Es gibt wohl etwas, das über die Bilder erhaben ist. Freilich ist es praktisch, einem Spieler anhand von Video-Aufnahmen schnell erklären zu können, wo bei ihm der Hase im Pfeffer liegt.
Bis dahin machen wir einfach mal so weiter.
[LL-Finale Hin / Sa. 17. Juni 2023]