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AMA / F1
SAISON 2016 / 2017

Na, geht doch!

AMA - SV ADLER

3 : 1

"Es gibt Momente im Fußball, die ausschließlich poetisch sind: es handelt sich um die Momente des "goal". Jedes goal ist immer eine Neuerung, ist immer einer Subversion des Codes, jedes goal ist Unabwendbarkeit, Blitzschlag, Verblüffung, Irreversibilität. Genau wie die poetische Aussage."

Pier Paolo Pasolini; Il calcio "è" un linguaggio con i suoi poeti e prosatori, Il Giorno, 1971


Der italienische Autor und Filmemacher Pier Paolo Pasolini stellte einst eine Poetologie des Fußballs auf und verglich das Spiel mit der Syntax der Sprache. Er unterschied zwischen prosaischem und poetischem Fußball. Sein Aufsatz erschien 1971 im Nachklang der WM in Mexiko. Der Fußball war damals noch ein anderer. Aber die Idee, das Spiel mit dem Aufbau einer Sprache in Beziehung zu setzen und Spielzüge mit einen bestimmten Sprachstil zu vergleichen, ist als solche immer noch interessant und für sich bereits eine poetische Denkweise. Denn sie verbindet zwei nicht unmittelbar miteinander assoziierte Systeme zu einem gemeinsamen erhellenden und überraschenden Denkbild.

Ich frage mich, was ist - fußballerisch betrachtet - das Äquivalent zum uneigentlichen Sprechen, zur Ironie? Gibt es so etwas wie einen doppeldeutigen Pass? Leider fällt mir kein Äquivalent ein, besser gesagt, ich muss lange nachdenken. Ich glaube, Sergio Ramos von Real Madrid beherrscht das Stilmittel der Ironie im Fußball ganz gut. Die Art, wie er anderen den Ball abjagt, wie er im Raum steht oder seine Gegner durch kleinste, wohl ausgeteilte Nicklichkeiten zu Ausrastern verführt, die er dramaturgisch perfekt wie schwere Tätlichkeiten aussehen lässt, hat etwas von giftiger, bis spöttischer Ironie. Ramos ist für mich ein großer Rhetoriker des Fußballs, er beherrscht alle Stilfiguren, wenngleich er leider keinen Gentleman-Humor besitzt so wie etwa Gianluigi Buffon. Eric Cantona hatte etwas Ritterliches, und ich glaube, deshalb war der Franzose auf der Insel auch so beliebt! CR7 ist für mich ein poetischer Schöngeist, und Messi gleicht dem jungen Rimbaud.

Die Doppeldeutigkeit von Sprache ist situationsbedingt und kontextabhängig. Sie entsteht erst bei entsprechender Ausrichtung der Empfangsantennen. So kann es gut sein, dass jemand etwas Doppeldeutiges sagt, ohne es selber zu bemerken. Aus solchen Konstellationen erwachsen dann in der Regel die schlimmsten Missverständnisse. Es ist wie bei einem gut gemeinten Pass, der den Mitspieler nicht erreicht, weil dieser just einen anderen Laufweg wählte als den, den der Passgeber im Sinne hatte. In einer guten, funktionierenden Mannschaft sprechen alle annähernd die gleiche Sprache und wissen immer, was mit welchem Ausdruck wie gemeint ist. Um dies zu erreichen, braucht man wahnsinnig viel Zeit und sprachliche Feinabstimmung. Diese Fähigkeit ist nicht nur eine Frage der lexikalischen Übereinkunft, sondern auch eine Frage der Grammatik und semantischen Genauigkeit: Die Pässe müssen korrekt ausgesendet und richtig empfangen werden.

Wenn es nach Pasolini gegangen wäre, hätte der Fußball sich in Richtung der Poesie entwickeln sollen. Ein Tor war für ihn eine Art Gedicht, ein poetischer Moment. Die Deutschen haben Jahrzehnte lang eine beinharte und kämpferisch engagierte Prosa gespielt, die technisch versierten Brasilianer dagegen waren Dichter. Ich frage mich oft, mit welchem Autor oder mit welcher Literatur man die zeitgenössische Spielweise eines FC Bayern vergleichen könnte? Ich würde auch gern einmal einen Fußball sehen, der dem syntaktischen Sprachstil eines Heinrich von Kleist oder besser noch: dem elaborierten Stil eines Marcel Proust gleicht. Den Ballbesitzfußball könnte man fälschlicherweise damit assoziieren, aber bei genauer Betrachtung wirkt er dann doch eher wie eine rhythmisierte Kurzsatzprosa mit wunderbaren poetischen Blitzlichtern. Der Norweger Tomas Espedal bietet für mich derzeit den interessantesten Fußball. Ich würde mir wünschen, dass sich eine europäische Spitzenmannschaft seines Sprachstils annähme und ihn umsetzte, am liebsten eine Mannschaft mit proletarischer Herkunft, ohne Scheich, Oligarch und galaktische Steuersünder.

Der internationale Fußball muss ohnehin aufpassen, dass er nicht zu einer billigen Werbe-Sprache verkommt. Auch wenn die großen Verbände emsig darum bemüht sind, dem Fußball mehr intellektuelle Frische und poetische Eleganz zu verschaffen, am Ende verfolgen sie doch nur eine kommerzielle und fadenscheinige Strategie, sie kreieren Massengeschmack und setzten auf modische Layouts und eingängige Schriften. Der Profi-Fußball als solches verliert immer mehr von seiner eigentlichen Poesie. Zum Glück aber nicht der Kinderfußball!

Im Kinderfußball ist noch vieles offen, hier werden schönste Sprachfetzen, kleinste überraschende Sätze gespielt, die Sprache ist wild, ungeordnet und manchmal unfreiwillig erhellend, nahezu dadaistisch schön, so wie bei unserem dritten Treffer gegen den SV Adler, als Ruben ein erinnerungswürdiges Pastiche des Thomas Müller-WM-2014-Treffers gegen Portugal auf den Körte gelang, zwar nicht ganz so ausgefuchst, aber deshalb nicht weniger schön, ein kunstvolles Blocken des Verteidigers, dessen Befreiungsschlag als umgelenkte wundersame Bogenlampe mit herrlich langer Flugbahn über den Torhüter hinweg im langen Eck landete.

Freilich zu viel Surrealismus ist dann auch nicht immer gut, und so wünschen sich Trainer im Kinderfußball ab einem bestimmten Moment auch eine einigermaßen korrekte Schreibweise, aus der sich dann wiederum die schönen poetischen Momente entwickeln können, von denen wir heute schon wieder einige im Ansatz erleben konnten. Der Sieg war hochverdient, auch wenn der Gegner in der zweiten Halbzeit beflissen bewies, dass in unserem Spiel noch einiges zu lektorieren ist. Aber deshalb trainieren wir ja so fleißig und üben und üben und geben nicht auf, egal, was passiert und wohin sich das Blatt auch wendet. Und so, wie es für jeden Fußballer wichtig ist, täglich mit dem Ball zu jonglieren, so wollen wir auch in diesem Blog weiter daran arbeiten, möglichst fair, verständnisvoll und allgemeinverständlich zu schreiben, ohne dass eine literarisch geformte, polyphone oder ironische Sprechweise damit gleich ausgeschlossen sein muss.

Im übrigen war dies das letzte Ligaspiel der Rückrunde, die wir mit nur einer Niederlage, einem Unentschieden und sechs Siegen absolut überzeugend und mitreissend abgeschlossen haben.

[17. Spieltag / 24. Juni 2017]


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3:1 (2:0)
1x Fynn, 1x Luca, 1x Ruben
Es spielten: Samy, Fynn, Levin, Luca, Kolja, Timo, Ion, Oskar, Ruben, Julius F.


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