AMA U15 - NFC Rotweiß U15
10 : 2
"Die Menschen sind so notwendig verrückt, dass nicht verrückt sein nur hieße, verrückt sein nach einer anderen Art von Verrücktheit."
(Blaise Pascal)
Bislang dachte ich immer, Monsterergebnisse wären ein Phänomen des Kleinfeldes. Nun muss ich eingestehen, dass das Großfeld noch ganz andere Sportmutationen bereit hält. In was für eine Liga sind wir da geraten? Erster Spieltag und gleich zwei Ergebnisse, die mich perplex und fassungslos zurücklassen. Einmal ein 30:0 und ein anderes mal ein 0:24 – was ist denn da los?
Leider kenne ich die weitgehend im Osten der Stadt angesiedelten Teams nicht gut genug, um mir ein klares Bild von dieser Staffel zu machen. Wir sind ihnen bis auf wenige Ausnahmen noch nie begegnet. Neidvoll äuge ich hinüber zur Landesklasse, reibe mir zwar auch dort die Augen, da Union zu Hause gegen Viktoria 89 verliert und Hertha 03 vom Berliner SC klar besiegt wird. Aber diese Ergebnisse kann ich noch ganz gut nachvollziehen, sie entsprechen ungefähr dem, was ich über diese Teams weiß und wie solche Ergebnisse zustande kommen können. Es sind keine frappierenden Ausreißer dabei. Doch wie um Gottes Willen soll ich mir ein Dreißig zu Null zwischen Askania Coepenick und MSV Normannia vorstellen? Standen da überhaupt zwei vollständige Teams auf dem Platz? Oder ist die siegreiche Mannschaft gar derart on the top und uneinholbar stark? Vielleicht haben auch beide Teams auf das gleiche Tor gespielt, wer weiß?
Schwer vorstellbar jedenfalls, dass das eine Team derart überfliegt und dass das andere derart unterirdisch buddelt. Aber das Ergebnis wird sicher kein Eingabefehler sein. Alle 2,33 Minuten ein Treffer – das ist schon eher Wahnsinn als Fußball. Es scheint, als hätte die Coepenicker den Ball nach jedem Treffer rasant schnell aus dem Netz gefischt und wären mit ihm förmlich zum Mittelpunkt gesprintet, nur um bloß keine wertvollen Sekunden zu verschenken. Als taktisches Mittel hätte man der Normannia wiederum spätestens zur Halbzeitpause empfehlen sollen, zu jedem Anstoß in guter alter Brennballmanier den Ball einfach nur direkt und möglichst weit ins gegnerische Seitenaus zu kloppen, um ein paar verzögernde Sekunden herauszuholen. Noch besser wäre es freilich gewesen, sie wären gar nicht erst angetreten. Dann hätte es nur eine symbolische Wertung des Spiels gegeben mit nicht mehr als sechs Gegentreffern. Was kann oder soll man als unterlegene oder siegreiche Mannschaft aus solcher einer Partie lernen?
Mir scheint, wir haben es wieder mit dem Klassiker zu tun: Mit der grandiosen Idiotie der Vererbungsligen im Berliner Fußballverband. Extrem unterschiedlich starke und veranlagte Jahrgänge in den Vereinen erleiden den Vererbungsmakel eines ungünstigen Verhältnisses zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Was im zivilen Leben noch funktionieren mag, weil es um traditionell unhinterfragte Besitzverhältnisse geht, avanciert im Sport zur freimütigen Verrücktheit – im wahrsten Sinne des Wortes wird hier der Unterschied von Schein und Sein mit einem einzigen Spiel bloßgelegt. Ich verstehe nicht, wie man Schafe mit Wölfen gemeinsam auf eine Wiese stellen kann, ohne sich die Frage zu stellen, ob das überhaupt gut gehen kann.
Nun gut, hier passt entweder ein Team nicht in diese Liga, und nimmt man das andere Monsterergebnis hinzu, sind es vielleicht schon zwei Teams. Mir schwant, das wird noch ein lustiges Augenreiben Woche für Woche. Und wie steht unser eigenes Ergebnis im Vergleich dazu? Keine Ahnung, ich kann nur von unserem Spiel, nicht von unserem Ergebnis ausgehen. Das war schon insgesamt recht ordentlich (von zwei vergessenen Paar Schuhen abgesehen), aber auch irgendwie nicht repräsentativ, denn allzu viel haben uns unsere Freunde von NFC Rotweiß nicht abverlangt.
Überhaupt stand das Spiel unter dem Einfluss eines ausgedünnten Spielerkaders auf beiden Seiten. Bei uns vor allem krankheitsbedingt und verursacht durch eine nun durch die Reihen der Teenies wütende Impforgie, die uns Vater Staat in Kooperation mit der STIKO angeraten haben. Interessant vor allem deshalb, weil es weite Interpretationsspielräume der Medizin hinsichtlich der angeratenen Sportpause nach der Impfung gibt. Das Einzige, das da weiterhin ins Bild passt, ist der unverbrüchliche Spreizschritt weit auseinander driftender Aussagen sogenannter Fachmenschen, sprich der sehr heterogenen Ärzt*innenschaft: Von zwei bis zu vierzehn Tagen Sportpause wird da im Grunde alles angeboten. Fast schon ein Fall für Check24!
Kann natürlich sein, dass Betreffende die genauen Angaben der Medizin einfach mal für sich interpretieren. Fakt ist, mit dicker Birne und wackligen Beinen oder überhaupt einem Anzeichen von körperlichem Unwohlsein sollte wohl niemand Sport treiben! Inwieweit nun aber kollektiv Herzmuskel-Entzündungen bei den Geimpften nach Erst- oder Zweitimpfung auftreten, die sich nicht an die gebotenen Extrem-Sportpausen halten, mag man wohl erst mit einiger zeitlicher Verzögerung herausfinden. Zumindest in Deutschland ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste - wir kennen uns gut aus mit wertvollen Erbstücken.
Ich weiß zumindest aus eigener Erfahrung, dass aus versicherungstechnischen Gründen gern einmal zu Vorsichtsmaßnahmen geraten wird, die weit über lebenspraktische Ziele hinausschießen. Ob das gleich einem Dreißig zu Null in der Berliner Bezirksliga entspricht, mag dahin gestellt sein. Aber Erstklässlern zur Erstdiagnose einer noch nicht näher spezifizierten epileptischen Veranlagung a priori das Klettern auf Gerüste und Bäume und jegliches Fahrradfahren im Straßenverkehr auf Lebenszeit zu verbieten, halte ich für nicht weniger übertrieben und im Grunde sogar schädigender als die vorrangig dem eigenen Versicherungsschutz dienenden Vorsichtmaßnahme eines behandelnden Facharztes.
„Solange alles gut geht!“, wird man zurecht einwenden.
„Ja, aber wer weiß schon, an welcher Ecke das Schicksal auf einen wartet?“
Wenn ich mich so umschaue auf der Welt - im Augenblick - habe ich nicht das Gefühl, dass die versammelten Experten der meisten versammelten Disziplinen (insbesondere der regierenden) noch wissen, was überhaupt eine Ecke ist. Vor langer Zeit schrieb ich mal eine Erzählung mit dem Titel: "Ich bog um die Ecke". Es ging darin im weitesten Sinne darum, was passiert und wie es sich anfühlt, wenn man um eine altbekannte Ecke biegt, hinter der plötzlich alles komplett anders aussieht als gewohnt, ja, man biegt um diese Ecke und steht mit einem Mal in einer komplett anderen Welt. Ein bisschen fühle ich mich wieder so, auch wenn das Gefühl von damals, als ich die Geschichte schrieb, eine räumliche Konstellation betraf. Heute ist es eher eine zeitliche Zäsur, für die die Ecke steht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Menschen in hundert Jahren auf dieses Jahrzehnt blicken werden als etwas, das einem völlig verrückten Dreißig zu Null entspricht.
Ich hoffe natürlich, dass es dann immer noch Kinder und Jugendliche gibt, die auf Bäume klettern und auf dem Fahrrad zu lokalen Fußballspielen radeln.
[1. Spieltag / Sa. 21. August 2021]