TAs U14 - AMA U15
3 : 5
Für mich im Grunde eine Spielort-Premiere, dieser früh-abendliche Test bei Tasmania, obwohl ich dort bereits vor Jahren einmal als Zuschauer einem Match zwischen einer lose befreundeten Filmkritiker-Elf und einer Neuköllner Filmschaffenden-Auswahl beiwohnte, die, wenn ich mich richtig erinnere, knapp zu Gunsten der Filmschaffenden ausging. Damals, vor etwa 15 Jahren, erlebte ich einen Christian Petzold auf dem Platz, der so ganz anders wirkte als seine Filme, laut, ungestüm, schnell erregbar und voller harschen Temperaments – da konnte ich lernen, wie das eine Element dem anderen zuarbeitet und sich ins kreative Verhältnis setzt. Um mich richtig zu verstehen, ich mag Petzolds Filme sehr, aber ob ich ihn damals gern als Mitspieler gehabt hätte?
Die Anlage neben dem Wilden Flugfeldosten hat etwas von einem aus der Zeit gefallenen Lego-Setzkasten für Vorschulkinder. Alles ist symmetrisch angelegt, ohne raffiniert zu sein. Dem oder den Architekten gebührt ein Sonderpreis für ödes 70er-Jahre-Stadtentwicklungs-Design: Ein hoher, lichter, aber viel zu mächtiger Baukörper mit pseudo-Escherschen Treppen, endlosen Fluren, aber leider viel zu kleinen Umkleidekabinen. Davor ein riesiger Parkplatz, aber nicht mal drei solide Bügel für Fahrräder. Nur postmoderne Schulen oder Kindergärten kommen einem da in den Sinn – auch sie formvollendete Missachtungen goldener Bauhaus-Regeln. Es tut mir leid, dass ich hier neuerdings derart abdrifte und immer wieder salbadere, aber mir steckt wohl noch mein letzter Auftrag zur vermeintlichen demokratischen Kunst in den Knochen. Irgendwo muss ich mit meinem inneren Petzold hin. Kicken geht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so gut, so muss eben dieser Spielplatz herhalten.
Hinter dem Gebäude das grüne Tal der Rache. Ich weiß nicht, warum ich den Stadionplatz so nenne, er könnte ja auch ein Tal der Wunder sein. Aber irgendwie hat dieser Rasenplatz etwas von einer Arena, die ursprünglich nicht als Arena gedacht worden ist. So nackt und ohne Zuschauer wirkte sie auf mich gar wie ein Dachs mit zu eng stehenden Augen. Man müsste das Ganze sicherlich mal unter vollen Rängen erleben, dann dürfte sich die Anmutung sicher in etwas Buntes und Atmosphärisches auflösen. So aber kam mir der Platz, auf dem die 1. Herren gerade trainierten, wie ein zur Sportarena umgewandelter Hofgang oder ein ehemaliger, nun begrünter Exerzierplatz vor. Der Eindruck muss sicher vom klobigen Vorbau, den Zäunen und dem Tiefergelegten des Platzes hergerührt haben.
Vielleicht war ich auch einfach nur überrascht und verwirrt von den traurigen Teppichen der beiden seitlich und terrassiert angelegten Kunstrasenplätze oder dem Umstand, dass ich lange nach meiner Ankunft nicht wusste, ob das angesetzte Spiel überhaupt stattfinden würde. Hatte ich mich im Datum geirrt? Diese Teppichform kenne ich übrigens nur zu gut, unser Zülle hatte jahrelang den gleichen Belag. Er war das reinste grüne Fusselmonster, von dem heute noch Reste in den Tiefen des Kleiderschranks umherwirbeln.
Es geht mir, das betone ich an dieser Stelle, nicht darum, irgendwen oder irgendwas schlecht zu machen, denn wer kann sich schon seine Spielstätte aussuchen in einer Stadt wie Berlin? Nein, Tasmania ist ein absolut ehrenwerter Traditionsverein und guter Freund und Nachbar von uns. Mag die Gangart gelegentlich eine andere sein, aber sie ist auf ihre Weise immer authentisch, auch das mag ich. Es wäre viel schlimmer, wenn wir ständig gegen uns selbst spielen müssten – im übertragenen Sinne könnte es zum notorischen Fahrradstau auf der zur Fahrradstraße umgewandelten Körtestraße kommen. Um mich auch hier richtig zu verstehen: Ich bin ein absoluter Freund des Fahrrads und der Fahrradstraßen, schon immer gewesen, aber die neue radelnde Bewegung als solche ist mir, eben weil sie erst mit so schrecklicher Verspätung kommt, eher suspekt, vor allem in Gestalt jener letztlich auch nur Strom fressenden Elektroräder. Das hat doch nichts mit Bewegung und CO2-Neutralität zu tun!
Dass ich hier übrigens heillos versuche, eine gewisse motivische und inhaltlich fragwürdige Asymmetrie zu einem harmonischen Ganzen zu fügen, was mir kaum gelingen dürfte, ist auch eher dem Spiel und seinem Verlauf geschuldet als der politisch-gesellschaftlichen Schieflage. Form follows match: Zwei derart komplett unterschiedliche Halbzeiten, die zu einem Gesamtergebnis zusammenkommen müssen, ohne dabei in zwei brachiale Gegensätze auseinander zu fallen, habe ich sehr selten erlebt.
Tasmania ließ im Grunde zwei Mannschaften auflaufen. Wir bekamen aus bekanntlichen Impf- und Abwanderungsgründen gerade mal eine zusammen. So saß der erste Anzug von TAS schon ziemlich gut und schneidig und ließ uns insbesondere bei seinen schnellen Vorstößen in die Tiefe sehr alt aussehen, sodass der deutliche Pausenrückstand durchaus gerechtfertigt war. Wir hatten zwar die eine oder andere gute Möglichkeit, spielten auch durchaus nicht schlecht, blieben aber viel zu inkonsequent sowohl vor dem fremden als auch vor dem eigenen Tor.
Zur zweiten Halbzeit dann also der zweite Tasmania-Anzug, und auch wenn er versuchte, sehr geschmeidig von der einen zur anderen Seite zu verlagern, so liefen wir ihm doch spätestens beim ersten Versuch, in die Tiefe zu spielen, die Bälle konsequent ab. Wir standen hinten sicherer und erhöhten alsbald den Druck nach vorne und nutzten wiederum unsere Torchancen viel besser, weshalb wir den Pausenrückstand schließlich in symmetrischer Perfektion in ein Endergebnis-Vorsprung umwandeln konnten.
Der Schiedsrichter hielt zumindest mich über das ganze Spiel bei guter Laune mit seinem durchweg stringenten, wenn auch leicht verschobenen Blick auf die Wirklichkeit. Da sich seine Wahrnehmung jedoch kontinuierlich über zwei Halbzeiten zu einem im Grunde äußerst interessanten Wahrnehmungsdispositif verdichtete, gilt auch ihm an dieser Stelle mein ausdrückliches Kompliment.
Zu keiner Situation war ich mir sicher, ob er nicht doch wieder etwas ganz anderes oder eben dieses auf besondere Weise gesehen hatte, weshalb er mich zunehmend mehr und mehr als aktives Medium der Wirklichkeitserfahrung denn als Schiedsrichter faszinierte. Ja, er schien beinahe seherische Fähigkeiten zu besitzen, die mich letztlich weit mehr beeindruckten, als sie mich als Trainer einer Fußballmannschaft verunsicherten.
Ich könnte mir gut vorstellen, mit ihm einmal einen Abend plaudernd in der exakten geographischen Mitte des Flugfeldes zu verbringen, bei dem mir sicher mein gewohntes Hören und Sehen vergeht und ich am Ende das Gefühl hätte, ja, der Surrealismus ist immer noch eine wahrhaftige Alternative zu unserer ausschließlich von Vernunft und bürgerlichem Anstand durchdrungenen Gesellschaftsnorm.
Man muss sich stets dem Unvorstellbaren öffnen!
[Testspiel / Di. 24. August 2021]