AMA - FC internationale
6 : 0
"Es gibt Parallelen, die gibt es gar nicht."
Johannes B. Kerner
Je näher der Termin des Rückrundenauftaks gegen den FC Internationale rückte, desto dünner wurde der zur Verfügung stehende Kader. Zur freiwilligen dritten Trainingseinheit am Mittwoch kamen nur noch sieben Spieler, aber auch die hingen schon in den Seilen. Fieber, Halsschmerzen, Schulfreizeitdelirien, die Liste der Ausfälle wurde lang und länger. Nicht zuletzt dezimierten erneut weitere Geburtstagsfeiern die Reihen. In diesem Land scheint permanent Geburtstag gefeiert zu werden - für uns Trainer eher ein Grund zu verzweifeln. Erst am Freitag Abend nach dem Abschlusstraining, 16 Stunden vor Spielbeginn, stand der Kader endgültig fest.
Es fand sich ein Team aus neun übrig gebliebenen Spielern zusammen, das weit über unsere Erwartungen ein begeisterndes Spiel zum Rückrundenstart hinlegte und nahezu fehlerfrei mit sechs zu null Toren gewann. Der erste richtig sonnige Frühlingstag des Jahres verzauberte diesen magisch aufgelegten Auftakt zu einem erinnungswürdigen Samstagmittag, so eine Art Geburtstag aus zweiter Hand! Aber eines ist klar, so leicht und wie am Schnürchen wird es für uns nicht jedes Wochenende laufen.
Von der ersten Minute an war der Fußballgott auf unserer Seite, dieser wahrlich launische und alles andere als gerechte Demiurg, der den einen jubeln, den anderen leiden lässt. Quasi mit der ersten Balleroberung nach dem Anstoß des Gegners schenkte er uns die Führung. Im Fünfminutentakt konnten wir erhöhen. Dennoch blieb die Partie bis weit in die erste Halbzeit offen, wenngleich deutlich zu spüren war, dass wir einen super Tag erwischt hatten.
Die Abwehrreihe um Yaron stand perfekt und lieferte die Bälle sauber und präzise ans Mittelfeld ab, welches wiederum unsere einzige Spitze gut in Szene setzte. Räume wurden beherzt erobert, Bälle nicht überhastet, sondern wohl überlegt nach vorne gespielt. Ein Rädchen griff ins andere. Und wenn doch einmal ein Gegner durchbrach und auf unser Tor schoss, war da immer noch Torhüter Samy, der trotz Streptokokken eine Ruhe ausstrahlte, die sogar Steine zum Zerbrechen gebracht hätte. Unser drittes Tor bescherte uns schließlich ein sicheres Polster, auf dem wir leicht und bequem bis in die Halbzeit schwebten.
Aber dort wurde es uns prompt wieder entzogen: "Es steht null zu null, und wenn jemand glaubt, dass er jetzt einen Gang zurückschalten kann, irrt er! Wir spielen genau so weiter, wie wir aufgehört haben!" Mit dieser Redewendung stieg ich einst als A-Jugendspieler in die damals zweithöchste Spielklasse Niedersachsens auf, sie kann also nicht ganz falsch gewesen sein. Und siehe da, sie wirkt auch heute noch, dreißig Jahre später!
Das ist das Schöne am Fußball, dass sich trotz zweifelhafter Entwicklungen in Sport, Politik und Medien manches immer noch auf ganz schlichte Formeln bringen lässt. Und eigentlich möchte ich der FIFA und allen hypertrophen Funktionären oder ehemaligen Suppenkaspern noch den zweiten Standard-Kabinensatz meines damaligen Trainers zurufen: "Und denkt dran: Mit Gewalt lässt sich keine Ziege ficken!" Aber der ist freilich nicht ganz jugendfrei und sollte insbesondere nach der Böhmermann-Satire nur mit Bedacht verwendet werden.
Die politischen Entwicklungen in der Türkei und das Bizepstreffen der Provokateure in und um Europa machen mir momentan sehr zu schaffen. Zuletzt war ich schon kurz davor, aus Verzweiflung und Ratlosigkeit den einen oder anderen Vater beim Elterntraining offen und direkt zu fragen: "Hey Nuri, hey Erol, erklärt mir das bitte mal! Was hat Erdogan vor? Warum will er partout alle hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln in die gesellschaftliche Isolation treiben? Was macht das für einen Sinn? Ich verstehe es nicht? Das gemeinsame Zusammenleben ist doch so schon oft belastet genug, warum jetzt noch dieses Poltern?"
Recep Erdogan war ja bekanntlich mal Fußballer, ich weiß zwar nicht, wie gut er war und ob es zum Profi tatsächlich gereicht hätte, aber seinem Duktus nach versteht er sich bestens auf jene Form der Provokation, die ich nur vom Fußball kenne. Ab einer bestimmten Alters- und Leistungsklasse ist es gang und gäbe, den Gegner so geschickt zu trietzen und zu provozieren, dass er irgendwann ausrastet und sich zu einer Tätlichkeit hinreißen lässt.
Als Provokateur lasse ich mich dann mega-theatralisch fallen, als sei ich wer weiß wie getroffen worden. Nicht immer geht solch ein perfide herbeigeführter Ausraster in die Annalen der Geschichte ein, und nicht immer endet er in der wuchtigen Eleganz einer französischen Kopfnuss im WM-Finale. Aber wenn mich in den letzten Wochen irgendetwas daran erinnert hat, dass Erdogan einmal Fußball gespielt hat, dann seine wiederholten sprachlichen und politischen Ellenbogenschläge und Fußauftreter. Ich weiß noch, wie erwachsene Männer versuchten, mir mitten im Spiel den letzten Nerv zu rauben, indem sie sich auf meine roten Haare kaprizierten. Diese Form des Mobbings kannte ich seit der späten Kindheit nicht mehr, ich war tatsächlich perplex!
Die Sache ist die, man darf sich niemals hinreißen lassen, sondern muss einfach versuchen, sein eigenes Spiel durch zu bringen. Nur so gewinnt man!
Wir spielten also weiter, wie wir aufgehört hatten. Im Grunde absolut symmetrisch zur ersten Halbzeit. Sogar die Torschützen blieben identisch. Allerdings brachen die Internationalen nach dem vierten Treffer sichtlich ins sich zusammen und zeigten kaum noch Gegenwehr. Sonst waren sie immer für ein knappes Ergebnis und einige sehenswerte Gegentreffer gut, aber heute lief bei ihnen nicht viel zusammen. Oder andersherum: bei uns sehr viel! Aber wie gesagt, es werden andere Tage kommen, das weiß ich, und auch wir werden wieder spüren, was es bedeutet, wenn ein Gegner besser aufgelegt ist als wir selbst.
[10. Spieltag / SamsTAG, 15. MÄRZ 2017]