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AMA / F1
SAISON 2016 / 2017

Mit Glück und Können

AMA CUP TEIL 2

1. Platz

Ein einziges Tor kann die Wirklichkeit erheblich verfälschen. Hätten wir nicht dieses eine Tor gegen die Hertha 03 geschossen, wären wir nicht als Turniersieger aus der Halle gegangen. Wir wären punktgleich mit ihnen, aber mit weniger erzielten Treffern respektabler Zweiter geworden, was insgesamt immer noch eine sehr gute Leistung gewesen wäre.

Wir boten schönen und spektakulären Fußball, aber im direkten Aufeinandertreffen mit unseren Freunden aus Zehlendorf wurde eine unserer Schwächen aufgedeckt. Es gelang uns kaum, aus der eigenen Hälfte heraus ein druckvolles Spiel zu gestalten. Wir hinterließen einen nervösen Eindruck bei der Spieleröffnung. Wir gewannen zwar durch einen schönen Treffer, aber der Sieg war insgesamt ein wenig schmeichelhaft.

Unsere Defizite im Spielaufbau kommen übrigens nicht von ungefähr. Sie sind einerseits bedingt durch individuell technische Schwächen in der Ballbehandlung, andererseits ist das Team noch nicht ausreichend taktisch geschult. Hier und da fehlt es noch an spielerischem Gesamtverständnis. Bei einigen Mannschaften habe ich diese Fähigkeiten bereits besser ausgebildet gesehen. Meistens bei solchen, die nicht über herausragende Einzelspieler verfügen.

Es ist immer ein Glück und Segen, einen oder zwei hoch talentierte Spieler im Team zu haben. Aber oft genug bringen sie durch ihr außergewöhnliches Können nicht nur die gegnerischen Reihen durcheinander, sondern auch die Einheit des Teams selbst. Für uns Trainer besteht die Schwierigkeit darin, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen individueller Förderung und kollektivem Gleichmaß. Diese Talente brauchen beständig neue und zusätzliche Anreize, weil sie sehr schnell lernen. Und sie können nur dann in einer Mannschaft gedeihen, wenn ihre individuellen Fähigkeiten in einem funktionierenden, sich weiter entwickelnden Gesamtsystem aufgehoben sind. Kurz gesagt: Sie brauchen gute Mitspieler und Mitgestalter!

In kleineren Vereinen genießen sie gemäßigte Strukturen, die sich von jenen der großen Clubs unterscheiden. Ein Club wie Hertha BSC beginnt mit der Jugendarbeit erst ab der U-9. Sie unterhalten gar keine jüngeren Mannschaften. Jeder kann sich ab einem bestimmten Alter für eines der regelmäßig abgehaltenen Sichtungstreffen anmelden und seine fußballerischen und athletischen Fähigkeiten in ausgeklügelten Leistungstests vor laufenden Stoppuhr zeigen. Danach wird gegebenenfalls zum Probetraining eingeladen. Große Clubs arbeiten bewusst leistungsorientiert und suchen in jedem synthetisch zusammengestellten Team, in jedem Augenblick des Entwicklungsprozesses die perfekte Form. Sie wollen nicht nur gewinnen, sondern sie wollen Idealmaß spielen. Das wollen wir allerdings auch, nur der Weg dahin ist wohl ein anderer.

Talentierte Spieler können durch ihr spielerisches Niveau auch in kleineren Clubs einen Leistungsgedanken in Gang setzen, dazu benötigt es aber insgesamt einen guten Kader und ein entsprechendes Umfeld. In einer guten Mannschaft und einem soliden, verantwortungsvollen Gefüge aus persönlicher Nähe, fachspezifischem Wissen und zwischenmenschlicher Tiefe können sie bis zu einer bestimmten Altersklasse ganz nach vorne gelangen. Der Aufwand ist sogar geringer, denn die Wege zum Sportplatz sind meist kürzer. Aber irgendwann trennen sich dann doch die Wege: Die einen können und wollen noch weiter hinaus, die anderen würden gerne, können aber nicht höher. Das ist normal und für niemanden schlimm, es sei denn, er leidet unter erhöhtem Erwartungsdruck!

Wie oft habe ich über unser Vereinsplakat geschmunzelt: „Berliner Amateure – dein Weg zu den Profis!“ Ich weiß, dass einige das durchaus ernst meinen, ich jedoch betrachte den Slogan weiterhin als ein selbstironisches Statement. Man stelle sich ein Wahlplakat der CSU in Bayern vor - „CSU - dein Weg zu den Linken!“ Irgendwie lustig, oder? Nichts anderes verspricht unser AMA-Plakat! Wir heißen ja gerade deshalb Berliner Amateure, weil wir Amateure sind und keine Profis, auch wenn wir in manchem vielleicht besser sind als die Profis.

Nicht, dass ich nicht gerne Profi bei den Amateuren wäre, aber bislang gibt es dort für die gemeinnützige Arbeit, die viele Trainerkolleg/innen und ich leisten, nicht mal eine Aufwandsentschädigung. Ich muss keine Vereinsgebühr bezahlen, das ist schon etwas! Der Trainerjob wird mir auf andere Weise entlohnt. Ich bekomme einen grandiosen Input an zwischenmenschlichen Dramen und sportlichen Abenteuern, es ist, als würde ich Bourdieu, Camus und Gunter Gebauer an der Basis studieren. Natürlich wäre es toll, wenn der DFB mal bei der Bundesregierung Druck machen würde, um solche Ehrenamtszeiten zumindest bei der späteren Rentenermittlung mitberücksichtigen zu lassen. Aber da geht es mir wie Tausende anderer Ehrenhelfer. Wir sind nur Kanonenfutter für den sozialen Frieden. Und überhaupt: Was sagt ihr zu all den Müttern, die eure Rentenzahler groß gezogen haben und dafür Karrieren, Gehälter und Rentenpunkte aufgaben?

Karriere ist nicht alles, vor allem dann nicht, wenn der erste oder zweite Zug abgefahren ist! Erst wenn kein Zug mehr kommt, wird einem klar, wie hübsch die Gegend ist, die man nun zu Fuß zu durchwandern hat. Freiheit und Gesundheit sind wohl das Wertvollste, nicht nur in der Karriere eines Fußballers, das kann ich getrost sagen, ohne jemals Profi gewesen zu sein. Das Handgeld, das man mir als 17-Jähriger zahlte, war wohl höher als mein damaliges Taschengeld, aber was besagt das schon? Der Umstand, dass ein Körper keine Rentenversicherung besitzt und den Spaß am Sport durch eine Verletzung sogar plötzlich und unerwartet verlieren kann, macht den Fußball als Karrieremodell nicht unbedingt zu einem Erfolgsrezept. Es hat mich einige Jahre gekostet, bis ich verstanden habe, dass man verdammt viel Pech haben kann in dieser Sportart und dass dies eher der Regelfall ist als die Ausnahme.

Umso mehr halte ich daran fest, was ich die Seele des Spiels nennen möchte: Das Prinzip der Weitergabe! Sie bezieht sich nicht nur auf die phantastischen, überraschenden und ansehnlichen Fähigkeiten, einen Ball per Fuß oder Kopf von einem zum anderen laufen zu lassen, sondern vielmehr auf die kreativen Möglichkeiten, allerlei Spielzüge und körperliche Ball- und Bewegungstechniken, getragen von einer sozialen Idee, verziert von einem ästhetischen Rahmen, einer nachkommenden Generation näher zu bringen. Für mich war der Fußball immer etwas, das keine Zeit besaß, er war reine intuitive und intensive Gegenwart. Ich konnte ihn immer und jederzeit spielen, ich brauchte nur einen Ball und vielleicht noch ein schepperndes Garagentor. Aber die am längsten anhaltenden Glücksmomente erlebte ich erst in einem Team, das eine Saison lang wie aus einem Guss von Tor zu Tor eilte und am Ende in eine höhere Liga aufstieg. Und das, obwohl wir zweimal gegen unseren direkten Verfolger verloren!

Manchmal ist es eben eine irrationale Winzigkeit, die den Unterschied ausmacht und darüber entscheidet, ob man ganz oben oder nicht ganz oben steht. Und diese Winzigkeit entsteht nicht allein aus Können, sondern oft genug erwächst sie aus Glück und Zufall. Ich jedenfalls drücke jedem unserer Spieler die Daumen, dass er den Weg zu den Profis schafft! Und falls nicht, auch kein Problem: Ich kenne da noch ein paar schöne Landschaften!

[AMA CUP 2 / SONNTAG, 4. DEZEMEBR 2016]


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1. Platz

Es spielten: Jaden, Kolja, Luis, Fynn, Yaron, Luca, Levin, Julius F.

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