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AMA / B1
SAISON 2023 / 2024

Ort mit magischer Energie

SV Blau Gelb - AMA

3 : 5

Für Ortsunkundige durchaus eine Herausforderung, bei näherer Betrachtung jedoch ein sehr interessantes und geradezu abenteuerliches Gelände, auf dem wir am Mittwoch-Abend zu einem wunderschönen perfekten Spätsommer-Ligaspiel antreten durften und für unsere bisherigen Verhältnisse geradezu ausgelassen aufgeräumt aufspielten.

Die offizielle Adressangabe verlegte den Treffpunkt tatsächlich ins Nirgendwo eines weitläufiges Areals, das von mehreren Sportclubs, Sportarten und Freizeitinitiativen durchaus vielfältig neu belebt worden ist. Früher wurde hier im Vollspeed um den Kreis und um die Wette geradelt, später kamen Hunderttausende, um dem Rock`n Roll zu huldigen. Davon war allerdings zunächst kaum etwas zu spüren. Oder etwa doch?

Wenn ich irgendetwas an Berlin stets besonders gemocht habe, dann das Unfertige, Offene, nie zu Ende Gebrachte und Unverbaute, oft auch das Zerstörte oder in der Zeit dahin Gebröckelte. Die so genannten Lost Spaces, die alles andere als verlorene Orte sind oder waren. Doch langsam schrumpft Berlin für mich auf eine gesichtslose Planstadt zusammen, ähnelt mehr und mehr dem seelenlosen Zustand des ins ehemalige Tacheles eingezogenen Fotografiska. Es ist wie mit den vielen Pressebildern, auf denen Franziska Giffey permanent zu sehen ist, weil sie wieder mal etwas eröffnet oder sonst wie zu begrinsen hat - und immer trägt sie die gleiche langweilige Dutt- und Turmfrisur in adäquater Entsprechung zur Berliner Traufhöhe. Wiederum das einzige sinnvolle Platte in Berlin soll nun doch wieder aufgestockt werden. Wie kann man allen Ernstes das letzte lebende Feld-Mammut wegen ein paar neuer Mietwohungen schlachten wollen? Mobile Zwangs-Randbebauung dann auch bald auf den neu geplanten Fahrradwegen - eins Fünfzig Breite muss reichen, es kann ja nicht sein, dass Radler beim Linskabbiegen auch noch den Arm raushalten wollen! Gleich wegbretzeln mit Zehntonner und gedopter Lieferpritsche!

Ehemalige Rennbahn, ein Ort, so weitläufig und von unterschiedlichsten suburbanen Sport-Riots heimgesucht, dass ich umgehend den alten Springsteen-Spirit von 1988 aufkommen spürte, der sich dort tatsächlich noch nicht ganz verflüchtigt hat. Der Platzwart war nicht in einer gelb getünchten Bezirks-Stube mit 2.30-Meter-Decke zu finden, sondern draußen auf seinem alten Fahrrad mit bewusst vermindertem Reifendruck, um die vielen Bordsteine und Fugenspalten der Betonplattenwüste leichtgängiger zu meistern. Er wies uns in ein freistehendes unscheinbares Gebäude, das von außen betrachtet auch gut und gerne ein ehemaliges Lagerhaus hätte sein können, wahrscheinlich war es einmal eine kleine Werkhalle für die Radrennmechaniker gewesen. Oder doch etwa der stasikontrollierte Backstage-Bereich von the Boss?

Die liebevoll vor dem Eingang aufgestellte grüne Tafel mit handgeschriebener Willkommenskreide übersah ich zunächst, völlig absorbiert von der unübersichtlichen, weitläufigen Beton-Brachenlandschaft. Stattdessen steuerte ich auf eine kleine Gruppe Spieler zu, die wie eine gelangweilte Jugendgang auf den Steinplatten dölmerte und sich den Ball im Ronde zuschob. Sie entpuppte sich als unser zentrales Mittelfeld. Im Minutentakt gingen nun die Verspätungsmeldungen ein. Erhöhter Verkehr auf der Prenzelallee, Tramschleiche. Die ersten Spieler hatten sich bereits umgezogen und sich auf den dreihundert Meter weiten Wanderweg zur Spielstätte aufgemacht. Zeit, um mich auf das Geländer vor dem Umkleidehaus zu setzen und das Bein schwingen zu lassen, den Blick auf ein von Barrieren umstelltes Asphaltfeld gerichtet, auf dem ein barbusiger Vater mit seinem Sohn Rollhockey spielte. Alles an diesem aufgelassenen Ort roch nach Modefotoshooting und nächtlichem Benzinamateursporttreffen. Dann bereits die nächste Anrufwelle: „Wir stehen hier an einer großen Rutsche neben einem Kinderhüpfparadies, wo müssen wir denn hin?“

Auch der Schiedsrichter traf nun ein, auch er ein Kreuzberger, ich erklärte ihm: „Der Typ da hinten auf dem Fahrrad, das ist der Platzwart, und der hat irgendwo noch weiter hinten in irgendeiner Halle angeblich einen Extra-Raum zum Umziehen für dich, probier´s mal aus!“ Nach und nach nun die volle Mannschaftsstärke und zwei mit Taschen und Zeugs prall gefüllte Kabinen, ich ging ebenfalls los, überließ die Schlüssel den zuletzt Gekommenen und näherte mich dem fernen Spielfeld, einem schönen sattgrünen Kunstrasen mit halblangem Halm, auf dem zwei Jugendteams trainierten, daneben ein Platz für Hockey, auf dem sich die ersten Spieler von uns bereits bewegten. Kurz zuvor hatte mir der Platzwart noch vom Fahrrad aus zugerufen, „Aufwärmen auf dem Naturrasen, wenn ihr wollt!“ Ja, gerne, aber wo war der nun wieder? Der Gegner schien es zu wissen, verschwand auf klandestine Weise in einem Dickicht, mir war es nicht ganz geheuer. War mit „Rasen“ der Baseballplatz hinter dem Erdwall gemeint?

Also beließ ich es bequemer Weise bei dem schmalen Streifen Hockeyfeld, dass uns die Freunde des kleinen harten Balls unprätentiös zum Warmpassen überlassen hatten - die Fußballer dagegen, obwohl großflächig ihre Platzhälften ungenutzt lassend und quälend statische Trainingsmethoden zelebrierend, hatten uns stabsfeldwebelmäßig vom Platz befohlen. So viel zum Thema Bereitschaft zur Randbebauung jenseits des S-Bahnrings, einen wunderschönen guten Abend auch!

Ein wenig zwickte es mich, dass wir so disparat und disloziert zum Spiel angerückt waren und nun kaum 30 Minuten vor Anpfiff immer noch keine klare Struktur bilden konnten. Aber als ich sah, dass sich die Jungs sehr gewissenhaft und selbstständig um ihr Warm-Up kümmerten, der Ball gut lief bei ihren schmalen Passen-Gehen-Staffetten, ließ ich sie einfach machen. Und tatsächlich, kaum wurde das Spiel mit dem letzten Glühen der Abendsonne angepfiffen, dauerte es 20 Sekunden bis ein erster gefährlicher Torschuss knapp am gegnerischen Gehäuse vorbei pfiff. Was für ein Blitzstart! Irgendetwas an dem Chaos musste ungemein angeregt gewirkt haben, und ich nehme an, es war der Ort selbst, der zwar noch in der Stadt lag, aber irgendwie auch schon woanders. Ein Ort mit magischer Energie halt.

Die Sonne war gerade noch so am Horizont zu erahnen, als der erste Treffer fiel, nach knackigen vier Minuten, die Trainerkollegen hatten die Bank noch nicht erreicht, so fielen erster Jubel und Begrüßung in eins. Eine Umstellung im Mittelfeld hatte enormen Schwung ins Angriffsspiel gebracht, wir kombinierten fließend und überbrückten das Mittelfeld sehr schnell, konnten die Spitzen immer wieder gut in Szene setzen, und so fielen die Treffer nahezu wie von selbst, leicht und geschmeidig herausgespielt wie bei einem soliden Reißverschluss, zipp, zapp. Vier zu Null nach zwanzig Minuten, das war schon mehr als nur eine gute Tagesform, das war ein Spiel, gezogen wie am Schnürchen.

Viel früher als gewohnt konnten wir nun wechseln und andere zum Zuge kommen lassen beziehungsweise in die Verantwortung nehmen, und auch wenn die Torquelle nun versiegte, blieben wir dennoch die spielbestimmende Mannschaft. Aber dem Gegner gebührte Lob, denn er blieb völlig unbeeindruckt vom klaren Rückstand und machte einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Er gab in keinster Weise auf, dribbelte energisch und tief in unseren Sechzehner hinein, weshalb ihm am Ende auch zurecht drei Treffer aufs Konto gutgeschrieben wurden, uns allerdings bis zum übernächsten Tag eines zu wenig.

So gesehen verloren wir sogar die zweite Halbzeit, hatten aber die erste so rauschhaft gespielt und dominiert, sodass die zwei leicht vermeidbaren Gegentreffer zum Ende der Partie eher ein Schönheitsflecken bildeten, der dem Zauber dieses Abends nichts anhaben konnte. Selbst die zwei übel juckenden Bisse der Kriebelmücke an meiner Wade nahm ich gelassen hin. Erstens weil ich diese Bisse schon vom Zülle und Körte kenne. Uns zweitens, weil sie mir den Abend und das Spiel in den nächsten Tagen durchaus frisch und lebendig hielten. Alle, die zu diesem Spiel mit hinaus gekommen waren, wurden zweifelsfrei um eine schöne und lebendige Erinnerung bereichert. Und dann war da ja noch dieser zwölfminütige Auftritt eines ehemaligen AMA-Jugendspielers auf dem heiligen Rasen von Bernabéu - also galaktischer hätte der Abend kaum enden können.

[3. Spieltag / Mi. 20. September 2023]


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3:5 (1:4)
( 2x John, 1x Eddie, 1x Levi, 1x Julien )
Kader: Jamal, Noah, Levi, Julius, Jaden, John, Eddie, Julien, Luca, Levin, Arda, Timm, Ege, Efe, Niklas, Hassan, Luis.




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