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AMA / C1
SAISON 2022 / 2023

Das Rennen beginnt

Berolina Mitte U15 - AMA U15

1 : 7

Überwachen und Strafen

In dem Panoptikum meiner offenen existentiellen Fragen rangieren abstruse Strafgelder für idiotische Versäumnisse oder Zuwiderhandlungen gegen noch idiotischere Regelwerke ganz weit oben.

Im letzten Frühjahr schaffte ich es endlich, einen relativ gut mit dem Fahrrad zu erreichenden Bezirksamtstermin zu ergattern, um meinen im vorletzten Spätsommer abgelaufenen Personalausweis erneuern zu lassen. Er war seit gut einem halben Jahr abgelaufen. Mir war zu dem Zeitpunkt nicht bewusst, dass ich mit der Überschreitung der Ablaufrist einer Rechtspflicht zuwider tat, nach der ein jeder Bürger einen aktuell „gültigen“ Ausweis zu besitzen habe. Fünf Monate nach dem Erhalt meines neuen Ausweises bekam ich gelbe Post von meinem Bezirksamt. Es hatte mir zwar zuvor keinen kurzfristigen Online-Termin angeboten, forderte nun aber recht forsch eine Stellungnahme ein, weshalb ich neun Monate lang ohne gültigen Personalausweis umher gegeistert sei.

Ich versuchte die Situation darzulegen, entschuldigte mich für mein Versäumnis und den mir leider nur zufällig zu Bewusstsein gekommenen Umstand der Fristüberschreitung. Ich begründe diesen damit, meinen Ausweis eher selten zu benutzen, auch wenn ich ihn stets brav mit mir führe, weshalb mir das Ablaufen nicht aufgefallen sei. Ich wies zudem darauf hin, dass es nach der zufälligen Entdeckung des überschrittenen Ablaufdatums nicht leicht gewesen sei, über das Online-Buchungssystem einen zeitnahen Termin diesseits des S-Bahnringes zu ergattern, um ihn per Fahrrad wahrzunehmen, um mich nicht unnötig einer zu der Zeit noch stark virulenten Corona-Ausbreitung auszusetzen in geschlossenen Räumen der Wagen von BVG und S-Bahn.

Leider half alles Erklären und Besserungsversprechen nichts. Sieben Monate nach der Ausweiserneuerung bekam ich nun schließlich den Bußgeldbescheid zugestellt, natürlich in Gelb. Mein Versäumnis kostet mich insgesamt 93,50 Euro, worüber notorische Falschparker und motorische Geschwindigkeitsübertreter nur müde lächeln werden. Mich aber schmerzt der Betrag, vor allem moralisch, aber auch, weil mir mein Zahnarzt bei der letzten Visite mitteilte, dass eine meiner beiden Teilkronen leider etwas zu früh den Geist aufgegeben habe.

Noch als ich darüber nachsann, ob ich diesen verspäteten Bußgeldbescheid in zeitliche Relation zu meiner eigenen verspäteten Personalausweis-Erneuerung setzen und entsprechend ein angemessenes Gegenbußgeld einfordern könnte, flatterte bereits der nächste Bußgeldbeleg in meinen Email-Account. Dieses Mal aber nur indirekt an mich adressiert, da ich zwar der Verursacher eines formalen Vergehens war, mein Fußball-Verein aber für den Schaden und das Strafgeld aufgekommen war. Ich hatte in einem Ligaspiel versäumt, den „nichtneutralen Schiedsrichterassistenten“ anzugeben. Das Versäumnis kostete zum Glück nur 5 Euro, aber Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist, und moralisch ging es mir erneut an den Kragen.

Wer oder was ist der „nichtneutrale Schiedsrichterassistent“?

Dass ist jene Person, die kurz vor Spielbeginn dazu verdonnert wird, an der Seitenlinie die Fahne zu schwenken, auch wenn der Haupt-Schiedsrichter in den seltensten Fällen auf diese ehrenamtlichen Signal-Bewegungen reagiert. Der nichtneutrale Schiedsrichterassistent darf ohnehin nur anzeigen, ob ein Ball die Seitenlinie überschreitet. Ein Abseits festzustellen, obliegt ihm nicht. Diese Person muss vor jedem Spiel im digitalen System eingetragen sein, selbst wenn niemand für das Amt gefunden wird. Im Zweifelsfall ist man als Trainer selbst diese Person, beziehungsweise muss sich eintragen, als wenn man nicht schon genug um die Ohren hätte. Diejenigen Kollegen, die ob des existentiellen Zwiespalts einer nicht vorhandenen Person am Spielfeldrand skeptisch werden, so wie ich, und daher eine fiktive Person angegeben, können per Satzung ebenso mit einer 5-Euro-Strafe belegt werden.

Sagen wir es mal so, man kann das System überlisten! Wer Mickey Mouse oder Spidermann angibt, sollte sich nicht wundern, wenn der menschliche Prüfer des Spielberichts am Ende eine Ordnungsstrafe verhängt, selbst wenn die Angabe ungefähr der Wirklichkeit entsprechen könnte. Ich bevorzugte lange Zeit einen gewissen Ferry Plaid einzutragen, dem ich zumindest ideell eine holländische Identität attestierte. Letztes Mal wählte ich der Abwechslung halber einen Joseph Kah, da ich etwas Abwechslung suchte. Vielleicht lasse ich nächstes Mal Willi Raskolnikow antreten, nur um herauszufinden, wie weit der Bogen gespannt werden kann.

Auf meine Anfragen, warum diese idiotische und völlig nutzlose Eingabe zu machen sei und bei Nichteinhaltung sogar zu einem Strafgeld führe, wurde mir geantwortet, die Vereine selbst hätten diese Regelung auf ihren Verbandstagen beschlossen und das Strafgeld festgesetzt, was mich durchaus stutzig machte, denn über die Saison kommen schon ein paar Euros zusammen, wie mir mein Vereins-Präsident versicherte. Ein Verbandsoffizie(lle)r verriet mir sogar, dass der Großteil der Strafgelder eben durch dieses Nichteintragen des nichtneutralen Schiedsrichterassistenten zustande käme, es gibt nämlich auch 3 mal so hohe Strafen für andere Versäumnisse wie zum Beispiel das Nicht-Freigeben des eigenen Teams oder des Spielberichts als solchen.

Das digitale System, dass die Nicht/Eintragung erfasst, tut ihr übriges, um eben diesen Fall zustande kommen zu lassen. Man muss in der digitalen Maske zunächst einen Button anklicken, um überhaupt einen fiktiven oder echten Namen eintragen zu können sowie dessen Vereinszugehörigkeit. Daraufhin kann man in einem zweiten Schritt diese Eintragung speichern lassen, nicht aber ohne in einem dritten Schritt vom System seltsam beunruhigend gefragt zu werden: „Wollen sie die Änderungen im Schiedsrichterbereich wirklich durchführen?“ Wo ein jeder User normalerweise direkt zusammenzuckt und vorsichtshalber negiert, gilt hier: „Auf jeden Fall!“ Die Änderungen bitte sofort speichern, sonst werden gleich wieder 5 Euro fällig.

Ich weiß, dass die Wirklichkeit wahnsinnig weit von der Realität entfernt liegt, sobald Menschen versuchen, ein allgemeingültiges Regelwerk und eine Systematik aufzustellen, die sämtliche im Leben eintretende Fälle vorwegnehmen und rechtssicher präjudizieren sollen. Gleichwohl halte ich ein gut ausformuliertes Rechtssystem für unverzichtbar, auch wenn es im Grunde zur Hälfte wohl nur sich selbst dient und in Fragen der Gerechtigkeit zu den eigenwilligsten Ergebnissen kommt, die selbst Kafkas Literatur sprengen. Recht und Gerechtigkeit liegen nun mal so weit auseinander wie Fiktion und Wahrheit.

Wahr ist, ich werde meine Bußgeld-Strafe selbstverständlich bezahlen, aber im nun hochmotivierten und sensibiliserten Gegenzug vielleicht endlich mal das mir seit Jahren rechtlich zustehende Wohngeld als Mietzuschuss beantragen. Kann natürlich sein, dass ich ins Feld des Antragstellers idiotischerweise Willi Raskolnikow eintrage.

Zum Spiel

Der Platz hinter der Auguststraße ist ein kleines Gallien inmitten des römisch besetzten Gebiets des New Berlin Modern Urban Loftings. Nichts gegen die Luxuswohnungen auf unserem Fichtebunker, aber bei uns sind die Logen wie bei Hertha BSC noch recht weit vom Spielfeldrand entfernt. Der Platz in der kleinen Hamburger Straße dagegen ist Dortmund. Je spektakulärer das Loft, desto näher liegt es am Spielfeldrand. Eine kapitale Brandmauer direkt hinter dem Osttor, die nahezu die gesamte Spielfeldbreite einnimmt, mahnt noch an andere Zeiten der Berliner Stadtgeschichte. Zum Glück wird hier nur mit Fußbällen geschossen und dies auch nach Möglichkeit an dem Menschen zwischen Pfosten und Fangzaun vorbei.

Der Platz war oder ist, das weiß ich nicht exakt, früher zumindest die Heimstätte der sogenannten deutschen Autoren Nationalmannschaft, auch Autonama genannt. Früher habe ich mir mal ein paar Spiele von ihnen angesehen. Sie spielten nicht schlecht, sie kombinierten, sie kommunizierten, sie hinterließen einen ambitionierten und gefälligen Eindruck. Am besten gefiel mir Wolfram Eilenberger, dessen Spielweise herausfiel. Er hatte damals schon einen soliden Bauchansatz, agierte aber wie ein feuriger Kugelblitz mit viel Verve und großem Verstand. Ich sehe ihn noch eine scharfe Ecke aus dem Winkel zwischen Brandmauer und Luxussanierung schlagen, kaum zehn Meter von mir an der Barriere entfernt. Es fühlte sich ein bisschen so wie früher an, 1989, sechste Liga und so. Heute gibt er den Philosophen und Grandseigneur, auch wenn mir seine Spielweise damals verriet, dass er durchaus eine soziologische Vergangenheit besitzt.

Neuner Rinke spielte sich wie immer wie der große Leader auf, wenngleich er jeden dritten Ball verstolperte. Leider hatte er einmal auf einem Flug von oder nach Griechenland beim Aussteigen zu demonstrativ den Kopf nach meiner Freundin umgedreht, als dass ich dieses Pinkeln im fremden Revier hätte übersehen können, auch wenn es meiner Freundin natürlich schmeichelte. Ich bin ihm überhaupt nicht böse und lese seine TS-Texte stets neugierig. Eine Zeitlang verfolgte er mich sogar im Kiez und geisterte durch meine nachgelassenen Schriften.

Bei einem prominenten Match gegen israelische Autoren im Hertha-Amateur-Stadion war auch Sönke Wortmann dabei, der meines Erachtens einmal Oberliga Westfalen gespielt hatte. Man sah seine Klasse, wenngleich er nur noch als Routinier agierte, quasi aus dem Fußgelenk wirkungsvolle Pässe in die Tiefe schob. Er erinnerte mich krass an Bernd Schuster, wie aus dieser Rubrik: Zwillinge, bei der Geburt getrennt.

Leider ist der Rasen auf dem Sportplatz hinter der Auguststraße völlig hinüber. Unser alter Zülle spendierte auf seine alten Tage immerhin noch kiloweise giftgrüne Fussel, die sich auf alles niedersetzen, was nur in seine Nähe kam. Das gelingt dem Platz in der Auguststraße nicht mehr, er ist im Grunde ratzekahl gelaufen, ein Teppich aus der Kategorie Baumarkt 4.99 Euro. Er erinnert mich fatal an meine Zeiten als Aufbauinspektor bei der Hannoverschen Messe-AG. Nichts dämpft mehr den Fuß und die Gelenke, man spürt direkt den nackten Betongrund. Als Torhüter sollte man dort besser in Eishockeyklamotten auflaufen oder in clownesken Polstern spielen. Bei unserem ersten Versuch, war der Platz zudem gefroren – zum Glück fiel das Spiel aus.

Im dritten Anlauf konnten wir es nun endlich über die Bühne bringen. Taten wir uns in der ersten Hälfte noch schwer, ging unser Offensivspiel im zweiten Durchgang mit zunehmender Spieldauer immer besser auf. In Analogie zum derzeitigen Mathe-Unterrichtsstoff meines Sohnes würde ich von einer quadratischen Gleichung des Spielverlaufs sprechen, exponentieller Anstieg der Trefferpunkte. Interessanterweise verlegte der Schiri die Torfolge im Spielbericht in die erste Hälfte, was das Spiel völlig falsch abbildete. Aber ich denke, das wird ihm nicht mit einer Geld- Strafe belegt werden. Diese Tendenz zur Unschärfe und Fälschung in Bezug auf das Tatsächliche, Wirkliche, Echte scheint ein festes Stilmittel des Spielberichts zu sein.

In Zahlen würde ich sagen, wir schossen etwa zwanzig Mal auf das Tor des Gegners und erzielten dabei sieben Treffer, während der Gegner lediglich einmal auf unser Tor schoss, dabei aber direkt seinen Treffer markierte. In Sachen Effizienz war er uns also – passend zum Ort - haushoch überlegen. Unsere Abwehr ist wahrlich nicht das, was ich einen Felsen nennen möchte. Sie erinnert mich eher an meine zerplatzte Teilkrone. Im Fundament noch kräftig vorhanden, aber an zwei Stellen instabil und scharf gesplittert. Es ist kein gutes Zeichen, dass beinahe jeder gegnerische Durchbruch zu einem Gegentreffer führt, denn mit einem bis drei Durchbrüchen pro Spiel müssen wir immer rechnen. Dies ist Landesliga und nicht mehr Bezirksliga.

Unsere Ausgangslage ist noch recht kommod. Wir sind das einzige Team, das noch kein einziges Liga-Spiel verloren hat. Aber die eigentlichen Kracher stehen direkt vor der Tür. Im Grunde folgt ab nun ein Spitzenspiel nach dem anderen. Bis Mitte März wird die Liga entschieden sein, wage ich mal zu behaupten. Das Rechnen, wie man gegen wen punkten muss, lenkt freilich vom Spiel selbst ab. Ich bin sehr gespannt, wie sich das Team in dieser wichtigsten Phase der Saison schlagen und behaupten wird. Ein bisschen soziologischer Eilenberger stünde uns gut!

[9. Spieltag / So. 15. Januar 2023]


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1:7 (1:2)
(1x Moritz, 2x Bela, 1x Julius, 1x Levi, 1x Jonas, 1x Hasan)
Es spielten: Djamal, Bela, Noah, Jaden, Julius, Arda, Moritz, John, Timo, Levin, Jonas, Levi, Efe, Felix, Hasan.


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TABELLE ANSCHAUEN
EINBLENDEN / AUSBLENDEN