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AMA / E1
SAISON 2018 / 2019

Bäumchen, Bäumchen wechsle dich!

Kicken in der Rosa Parks

So ganz nebenbei

Spätestens ab der E-Jugend beginnt sich das Spieler-Karussell zu drehen. Erst langsam und verhalten, doch je näher die D-Jugend rückt, desto mehr Fahrt nimmt es auf. Am Ende des ersten D-Jugendjahres dreht es dann in Höchstgeschwindigkeit. Schulwechsel und Vereinswechsel fallen zumindest in Berlin für die meisten Spieler zusammen. Ein jeder steckt die nächsten Jahre ab. Die großen Vereine haben schon seit geraumer Zeit Talente aufgesammelt, nun müssen sie gelegentlich an noch größere Clubs abgeben. Aber vor allem müssen sie ihre Kader vergrößern, denn der Schritt ins Großfeld steht bald bevor. In dieser Zeit gibt es viel Bewegung neben den Plätzen, die Bewegung auf ihnen wird manchmal zum Schaulaufen.

Es gibt Jahrgänge, die brechen vollends auseinander, wenn ihre besten Spieler gehen. Meistens sind es ja nur ein bis maximal zwei Hochbegabte, für die sich der Sprung lohnt, denen aber andere Mitspieler gern folgen würden, weil auch sie auf hohem Niveau Fußball spielen möchten. Leider hat nicht jeder das Talent dazu, mit den Wölfen zu heulen. Sich im alten Team weiter zu entwickeln, erscheint manchem dann nicht mehr denkbar. Es ist die typische Angst der gehobenen Mittelklasse vor dem sozialen Abstieg. Die Zurückbleibenden geraten regelrecht in eine Art Torschlusspanik und suchen verzweifelt nach einen Platz zumindest in einer gehobeneren Spielklasse. Jeder denkt plötzlich nur noch an sich selbst. Ganze Teams, die vorher eine Einheit bildeten und deshalb erfolgreich waren, brechen mit einem Mal auseinander. Zurück bleibt eine eigenwillige Trümmerlandschaft aus holperigen, verlassenen Mannschaftsbrachen und neuen teuren Luxusteams.

Der Wechsel in die C-Jugend und auf das Großfeld ist ohnehin ein schwieriges Unterfangen. Die Pubertät schlägt von allen Seiten zu. Längenwachstum und Hormonumstellung lassen die Spieler verwandelt hervortreten. An das ausgewogene Zuvor von Körper und Geist erinnert kaum mehr etwas. Die Dribblings sitzen nicht mehr, die Dynamik verändert sich, und plötzlich wird sogar das Training furchtbar anstrengend, weil man eigentlich nur etwas kicken oder rumdaddeln möchte. Nicht jeder hegt dann noch das hehre Ziel, Profifußballer zu werden. Spätestens mit der ersten Freundin oder dem ersten Joint kommen noch ganz andere Stimulierungsfaktoren hinzu, die sich viel interessanter anfühlen als pausenlos hoch und runter zu rennen auf dem grünen Geläuf. So oder so, die C-Jugend ist eine schwierige Wegstrecke auf dem Weg eines jeden Fußballers.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass bereits ein Jahr zuvor die Weichen gestellt werden und junge Spieler respektive ihre Eltern und Vereine respektive deren Trainer sich Gedanken über den weiteren Werdegang machen. Wer zu einem großen Verein wechselt, entscheidet sich für eine Zukunft mit dem Lebensmittelpunkt Sport. Viele Wechsler träumen sogar vom großen Geld. In der Regel haben die großen Talente ohnehin ihr Herz an den Ball verloren und treiben ihn permanent durch Zeit und Raum. Jetzt wollen sie auch offiziell zu den Großen gestellt werden und deren materielle und symbolische Vorzüge genießen. Bundesligagegner, internationale Turniere, der ganze fadenscheinige Profi-Klamauk. Allein die Anfahrtswege dürften intensiver werden, auch der Zeitaufwand wird erheblich steigen. Der Gewinn sollte zumindest eine solide und professionell aufgestellte, sozial kompetente fußballerische Ausbildung sein. Nach oben hin ist alles offen, nach unten allerdings auch. Denn ab nun wird halbjährlich sondiert und nachgeladen. Wer sein Niveau nicht verbessert, wird durch das nächstbeste Talent ersetzt und kann sich einen neuen Verein suchen.

Urlaubssperren, doppelte Belastungen am Wochenende, der Lebensmittelpunkt verlagert sich vollends auf den Sportplatz. Nicht jedem bekommt das, nicht jeder hat das Zeug dazu, sich in dieser eng gesteckten Welt der Dauerhöchstleistung zurecht zu finden. Die, die es packen und sich entwickeln, bewahren sich den Traum. Seine Erfüllung rückt sogar mit jeder Spielzeit, an deren Ende sie nicht aussortiert werden, näher. Nur die Statistik sagt: Je früher du gewechselt hast, desto unwahrscheinlicher wird für dich das Erreichen des Ziels! Der Druck wächst, jeder Mitspieler ist zugleich Konkurrent auf die begehrten Plätze im Kader. Keine Frage, alle, die durch diese anspruchsvolle Schule gehen, werden sicherlich gute Fußballer, die ihren ehemaligen Mitspielern aus den Kinderfußballtagen weit überlegen sein dürften. Aber im Gegensatz zu ihnen spielen sie ein wenig um die Zukunft ihrer Liebe zum Sport selbst. Denn wenn es nicht klappt, kehrt manch einer dem Ganzen schwer enttäuscht den Rücken zu. Unter einem bestimmten Niveau geht dann erst mal gar nichts. Ganz abgesehen vom Horror einer frühen Sportinvalidität wegen etwaiger Verletzungen.

Erst, wenn die Hörner abgestoßen und die weiteren Wege im Leben abgesteckt sind, kommt der Sport als solcher vielleicht wieder zurück. Denn natürlich hat der Fußball jedem Spieler immens viel gegeben, sonst hätte man ihn nie mit solchem Eifer betrieben. Bewegung, Spiel, Gewinnen - das sind Momente, in denen sich die Seele gut fühlt. Nur Verletzungen und mieser Teamspirit stehend dem im Weg. Erst wenn man sein individuelles Niveau und seine Mitspieler gefunden hat, macht der Sport wieder große Freude. Für manch einen ehemaligen Jugendnationalspieler wird dann sogar die Kreisliga zur Herzensangelegenheit. Endlich wieder mit guten, alten Freunden kicken.

Der große Traum von der ganz großen Karriere ist schnell ausgeträumt, im Grunde ist er nur dann realistisch, wenn er sehr spät in der Entwicklung auftaucht. Man sollte besser auf eine möglichst lange Zeit der körperlichen Unversehrtheit und potentiellen Fähigkeit zur sportlichen Bewegung als solcher hoffen und diesen Traum leben. Freilich ist das einem jungen Menschen in der Entwicklung nur schwer zu vermitteln, denn im Augenblick läuft ja alles wunderbar, warum sollte sich daran etwas ändern? Es gibt freilich Talente, die so talentiert sind, dass es fast schade wäre, wenn sie es nicht auf einem höheren Niveau versuchten. Für sie ist es absolut ratsam, den ersten Verein eines Tages zu verlassen, um sich woanders auszuprobieren. Aber Augenmaß ist da gefragt und ein guter Persönlichkeits- oder Charaktercheck. War das Training bis dahin gut und erfolgreich, werden sie sich gerne an ihren ersten Verein erinnern. Zumindest ideelle Werte gibt es zuhauf im Amateur-Fußball.

Vielleicht sollte man dem ganzen Kommen und Gehen gar nicht so viel Bedeutung beimessen, weder in die eine, noch in die andere Richtung. Am Ende, nach vielen, viele Jahren, entfaltet der Fußball wie von selbst seine Kraft, wenn er noch Spaß macht und sich ein jeder in einem Team oder einem Verein gut aufgehoben fühlt. Dann ist es egal, in welcher Liga man spielt. Der Fußball ist nicht wählerisch, er beschenkt jeden gleich viel mit Spaß und Endorphinen. Und je länger der Weg für einen reicht, desto größer wird das Glück.

[Kicken in der Rosa Parks / 16. Februar 2019]


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Dabei sein, ist alles!

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